Bands in Zeiten von Corona | Tocotronic - "Schwer vorstellbar: ein Konzert zu geben, wie wir es kennen"

Do 07.05.20 | 11:44 Uhr
Tocotronic von Jan Müller (Quelle: imago images/Carsten Thesing)
Bild: imago images/Carsten Thesing

Das musikalische Leben in der Hauptstadt steht weiter still. Auch für die Band Tocotronic, die mittlerweile zum Großteil in Berlin lebt, hat Corona einiges durcheinander gewirbelt. Von Hendrik Schröder

Eigentlich wären Tocotronic jetzt gerade im Hansa Studio in Berlin, um mit ihrem Produzenten Moses Schneider ein neues Album aufzunehmen. Eigentlich. Die Produktion ist verschoben, auf den Sommer. "Der Grund war, dass wir im Umkreis der Band auch ein bis zwei Freunde hatten, die Risikogruppe sind. Deswegen schien uns das zu riskant", sagt Tocotronic-Bassist Jan Müller.  Das neue Album soll trotzdem wie geplant im kommenden Jahr erscheinen.

Bis dahin telefonieren die vier Musiker viel miteinander, aber Treffen fallen aus. Von Konzertabsagen blieben Tocotronic bisher verschont, die nächsten Shows stehen erst im August und September an. Aber ob die gespielt werden können, mit Tausenden von Leuten, dicht an dicht, bezweifelt der Tocotronic-Bassist. "Das ist natürlich sehr fraglich, ob das stattfinden wird. Für mich ist das gerade schwer vorstellbar: ein Konzert zu geben, so wie wir es kennen", sagt er.

Erfolg der vergangenen Jahre hat Tocotronic ein finanzielles Polster verschafft

Die Produktion verschoben, Konzerte stehen auf der Kippe. Man könnte meinen, dass schlechte Stimmung herrsche bei Tocotronic. Aber dem sei nicht so, sagt Jan Müller. Die Band warte geduldig, wie die Lage sich entwickelt. Der Erfolg der vergangenen Jahre hat Tocotronic ein finanzielles Polster verschafft, ein Luxus in diesen Tagen für viele Kreative. Reich seien sie nicht, aber Sorgen um die Finanzen würden sie sich derzeit noch nicht machen, sagt Müller. 

Eine kreative Chance kann er aber trotz aller Entspanntheit in der Krise nicht entdecken. Die Zeit nutzen, um alleine in der Isolation an neuen Ideen zu basteln, das sei nichts für ihn. Er habe das Gefühl, er würde einfach weiterarbeiten wie bisher, nur ohne Menschen zu treffen. Das Schlimmste sei, nicht mehr gemeinsam mit den anderen Dreien im gemeinsamen Berliner Proberaum spielen zu können. Diese Magie, die entstehe, wenn die Musiker einer Band zusammenkömen und ihr Sound den Raum erfülle, sei durch nichts zu ersetzen.

Wenn der Song zufällig zur globalen Krise passt

Und doch haben Tocotronic die Krise genutzt und ihren neuen Song "Hoffnung" vorab veröffentlicht, mit einem Video, das ausschließlich aus den Aufnahmen verschiedener öffentlicher Webcams aus der ganzen Welt besteht. Der Song war noch gar nicht richtig fertig, aber der Text von Sänger Dirk von Lotzow passte verblüffend gut zur Corona-Krise.

Und so spielten die Musiker teils in ihren Wohnungen noch letzte Instrumentalparts ein und der Track wurde in einer ersten Rohversion veröffentlicht. Ob er auch so auf das neue Album kommt, steht noch nicht fest. "Ich war wirklich sehr erstaunt, dass ein Text, der über ein Jahr alt ist, so gut in die Zeit passt. Wir sind sonst eine Band, die sehr konservativ in Alben Zusammenhängen denkt und für uns war das auch mal ganz schön, das aufzubrechen." So hat die Corona-Krise am Ende für Tocotronic doch eine positive Erfahrung zu bieten und zwingt sie aus alten Mustern. Immerhin.

Sendung: Inforadio, 07.05.2020, 15 Uhr

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