Showkritik | Angela Alves – No Limit@Sophiensäle - Wenn Menschen mit Behinderung die Norm sind

Mi 17.06.20 | 09:13 Uhr | Von Magdalena Bienert
24.03.2020, Berlin: Der Eingang zu den Sophiensälen in der Sophienstraße in Mitte. (Quelle: dpa/Kalaene)
Audio: inforadio | 16.06.2020 | Bild: dpa/Kalaene

Am Dienstag feierten die "Sophiensäle" die Premiere der Inklusions-Show "Angela Alves: No Limit". Natürlich anders als geplant, nicht auf der echten Bühne, sondern im Internet. Wie interaktiv kann Theater im Netz sein? Es hat seine Grenzen, findet Magdalena Bienert.

Angela Alves und die Sophiensäle wollen nicht gerade wenig mit "No Limit". Sie wollen "die Umkehrung der Verhältnisse feiern: Im NO LIMIT-Kosmos bilden Menschen mit Behinderung die Mehrheit. Und die Norm." Menschen mit besonderen Bedürfnissen, also Nicht-Behinderte, dürften aber "mitmachen". Außerdem sollen sich ZuschauerInnen und PerformerInnen an diesem Abend außerdem live und interaktiv begegnen. So weit, so ambitioniert. Die Performance der Tänzerin Angela Alves geht, laut Inhaltsangabe, so gar so weit zu fragen, zu welcher Norm wir nach Corona wieder zurück kehren möchten. Klingt spannend - wird es eingelöst?

Abwarten und Zuhören

Zuerst heißt es geduldig sein. Es folgen ausführliche Live-Beschreibungen, was wir sehen und wie die DarstellerInnen genau aussehen, was sie anhaben, welchen Haut- und Lippenton sie haben. Das Ganze hat einen eindrucksvollen Grund: So haben blinde und sehbehinderte ZuschauerInnen die Möglichkeit, auch an der Performance teilzunehmen. Beschreibungen können sogar im Chat-Room als Screenreader vorgelesen werden.

Für diejenigen, die gehörlos sind, übersetzen Gal Naor und Athina Lange alles auch noch in Gebärdensprache. Lediglich die englischen Übersetzungen zwischendurch verwirren nur und sind auch nicht konsequent. Weite Teile bleiben auf deutsch.

Und: Action!

ZuschauerInnen von "No Limit" zahlen fünf Euro und bekommen so eine Einladung zum Zoom-Meeting. Zusehen ist trotzdem anonym - interaktives mitmachen auch, sagt Angela Alves nebenbei, als nämlich aus heiterem Himmel der aktive Part fürs Publikum beginnt: Auf dem eigenen Bildschirm ploppt ein Fenster mit Fragen auf. Wir können angeben, ob wir uns zur Norm gehörend fühlen, oder nicht. Ob wir ein Handicap haben, oder nur das Handy kaputt ist, oder ob wir wissen was Multiple Sklerose ist (Angela Alves hat die neurologische Autoimmun-Krankheit), oder sie fragt, was Crip meinen könnte (zum einen "Krüppel", aber Crips sind auch eine Community von Menschen, die sich selbst so bezeichnen, weil sie zu einer Minderheiten-Gruppe zählen, weil sie zum Beispiel behindert oder transsexuell sind). Am Ende dieser moderierten Umfrage sieht man, wieviel Prozent die jeweiligen Antworten bekommen haben. Leider weiß man überhaupt nicht, wie viele abgestimmt haben und was die (sofern vorhanden) richtigen Lösungen sind, was etwas unbefriedigend ist. Dabei ist diese interaktive Umfragen-Idee wirklich mal etwas völlig Neues und Unerwartetes in einem Live-Stream.

No Limit – die Remote-Performance

Nach einer Dreiviertelstunde, die noch wie eine Aufwärmübung wirkt, kommt der Kern der Show. Vor einer virtuellen Showtreppe befragt Athina Lange Angela Alves zu ihrer "Nicht-Behinderung" und stellt Fragen, die Menschen mit Behinderungen wohl nur allzu oft zu hören bekommen: "Du hast ja noch eine Schwester, wie war das damals, seid ihr in getrennte Schulen gegangen?" oder "Du bist ja Tänzerin, wie machst du das mit deiner Nicht-Behinderung?". Es entspinnt sich ein toller und witziger Dialog, der einem durchaus auch den Spiegel vorhalten kann.

Es folgt noch ein Video von Angela Alves aus den Sophiensälen, dann ist dieser Part leider schon vorbei, stattdessen folgen noch ein paar Minuten mit pantomimischen Bewegungen vor Weltall-Hintergrund ( "No Limit"- keine Grenzen) und dann war's das nach 75 Minuten. Im Zoom-Chat könnte jetzt noch weiterdiskutiert werden, sagt die Choreografin und Protagonistin ihres eigenes Stücks, doch es tut sich dort rein gar nichts Spannendes. Ein bisschen ratlos wird man zurückgelassen.

Angela Alves und ihre "No Limit - Remote-Performance" ist sicher einer der kreativsten Livestreams in dieser Zeit, zudem mit einem wichtigen und relevanten Thema, aber offenbar fehlte eben auch Zeit, um ihn wirklich richtig gut zu machen. Beziehungsweise ist das natürlich auch Neuland für alle. Man wüsste nur zu gern, wie diese Performance live in den Sophiensälen gelaufen wäre - hoffentlich gibt es die Chance, das noch mal herauszufinden.

"No Limit" läuft am 17. & 18. Juni wieder um 20 Uhr im Live Stream.

Beitrag von Magdalena Bienert

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