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Audio: rbbKultur | 17.08.2020 | Maria Ossowski | Quelle: Eventpress Hoensch

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Charité-Institute empfehlen Klassikkonzerte und Opern in vollen Sälen

Klassische Konzerte vor ausverkauftem Haus? Oper wieder live und jeder Platz im Orchester und Zuschauerraum besetzt? In Corona-Zeiten ist das seit einigen Monaten eigentlich undenkbar. Doch das könnte sich jetzt ändern. Von Maria Ossowski

Bislang sind die Sitzreihen in Opern- und Konzerthäusern in Deutschland überwiegend leer, nur jeder vierte Platz wird normalerweise vergeben. Doch die Charité-Institute für Sozialmedizin und Epidemiologie sowie für Hygiene und Umweltmedizin empfehlen nun in einem überarbeiteten Papier, jeden Platz zu besetzen. Dem rbb liegen diese Empfehlungen exklusiv vor. Voraussetzung ist allerdings, dass alle Besucherinnen und Besucher einen Mund-Nasen-Schutz tragen.

"Die entscheidende Grundlage ist die wissenschaftliche Beurteilung der Wirksamkeit von einem Mund-Nasen-Schutz. Wenn man einen solchen Schutz trägt, werden etwa 95 Prozent der Viruslast absorbiert. Das heißt, man selber ist geschützt, und auch das Gegenüber", sagt Professor Stefan Willich, Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie an der Berliner Charité.

Anmerkung der Redaktion: Der Klinikvorstand hat sich am Montagnachmittag von der Empfehlung distanziert. Auf Twitter hieß es, das Papier sei nicht abgestimmt. Es gebe nicht die Position der Führung wieder. Stattdessen solle das Papier "als Grundlage einer weiteren kritischen Diskussion im Rahmen der Berliner Teststrategie" betrachtet werden.

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Zentrale Rolle spielt das Verhalten des Publikums

Ein voller Saal wäre also möglich, wenn alle Besucherinnen und Besucher einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Eine zentrale Rolle für diese Empfehlung spielt das Verhalten des Publikums. In klassischen Konzerten oder in Opern wird während der Veranstaltung weder geredet oder getanzt. Niemand brüllt, springt auf und ähnliches.

Stefan Willich ist selbst auch Dirigent und kennt das Klassikpublikum gut: "Das Besondere bei klassischen Konzerten ist, dass das Publikum in der Regel aufgeklärt und sehr diszipliniert ist, dass nicht gesprochen wird während der Veranstaltung, dass man still da sitzt, alle in einer Reihe, man sitzt sich auch nicht gegenüber."

Somit könnte ein klassisches Konzert sicherer sein als ein Einkauf im Supermarkt, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder Ähnliches. Der Epidemiologe ist sich bewusst, dass die Freunde klassischer Musik im Schnitt zum älteren Teil der Bevölkerung gehören und damit teilweise zur Risikogruppe. "Die Risikofaktoren für Corona sind hohes Alter und relevante chronische Begleiterkrankungen. Ich denke, wenn man einer solchen Risikogruppe angehört, sollte und wird man selbst entscheiden, ob man sich der Öffentlichkeit aussetzt, ob man gewisse Risiken, und seien sie auch sehr gering, eingeht oder nicht."

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Wichtig sind auch Belüftung und Hygieneregeln

Selbstverständlich reiche das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes allein nicht aus, so Willich. Viele weitere Voraussetzungen für den Besuch eines Konzertes gehören dazu, etwa die sehr wichtige Belüftungssituation. "Es müssen moderne ausreichende Belüftungsanlagen sein, teilweise auch mit speziellen Filtern. Die Saaltechnik muss klären, dass man hier wirklich einen ordentlichen Luftaustausch hat."

Zudem, so Epidemiologe Willich, gelten die üblichen Hygienemaßnahmen: Distanz in den Eingangs- und Foyerbereichen, Verzicht auf Catering. "Die Bars sollten also geschlossen bleiben, damit der Mundschutz aufgesetzt bleiben kann, und um Gedränge zu vermeiden. Zudem eine kontaktlose Einlasskontrolle und die Registrierung von Kontaktdaten beim Erwerb der Konzertkarten."

Alle Kontaktflächen wie Türklinken, Armlehnen, Treppengeländer sowie der gesamte Sanitärbereich müssen nach jeder Veranstaltung gründlich gereinigt werden.

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Auch die Bestuhlung im Orchester ist wie früher

Beide Charité-Institute hatten im Mai bereits Empfehlungen für die Sitzordnungen der Musikerinnen und Musiker auf der Bühne verfasst, die viele Orchester in Deutschland und international umgesetzt haben. Diese Empfehlungen sind jetzt modifiziert. Auch hier ist eine Bestuhlung fast wie in der vorpandemischen Zeit möglich. Weitere physiologische und strömungstechnische Untersuchungen zeigten, dass auch bei Bläsern letztlich nur in einem sehr dichten Umkreis, ungefähr ein Meter um den Spieler herum, Tröpfchen und Aerosole zu erwarten seien im Fall eines infizierten Mitspielers. "Auf dieser Basis konnten wir jetzt die Distanzregeln reduzieren. Bei Streichern reicht ein Meter und bei Bläsern 1,5 Meter Abstand. Das entspricht fast wieder einer normalen Orchesteraufstellung."

Ein voller Saal, wenn alle Klassikfreunde Masken tragen und die Hygieneregeln eingehalten werden. Eine Sitzordnung der Orchester, fast wie früher. Dies sind Empfehlungen, mit denen sich die Charité und die Politik jetzt beschäftigen müssen.

Korrektur: In einer ersten Version dieses Beitrags hatten wir die Stellungnahme als Studie der Charité bezeichnet. Es handelt sich aber um eine Empfehlung der Institute für Sozialmedizin und Epidemiologie sowie für Hygiene und Umweltmedizin. Mittlerweile wurde das Papier veröffentlicht [epidemiologie.charite.de]. Der Klinikvorstand hat sich davon distanziert.

Beitrag von Maria Ossowski

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