Musikkritik in Pandemie-Zeiten - Bitte keine Corona-Songs mehr!

So 29.11.20 | 17:51 Uhr | Von Hendrik Schröder
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Vengaboys - Zoom Zoom Zoom Zoom (corona version with lyrics) (Quelle: Youtube)
Bild: Youtube

Seit Monaten können Bands und Musiker nicht auftreten. Was machen sie stattdessen? Zu Hause sitzen und Lieder über Corona schreiben und sie in kleinen Youtube-Videos veröffentlichen. Fürchterliche Sachen kommen dabei heraus, schreibt Hendrik Schröder.

Grinsend stehen die Mitglieder der holländischen Dancetruppe Vengaboys, zu denen derzeit ebenso zwei Girls gehören, vor der Videokonferenz-Kamera. Sie wirken völlig deplatziert in ihren überkandidelten Bühnenoutfits in eher schmucklosen Wohnzimmern. Das sieht aus, als würden Rammstein mit Feuerzeugen vor der Cam eine Wunderkerze anzünden, weil sie ja derzeit keine Pyroshows in Stadien machen dürfen.

"Zoom, Zoom, Zoom, Zoom", singen Vengaboys, statt "Boom, Boom, Boom, Boom" wie im Original. Und weiter: "We're stuck here in our rooms, let's spend the night together." Naja. Kann ja nicht falsch sein, aber vielleicht die Zoom-Kamera vorher ausmachen.

Didi Hallervordens Covid-Produktion ist da schon aufwändiger. Im Video zu seinem "Corona Song" läuft er durch sein Schlosspark-Theater und besingt gewohnt verschmitzt die Lage in der Welt. Zwischendurch werden Mini-Statements von Donald Trump eingespielt. Und das auf eine Musik, die klingt wie eine Mischung aus Schlager und Bierzelt. Zwischendurch setzt Hallervorden sich auf einen chinesischen Plastikstuhl, um zu beweisen, dass Sachen aus China nichts taugen, und kippt prompt mit dem Ding um, in allerbester 1980er-Didi-Blödelästhetik. Leider bringt niemand eine Flasche Pommes. Im Refrain sitzt er dann mit einer Menge Schaufensterpuppen und ansonsten alleine im Zuschauerraum und singt: "Amazon schwimmt im Geld, der Söder wird zum Held, der freie Geist verfällt, wohin trudelt die Welt." Das reimt sich sehr gut, immerhin.

Pathos und Beleidigungen

Das Berliner Comedy-Duo Das Niveau (sic!) geht deutlich pennälerhafter an das Projekt Corona Song. In den Strophen ihres Tracks ist Corona verantwortlich für alles, was schief läuft. Zum Beispiel wenn man aus Versehen nachts bei Facebook die AfD liket. Dann fragt der eine den anderen: "Schatz, jetzt wo wir alle sterben, ich weiß, das ist nicht so dein Ding, aber wie wäre es mit einem Arschfick?" Ich vermute, man muss unter 14 oder über 70 sein, um das irgendwie lustig zu finden. Schade, eigentlich sehen die beiden ganz intelligent aus und singen sehr gut.

Es geht allerdings auch noch viel schlimmer: Silbermond steuern mit "Machen wir das Beste draus" eine Nummer zum Corona-Liederreigen bei, die noch grauenhafter klingt, als die anderen Songs der Band. Ein pathetisches und einfältiges Stückchen, in dem dazu aufgerufen wird, die Herzen noch enger zusammenzurücken, wenn diese Zeit es erfordert. Im Video sind erst menschenleere Berliner Straßen zu sehen, dann die Bandmitglieder, wie sie in ihrer passiv-aggressiven Harmlosigkeit in ihren Altbauwohnungen im Kleiderschrank oder so sitzen und diesen Song einsingen. Man will hingehen und die schütteln und sagen: Macht mal ein Mal was besonders, haut mal ein Mal einen raus. Jetzt ist die Zeit dafür. Ihr könnte das doch eigentlich. Aber nein...

Das Niveau - Corona (Quelle: Youtube)
Das Niveau - CoronaBild: Youtube

Wäre es doch eine Selbstparodie

Auch die Hannoveraner Dinosaurier von Fury in the Slaughterhouse waren nicht faul und haben alle ihre alten Freunde angerufen, damit sie sich irgendwo vor ein Mikro stellen und Teile des Fury Hits "Time to Wonder" neu einsingen. Mit dabei sind Guildo Horn, Wolfgang Niedecken, Purple Schulz, De Höhner und andere aus der Gattung "kennt man noch von früher". Kann man in seiner altbackenen Humorlosigkeit eigentlich nur als selbstironische Parodie verstehen, das Ding. Ist es aber nicht. Immerhin sehen die aber noch ganz nett aus dabei und haben nachweislich das Herz auf der wohlwollenden Seite.

So richtig schlecht gelaunt gucken hingegen die Pseudo-Patrioten von Frei.Wild, die mit "Corona Weltuntergang V2" einen grauenhaften "Auf jeder Asche der Geschichte keimen Hoffnung und Mut"- Volksmusiksong rausgebracht haben, der als Paradebeispiel der kreativen und intellektuellen Beschränktheit der Band durchgeht. In der ersten Version haben sie das Virus noch genau wie andere Rechtspopulisten verharmlost, dann mussten sie sich korrigieren, jetzt holen sie die ganz großen Geschütze raus, als gelte es einen Krieg zu führen. Nur das Feindbild ist so ungewohnt unscharf. Tja. Die Frage ist: Kann das weg oder kann das weg? Kunst wird das kaum jemand nennen mögen.

Merkel, mach' die Clubs auf

Natürlich kann man verstehen, dass die Bands in diesen Zeiten, in denen sie nicht touren können, ihre größeren Produktionen verschieben müssen und teilweise nicht mal gemeinsam in den Proberaum konnten, irgendetwas machen und erschaffen wollen und Corona sie genau so nachdenklich, wütend, traurig, einsam oder entschlossen macht wie uns alle. Aber sie sollten dabei auch an die Zuhörer und Zuschauer denken. Denn nach dem Konsum der meisten dieser Songs kommt einem die Krise noch viel schlimmer vor als vorher. Es gibt nur eine Lösung: Merkel, mach die Clubs auf, lass die wieder auf die Bühne und auf Tour" Zu Hause kommen sie nur auf dumme Gedanken.

Beitrag von Hendrik Schröder

12 Kommentare

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  1. 11.

    "Was macht Helene Fischer eigentlich derzeit? ;-)"
    Maskenfrei duch die Nacht
    bis das der Virus richtig lacht
    ....
    nee, aus.

  2. 10.

    Den Frust einiger Künstler kann ich ja verstehen. Dass aber einige im Jammerton versuchen, daraus Geld zu machen, ist schändlich. Besser wäre es, die vielen gutbegüterten Künstler würden Solidarität üben mit den Schwächeren. Aber Solidarität ist auch hier nicht zu erwarten, sonst wären sie gesetzlich krankenversichert, rentenversichert und arbeitslosenversichert. Jetzt wird gejammert, wo es nicht so läuft und die reichen Künstler, die sonst so guten und netten, geben ungern ab.

  3. 9.

    @ rbb88,8 Moderatorin Lydia Mikiforow
    Moin zusammen,

    Heute Morgen im Radio rbb88,8 hat die Moderatorin Lydia Mikiforow noch einen drauf gesetzt:
    Sie würde das Wort CORONA zum Unwort des Jahres wählen.

    Werte Frau Mikiforow
    Einen fachlichen Terminus zu einem Unwort erklären zu wollen geht ja wohl überhaupt nicht!

    Einfach mal vorher über solchen Unsinn nachdenken.


    Mfg

  4. 8.

    Die von Herr Schröder hier erwähnten Songs sind ja nur ein paar Beispiele. Da gibts gar noch mehr schauderhaftes. Ich hab in einer ruhigen Stunde mal einen Rundblick gewagt. Oh je... Und schnell reift auch die Feststellung: Sänder oder Bands, die in normalen Zeiten nur von Friede, Freude, Eierkuchen und Liebesherzschmerz singen, können bei ernsten Themen wie Corona auch nix ernstes dazu beitragen. Mir scheint, das sich wahre künstlerische Größe im Showbiz derzeit viel zu selten in Schweigen äußert. Da gibts schon große Vertreter, die sich auch zurückhalten können. Was macht Helene Fischer eigentlich derzeit? ;-)

  5. 7.

    Naja, die Corona-Songs sind offensichtlich besch… wie der Text von Herrn Schröder und das Agieren der Corona-Verharmloser wie Corona-Hysteriker und das, was die aller meisten Politiker und Journalisten. Dieter Hildebrandt hat schon vor mehr als 10 Jahren festgestellt: Die Frage ist nicht, ob die Menschheit verblödet, sondern nur wann. Spätestens jetzt seit der Pandemie gibt es auch darauf eine Antwort. Die Verblödung grassiert schnell als Covid 19 und ist auch weitaus gefährlicher. Es wird keine realistische Folgenabschätzung und Einordnung des Infektionsgeschehens vorgenommen, sondern die Panikspirale immer weitergedreht und eine aktionistische Maßnahme nach der anderen verordnet. Die Maske wird als religiöses Heilsmittel verklärt und jetzt schon beim Aufenthalt unter freiem Himmel verordnet. Ohne dass es dafür irgendeine Evidenz gäbe. Und der Chefvirologe sagt, wir müssten uns alle so verhalten, als wären wir alle infiziert. Es wird genug Verblödete geben, die Herrn Drosten folgen.

  6. 6.

    @ Paula W.: Muss man doch nicht schreiben. ;-)

    @ Alice: Danke für den Link, schönes Stück. :-)

    Ich selbst bevorzuge zum Thema den "Corona-Soundtrack" bei Youtube - auch wenn der fast gar keine Musik beinhaltet. Ist auch irgendwie lustig und gruselig zugleich...

  7. 5.

    Den besten Song haben Sie glatt "unterschlagen" Hendrik. Ralf Goldkind - ja, der von "Lucilectric" etc. - hat vor einigen Jahren mit "Abstand Halten!" einen feinen Lo-Fi Song im Stil britischer New Wave Bands der Spät-70/Früh-80er produziert, der diese Jahr veröffentlicht wurde irgendwie ins heute passt. ;-)

    https://www.youtube.com/watch?v=d0oik4Ra2io

    https://www.radioeins.de/programm/sendungen/modo1316/interviews/ralf-goldkind.html

  8. 4.

    Muss man sich doch nicht ansehen/ anhören.

  9. 3.

    Naja - was da so aus der zweiten Reihe, äh Welle, kommt ist zum Großteil in der Tat bescheiden schön. Meist nur Nachahmer, die auf den Zug aufspringen und spätestens wenn Michi Müller C-Songs in einer Comedysendung zum "besten" gibt, ist der Zug abgefahren.
    Eine "Low-Budget-Produktion" der schweizerischen Schauspielerin Carol Schuler, aus dem Frühjahr, finde dagegen durchaus zum Schmunzeln.
    https://www.youtube.com/watch?v=1RXCe8uTF44

  10. 2.

    Oder wenn schon Corona-bezogene Songs, dann Lieder mit einer positiven Vision!

    In Krisen- und Kriegszeiten haben Künstler auch die Aufgabe und die Fähigkeit, bei ihrem Publikum die Stimmung zu erhellen und Ihm Kraft und Zuversicht zu geben.
    Wir brauchen im Moment eher Durchhalteparolen statt Endzeitstimmung und Null-Bock-Mentalität!

    Schlecht drauf sind schon zu viele von uns - Künstler, bringt uns die gute Laune und Zuversicht zurück!

  11. 1.

    Oh je. Beim Schreiben dieses Beitrags muss Herr Schröder ja ordentlich Frust gehabt haben. Oder ist er mit sich selbst unzufrieden? So viel geistigen Unfug liest man selten und hat nichts mit Kritik zu tun!

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