Musikkritik in Pandemie-Zeiten - Bitte keine Corona-Songs mehr!
Seit Monaten können Bands und Musiker nicht auftreten. Was machen sie stattdessen? Zu Hause sitzen und Lieder über Corona schreiben und sie in kleinen Youtube-Videos veröffentlichen. Fürchterliche Sachen kommen dabei heraus, schreibt Hendrik Schröder.
Grinsend stehen die Mitglieder der holländischen Dancetruppe Vengaboys, zu denen derzeit ebenso zwei Girls gehören, vor der Videokonferenz-Kamera. Sie wirken völlig deplatziert in ihren überkandidelten Bühnenoutfits in eher schmucklosen Wohnzimmern. Das sieht aus, als würden Rammstein mit Feuerzeugen vor der Cam eine Wunderkerze anzünden, weil sie ja derzeit keine Pyroshows in Stadien machen dürfen.
"Zoom, Zoom, Zoom, Zoom", singen Vengaboys, statt "Boom, Boom, Boom, Boom" wie im Original. Und weiter: "We're stuck here in our rooms, let's spend the night together." Naja. Kann ja nicht falsch sein, aber vielleicht die Zoom-Kamera vorher ausmachen.
Didi Hallervordens Covid-Produktion ist da schon aufwändiger. Im Video zu seinem "Corona Song" läuft er durch sein Schlosspark-Theater und besingt gewohnt verschmitzt die Lage in der Welt. Zwischendurch werden Mini-Statements von Donald Trump eingespielt. Und das auf eine Musik, die klingt wie eine Mischung aus Schlager und Bierzelt. Zwischendurch setzt Hallervorden sich auf einen chinesischen Plastikstuhl, um zu beweisen, dass Sachen aus China nichts taugen, und kippt prompt mit dem Ding um, in allerbester 1980er-Didi-Blödelästhetik. Leider bringt niemand eine Flasche Pommes. Im Refrain sitzt er dann mit einer Menge Schaufensterpuppen und ansonsten alleine im Zuschauerraum und singt: "Amazon schwimmt im Geld, der Söder wird zum Held, der freie Geist verfällt, wohin trudelt die Welt." Das reimt sich sehr gut, immerhin.
Pathos und Beleidigungen
Das Berliner Comedy-Duo Das Niveau (sic!) geht deutlich pennälerhafter an das Projekt Corona Song. In den Strophen ihres Tracks ist Corona verantwortlich für alles, was schief läuft. Zum Beispiel wenn man aus Versehen nachts bei Facebook die AfD liket. Dann fragt der eine den anderen: "Schatz, jetzt wo wir alle sterben, ich weiß, das ist nicht so dein Ding, aber wie wäre es mit einem Arschfick?" Ich vermute, man muss unter 14 oder über 70 sein, um das irgendwie lustig zu finden. Schade, eigentlich sehen die beiden ganz intelligent aus und singen sehr gut.
Es geht allerdings auch noch viel schlimmer: Silbermond steuern mit "Machen wir das Beste draus" eine Nummer zum Corona-Liederreigen bei, die noch grauenhafter klingt, als die anderen Songs der Band. Ein pathetisches und einfältiges Stückchen, in dem dazu aufgerufen wird, die Herzen noch enger zusammenzurücken, wenn diese Zeit es erfordert. Im Video sind erst menschenleere Berliner Straßen zu sehen, dann die Bandmitglieder, wie sie in ihrer passiv-aggressiven Harmlosigkeit in ihren Altbauwohnungen im Kleiderschrank oder so sitzen und diesen Song einsingen. Man will hingehen und die schütteln und sagen: Macht mal ein Mal was besonders, haut mal ein Mal einen raus. Jetzt ist die Zeit dafür. Ihr könnte das doch eigentlich. Aber nein...
Wäre es doch eine Selbstparodie
Auch die Hannoveraner Dinosaurier von Fury in the Slaughterhouse waren nicht faul und haben alle ihre alten Freunde angerufen, damit sie sich irgendwo vor ein Mikro stellen und Teile des Fury Hits "Time to Wonder" neu einsingen. Mit dabei sind Guildo Horn, Wolfgang Niedecken, Purple Schulz, De Höhner und andere aus der Gattung "kennt man noch von früher". Kann man in seiner altbackenen Humorlosigkeit eigentlich nur als selbstironische Parodie verstehen, das Ding. Ist es aber nicht. Immerhin sehen die aber noch ganz nett aus dabei und haben nachweislich das Herz auf der wohlwollenden Seite.
So richtig schlecht gelaunt gucken hingegen die Pseudo-Patrioten von Frei.Wild, die mit "Corona Weltuntergang V2" einen grauenhaften "Auf jeder Asche der Geschichte keimen Hoffnung und Mut"- Volksmusiksong rausgebracht haben, der als Paradebeispiel der kreativen und intellektuellen Beschränktheit der Band durchgeht. In der ersten Version haben sie das Virus noch genau wie andere Rechtspopulisten verharmlost, dann mussten sie sich korrigieren, jetzt holen sie die ganz großen Geschütze raus, als gelte es einen Krieg zu führen. Nur das Feindbild ist so ungewohnt unscharf. Tja. Die Frage ist: Kann das weg oder kann das weg? Kunst wird das kaum jemand nennen mögen.
Merkel, mach' die Clubs auf
Natürlich kann man verstehen, dass die Bands in diesen Zeiten, in denen sie nicht touren können, ihre größeren Produktionen verschieben müssen und teilweise nicht mal gemeinsam in den Proberaum konnten, irgendetwas machen und erschaffen wollen und Corona sie genau so nachdenklich, wütend, traurig, einsam oder entschlossen macht wie uns alle. Aber sie sollten dabei auch an die Zuhörer und Zuschauer denken. Denn nach dem Konsum der meisten dieser Songs kommt einem die Krise noch viel schlimmer vor als vorher. Es gibt nur eine Lösung: Merkel, mach die Clubs auf, lass die wieder auf die Bühne und auf Tour" Zu Hause kommen sie nur auf dumme Gedanken.