Probenbesuch - Die Berliner Staatsoper spielt "Lohengrin" vor leerem Haus

Fr 11.12.20 | 17:23 Uhr | Von Maria Ossowski
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Der große Saal der sanierten Staatsoper in Berlin (Quelle: dpa/Bernd von Jutrczenka)
Audio: Inforadio | 11.12.2020 | Maria Ossowski | Bild: dpa/Bernd von Jutrczenka

Wagner mit Riesenchor? Es funktioniert. An der Staatsoper hat der spanische Starregisseur Calixto Bieito "Lohengrin" inszeniert - vorerst nur für die Fernsehkameras. Maria Ossowski war als einzige Journalistin bei den Proben und ist begeistert.

Die hochromantische Geschichte um Ritter Lohengrin mit seinem Schwan und Elsa, die ihn nicht befragen darf, beginnt im Hochsicherheitstrakt von Stadelheim. Und da darf sich niemand berühren. Das passt zu Corona.

Aber die in ihren Ritter schockverliebte Elsa muss sich erst daran gewöhnen: "Es ist schon schwer, denn wir sind alle gewöhnt, in Kontakt zu sein. Diese Distanz – man darf keinen anderen Arm berühren, das ist ziemlich schwer, wenn man daran immer denken muss. Aber wir verstehen den Ernst der Lage und machen unser Bestes draus."

"Diese Musik passt auf meine Stimme"

Vida Miknevičiūtė aus Litauen ist ein zierliches Persönchen, Konfektionsgröße 34, mit einer grandiosen Stimme. Sie ist eingesprungen für die erkrankte Sonya Yontschewa und hat in zwei Wochen die Rolle mit richtig viel Wagnertext gelernt. Es ist ihr Elsa-Debut: "Sehr viel studiert habe ich eigentlich nicht", lacht sie laut. Wagner findet sie völlig ok trotz der skurrilen Texte: "Mir gefällt er. Ich verstehe alles, ich kann es singen, und ich glaube, diese Musik passt auf meine Stimme."

Roberto Alagna sollte den Lohengrin in Bayreuth singen und musste kurz vor der Premiere absagen. Skandal, Skandal titelte damals die Presse. Aber Gesundheit und berufliche Überlastung waren die Hauptgründe: "Ich hab in der gleichen Zeit 'Turandot', 'Othello' und 'Samson und Dalila' gemacht. Das war echt zu viel. Ich bin froh, hier zu sein. Ich hatte mehr Zeit, den Charakter mit dem Verstand, mit dem Körper und der Seele zu erfassen."

Märchenfigur mit einem Hauch Jesus

Der Lohengrin, weiß gekleidet wie sein Schwan, sei für ihn eine Märchenfigur mit einem Hauch Jesus. Angesiedelt zwischen Traum und Wirklichkeit und immer entfernt von allen Menschen, die ihn umgeben. "Keinen Kontakt mit anderen zu haben, ist ziemlich gut, sogar im Schlafzimmer. Da geht es nämlich um Sinnlichkeit, nicht allein um Sexualität. Es ist eine seelische Vereinigung zwischen beiden."

Im Orchestergraben sitzen nur 40 Musiker, sie spielen aber die Originalpartitur, so wie bei der ersten Aufführung des "Lohengrin" in Weimar. Zum Beispiel musizieren nur vier Bratschen, damit hat jede quasi ihre Solostellen. So ist der Orchestergraben coronasicher geworden, und die Königs-Trompeten werden aus dem Probenraum zugeschaltet.

"So ändert sich natürlich die Balance zwischen Bläsern und Streichern", erklärt Intendant Matthias Schulz. "Es brauchte einige Zeit im Probenprozess, um sich darauf einzustellen, aber es ist eine besondere Durchhörbarkeit entstanden. 'Lohengrin' hat eine große kammermusikalische Qualität, und das ist ein tolles Experiment."

"Ein sehr sicheres, aber tolles Projekt"

Das größte Problem hat in Pandemiezeiten der Chor, bei Lohengrin ist er unersetzlich. Er singt in voller Stärke. Der riesigen Hinterbühne des frisch restaurierten Hauses sei Dank, sagt Intendant Schulz. "Da können wir erstmal die ganze Tiefe der Bühne nutzen, sodass alle Chorsänger auf zwei Meter Abstand sind. Sie dürfen innerhalb dieses Bereichs auch ein bisschen schauspielern. Calixto Bieito hat sie individuell wahrgenommen und inszeniert. So ist ein sehr sicheres, aber tolles Projekt entstanden."

Das Traurige: Alle singen, spielen und musizieren vor leerem Haus für die Kameras von Arte, das die Premiere am Sonntag überträgt. Letzteres wiederum tröstet. Das Gute: Im Mai soll es wieder Lohengrinaufführungen vor Publikum geben. Zumindest sind diese geplant.

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Beitrag von Maria Ossowski

2 Kommentare

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  1. 2.

    Sie sind eigentlich zu bedauern, wenn Sie den Unterschied einer Opernaufführung vor dem Fernseher und live nicht begreifen. Es gibt in einem Theater so etwas wie eine unsichtbare Verbindung zwischen Künstlern und Publikum; die große Christa Ludwig hat das in einem Interview sogar mal als erotische Beziehung beschrieben.
    Das ist es, was den Menschen in dieser Zeit fehlt; Kunst kann Balsam für die Seele sein, sie hat etwas Versöhnendes (siehe Barenboim und sein West-Eastern-Diwan-Orchester). Vor dem Fernseher bleibt nur ein Bruchteil davon erhalten.

  2. 1.

    Traurig? Diese Jammerei ist unerträglich. Im Fußball finden Geisterspiele statt. Das geht hier auch. Streaming, TV ... es gibt eine Menge Möglichkeiten. Man muss sich mit mental umstellen. Die Finanzierung ist nochmal ein ganz anderes Thema. Aber grundsätzlich produziert werden kann alles auch ohne Publikum vor Ort.

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