Etüden per E-Mail - So arbeiten Berliner Musikschulen im Lockdown

Mo 01.02.21 | 18:11 Uhr | Von Hans Ackermann
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Symbolbild: Ein Musikschüler spielt Trompete beim Online Musikunterricht via Videoanruf mit einem Trompetenlehrer am Freitag, 3. April 2020, in Zürich. (Quelle: dpa/Alexandra Wey)
Audio: Inforadio | 01.02.2021 | Hans Ackermann | Bild: dpa/Alexandra Wey

Nicht nur die Berliner Schulen haben geschlossen, sondern auch die Musikschulen. Doch der Unterricht geht weiter - per Telefon, im Video-Stream oder mit hin- und hergeschickten Aufnahmen. Doch es gibt technische Grenzen. Von Hans Ackermann

Rund 5.000 Musikschülerinnen und Musikschüler erhalten derzeit keinen Unterricht an der städtischen Berliner Musikschule City West. "Nutzen Sie in Absprache mit Ihren Lehrkräften die Möglichkeiten zum Online-Unterricht" liest man dafür auf der Webseite.

"Wir haben gerade eine Abfrage gemacht bei unseren Lehrern", erzählt Josef Holzhauser, der Leiter der Musikschule. "75 Prozent des Unterrichts wird zurzeit online umgesetzt". Schon im ersten Lockdown habe er selbst Gitarrenunterricht am Bildschirm erteilt, gegenwärtig würden an seiner Musikschule etwa zwei Drittel der insgesamt etwa 300 Lehrerinnen und Lehrer diesem Beispiel folgen und online unterrichten.

Voraussetzung sei allerdings, dass die Eltern der Schülerinnen und Schüler einverstanden seien - was überwiegend der Fall sei, erzählt Holzhauser. Manche würden das digitale Angebot aber auch ablehnen und sagen "Mein Kind sitzt schon den ganzen Tag beim Home-Schooling vor dem Bildschirm - jetzt auch noch Musikunterricht, das möchte ich nicht."

Aufwändige Tutorials

Dabei produzieren manche seiner Kolleginnen und Kollegen mit Kameras und Mikrofonen aufwändige Tutorials und Lernvideos. Diese Instrumentallehrer, so Holzhauser, investierten in den Online-Unterricht genauso viel Zeit wie in die Vorbereitung und Durchführung einer herkömmlichen Klavier-, Gitarren- oder Geigenstunde.

Unterrichten könne man notfalls sogar per Telefon. Oft würden zwischen Schülern und Lehrern auch nur einfache Audio-Aufnahmen getauscht, erzählt Holzhauser, "von Schülern, die sich zu Hause selbst aufnehmen und die Aufnahme dann dem Lehrer bereitstellen."

Etüden per Mail

Einer dieser Lehrer, der aus dem Home-Office für die Musikschule City West unterrichtet, ist der Pianist Jochen Spaan. "Ich bekomme zum Beispiel von einem Schüler die Aufnahme eines Schumann- oder Beethoven-Stücks. Das höre ich mir dann an und werte es aus."

Gerade hat Spaan eine leicht verrauschte und mit deutlichen Pedal-Geräuschen versehene Aufnahme von einem Klavierschüler bekommen. Der 57 Jahre alte Pädagoge kann nun aufgrund seiner langjährigen Erfahrung allein vom Hören her wichtige Tips geben: "Ich kann mir beim Hören dieser Audios vorstellen, wie Bewegungsabläufe zu verbessern sind, wie man etwas besser greifen kann. Für das Feedback setze ich mich dann ans Klavier, mache selbst kleine Audios und schicke das dann dem Schüler."

Videos für die Kleinen

Der Austausch solcher kurzen Hörstücke habe sich vor allem bei älteren Klavierschülern bewährt, erzählt Spaan. Für die Jüngeren müsse er dagegen auch visuelle Angebote machen: "Bei kleinen Kindern ist es sehr wichtig, dass ich Videoaufnahmen von meinen Händen mache. Ich nehme zum Beispiel mit der Kamera des Smartphones meine rechte Hand von oben auf. Ich spiele eine Melodie und sage: 'Schau mal, hier kommt jetzt eine schwarze Taste', so kann ich das entsprechend kommentieren."

Die technische Qualität seiner Aufnahmen würde er gern weiter verbessern, erzählt Jochen Spaan. Ein geeignetes Mikrofon und andere notwendige Geräte muss er als freiberuflicher Klavierlehrer an der Musikschule City West allerdings aus eigener Tasche finanzieren. Insgesamt, betont Spaan, hätten sich die Musikschule und auch die Eltern in der Pandemie aber sehr solidarisch verhalten.

Solidarität durch Musik

Solidarität ist auch für die Kulturstadträtin von Charlottenburg-Wilmersdorf, Heike Schmitt-Schmelz (SPD), ein zentrales Anliegen. "Gerade in der Musikschule ist das sehr deutlich zu spüren, dass man aus meiner Sicht noch ein bisschen mehr zusammengewachsen ist und Ideen gemeinsam entwickelt hat", sagt sie. "Tutorials, Streaming-Konzerte, neue Formate wie 'Meet the Teacher', in dem Lehrerinnen und Lehrer gefragt und vorgestellt werden - all diese kreativen Produkte sind in einer Zeit entstanden, in der wir eigentlich ganz distanziert voneinander arbeiten, aber trotzdem gemeinsame Zugänge gefunden haben."

Damit der Musikunterricht auch im Lockdown seine wichtige soziale Bedeutung entfalten könne, habe die Berliner Kulturpolitik für die entsprechende finanzielle Sicherheit gesorgt, betont Schmitt-Schmelz: "Die Konzepte erstellt die Musikschule allein, aber von der Kulturverwaltung kommt die Zusage, dass wir auch Honorarzahlungen machen können. Dass Online-Unterricht auch als normaler Unterricht gewertet wird und dafür auch ein normales Honorar gezahlt werden kann."

Digitale Chorprobe am Händelgymnasium

So zufrieden man an den städtischen Musikschulen sein kann, so entwicklungsbedürftig bleibt einstweilen der Online-Musikunterricht an den allgemein bildenden Schulen. Schon sehr weit entwickelt ist das Konzept am Georg-Friedrich-Händel-Gymnasium in Friedrichshain. Dort proben normalerweise drei Orchester und sieben verschiedene Chöre. Ein Drittel der Händel-Schüler ergreife später einen Beruf in der Musik, erzählt der Chorleiter Jan Olberg, der seit mehr als 30 Jahren an diesem Berliner Musikgymnasium unterrichtet.

Seine rund 70 "Primaner" - wie der große Schulchor für die älteren Schüler heißt - ruft Olberg auch im Lockdown wenigstens ein Mal pro Woche zur Online-Chorprobe am Bildschirm zusammen. "Die Sängerinnen und Sänger wünschen sich das. Sie wollen ein Erlebnis haben, als seien sie in einer normalen Chorprobe. Sie wollen das Gefühl haben, sie singen zusammen - obwohl man sich nicht hört."

Denn bei den Proben, erzählt der Chorleiter und Dirigent, haben die Sänger am heimischen Bildschirm ihre Mikrofone stummgeschaltet. Die sogenannte Latenz, die technisch-bedingte Verzögerung der Onlineverbindung, sei für ein echtes gemeinsames Singen derzeit einfach noch zu groß. So eine "stumme Chorprobe" sei für einen Chorleiter eigentlich "unbefriedigend", sagt Olberg, er könne aber immerhin nach der Probe, "im Gruppengespräch" klären, was man beim Singen noch besser machen könne.

Obwohl in diesen digitalen Chorproben jeder für sich allein singt, ist man doch miteinander verbunden - über die Musik. Die kleinen stummen Bilder seiner Sängerinnen und Sänger auf dem Bildschirm setzt Jan Olberg im Kopf zum großen Chor zusammen und bei den beteiligten Jugendlichen stärkt das Singen nachhaltig die Gemeinschaft: "Es ist vor allem für die Chorsänger in der jetzigen Zeit das Gefühl da, wir sind zusammen, wir machen etwas. Ich glaube, dieser Aspekt spielt eine größere Rolle, als an Tönen zu feilen. Das ist nicht möglich in dem digitalen Raum, mit den technischen Bedingungen, die wir zur Zeit haben."

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Beitrag von Hans Ackermann

2 Kommentare

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  1. 2.

    Das ist nicht ganz richtig.... mit einer Ausnahmegenehmigung des Gesundheitsamtes kann eine Musikschule öffnen.... und diese werden auch erteilt. Ist kein Vorwurf an den rbb denn um das zu wissen braucht man Kontakte, das wird nicht an die große Glocke gehangen.

  2. 1.

    Na schön, nun schreibt sich die „Kulturpolitik“ die Ermöglichung des online Instrumentalunterricht auf ihre Fahne? Allein den kreativen und engagierten Lehrern und den solidarischen Eltern / Schülern ist es doch zu verdanken das die Honorare weiter fließen.
    Bitte besser recherchieren!

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