Fotoausstellung im öffentlichen Raum in drei Städten - "Miss You" - die Einsamkeit der Künstler ist unser aller Einsamkeit

Mo 01.03.21 | 17:28 Uhr | Von Cora Knoblauch
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Ata Macias, DJ, Musiker & Betreiber des Clubs Robert Johnson Frankfurt am Main, © www.MISSYOU.BERLIN FOTO Heinrich Völkel/OSTKREUZ // Erika Ratcliffe, Standup-Comedian © www.MISSYOU.BERLIN FOTO Sebastian Wells/OSTKREUZ // Anne Imhof, Künstlerin © www.MISSYOU.BERLIN FOTO Jordis Antonia Schlösser/OSTKREUZ
Video: Abendschau | 02.03.2021 | Bild: OSTKREUZ/Jordis Antonia Schlösser/Sebastian Wells/Heinrich Völkel

Eines kann auch die großzügigste Corona-Hilfe nicht ersetzen: den Kontakt zwischen Künstler und Publikum. Die Agentur Ostkreuz hat über 40 Künstler fotografiert - einsam und ohne ihr Publikum. In Berlin hängen die Fotos nun im öffentlichen Raum. Von Cora Knoblauch

Am deutlichsten ist vielleicht das Foto von Chansonier Max Raabe. Da steht er alleine auf einer leeren Bühne, adrett im Anzug wie immer, seine Stirn ist auf den Mikrofonständer vor ihm gesunken. Man meint, den Sänger leise schluchzen zu hören. Für manch einen scheint Kultur auch über Monate verzichtbar sein, für viele andere ist sie es nicht. Diese vielen Monate ohne Theater, ohne Konzerte, ohne Tanz und ohne Ausstellungen dehnen sich in die Unendlichkeit, viele Künstler und Künstlerinnen hatten vor einem Jahr das letzte Mal Kontakt mit dem Publikum.

Künstler ohne Applaus und Publikum

Die Kuratoren Susanne Rockweiler und Jürgen Reiche haben es nicht mehr ausgehalten. "Wir dachten vergangenen Herbst, dass wir dringend einen Weg finden müssen, trotz Lockdown Kulturschaffenden und Publikum wieder zu verbinden", erzählt Susanne Rockweiler. Die beiden hatten eine Idee. Wie wäre es, wenn man bekannte Musiker*innen, Tänzer*innen und Schauspieler*innen fotografiert an gewohnten und ungewohnten Orten, sie zeigt, wie es ihnen geht ohne Applaus und Publikum, und diese Fotos überall in der Stadt aufhinge?

"Das Ergebnis sollte die einfache Erkenntnis sein: wir alle gehören zusammen!", so die Initiatorin. Also fragten Rockweiler und Reiche die Firma Wall, die Tausende Leuchtkästen in Berlin verwaltet, ob sie einen Teil ihrer Schaukästen zur Verfügung stellen würde für diese ungewöhnliche Fotoaktion. Das Unternehmen hat ja gesagt. Fotografen der legendären Agentur Ostkreuz haben auch sofort ja gesagt, und die Kulturschaffenden, deren Kontakte Rockweiler, die jahrelang den Martin Gropius Bau als stellvertretende Direktorin leitete, in ihrem Adressbuch hatte, die haben sowieso ja gesagt. Und weil niemand gratis arbeiten sollte, schon gar nicht in diesen Zeiten, konnte ein ganzes Netzwerk an Unternehmen überzeugt werden, Honorare für alle zu spendieren.

"We miss you"

18 Fotografen haben sich mit insgesamt 52 Kulturschaffenden getroffen - von der Choreografin bis zum Puppenspieler, vom DJ bis zur Star-Künstlerin. Getroffen haben sie sich in Ateliers und geschlossenen Theaterhäusern, in Garderoben, in der Stadt, im Garten. "Sie alle sind Meister in ihrem Fach, wir wussten ziemlich schnell, wen wir dabei haben wollten", erzählt Susanne Rockweiler.

Neben Max Raabe sind unter anderem dabei die Schauspieler Stefanie Reinsperger und Lars Eidinger, der Keyboarder der Band Rammstein, Flake, die Künstler Anne Imhof und Thomas Struth, die Berliner Band Children und Cristina Gómez Godoy, Solo-Oboistin an der Staatsoper Berlin. Sie sitzt mit ihrem Instrument in den verwaisten Stuhlreihen der Staatsoper. Lars Eidinger, in Froschgrün samt grüner Gummihandschuhe schaut geistesabwesend durch eine Glasscheibe, die er vielleicht gerade geputzt hat.

"Lars Eidinger sieht aus wie der Froschkönig. Man möchte ihn am liebsten küssen, aber das geht ja nicht", schmunzelt Rockweiler. Für zwei Wochen werden die Fotos großformatig in Berlin, Hamburg und Baden-Baden hängen, dort wo normalerweise Werbung hängt. Die Kulturschaffenden raunen den Passanten zu: "We miss you!". Und wir rufen zurück: "Wir euch auch. Bis ganz bald!". So hoffen wir es wenigstens.

Sendung: Radioeins, 01.03.2021, 11:10 Uhr

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Beitrag von Cora Knoblauch

1 Kommentar

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  1. 1.

    Ahja, für Künstler ist Einsamkeit schrecklich. Für Fabrikarbeiter*innen ist Einsamkeit hingegen erbaulich. Und für Brandenburger Jugendliche (wie eine hochseriöse Studie der Bildungsministerin Britta Ernst belegte) ist Einsamkeit auch ok. Nur Künstler leiden gerade.

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