Oberkrämer im Berliner Speckgürtel - Wenn die Stadt aufs Land zieht

Mo 12.11.18 | 11:52 Uhr | Von Nele Pasch
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Oberkrämer (Bild: rbb/Nele Pasch)
Video: Brandenburg aktuell | 07.11.2018 | Nele Pasch | Bild: rbb/Nele Pasch

Der Speckgürtel rund um Berlin wächst - so auch die Gemeinde Oberkrämer. Immer mehr Städter kommen und sorgen für Veränderungen. Nicht alle in Oberkrämer sind damit einverstanden. Von Nele Pasch

Die Menschen dort fühlen sich wohl - im Speckgürtel rund um Berlin. Teil dieses Speckgürtels ist auch die Gemeinde Oberkrämer am nördlichen Berliner Ring, der gerade sechsspurig ausgebaut wird. Die Anbindung zur Autobahn ist da, die eigene Ausfahrt auch.

Doch mit der Anbindung durch die S-Bahn hapert es noch ein wenig, denn die fährt nur bis Hennigsdorf. Das allerdings hält die Menschen nicht davon ab, nach Oberkrämer zu ziehen. Seit der Wiedervereinigung hat sich die Einwohnerzahl mehr als verdoppelt. Mittlerweile leben hier mehr als 12.000 Menschen, und die Grundstückspreise haben sich in den letzten Jahren zum Teil vervierfacht.

Doch weiterhin gilt auch dort, dass der Traum vom Eigenheim mit Garten im Grünen in Oberkrämer noch zu einigermaßen erschwinglichen Preisen zu haben ist. Allein im Ortsteil Marwitz entstehen gerade innerhalb von gut zwölf Monaten 185 neue Einfamilienhäuser.

Angst um die dörfliche Identität

Es kehrt also Leben zurück, und doch sind die Bewohner zwiegespalten ob des schnellen Wachstums und der vielen Neuen. Die Alteingesessenen sorgen sich um ihre dörfliche Identität und darum, vom Großstadtgetue überrannt zu werden. Christoph Richter ist Erzieher in der Kita Krämer-Kids und findet, dass das Familiäre, das Oberkrämer schließlich auszeichne, verloren geht. Und diese Sorge äußern viele in Oberkrämer. Die Leute würden sich nicht mehr kennen und sich auch nicht mehr grüßen - etwa in der Post oder auf der Straße. Es sei nicht mehr wie früher.

"Natürlich gibt es immer Skepsis"

Christian Schulz ist Theater- und Kulturmacher aus Berlin. Dort betreibt er unter anderem Clärchens Ballhaus und die Märchenhütte im Monbijou-Theater. Er hat vor einigen Jahren das alte Schloss Schwante in einem Ortsteil von Oberkrämer gekauft, es aufwändig restauriert und nun wiederbelebt. Er sagt, er kenne die Vorbehalte: "Natürlich gibt es immer Skepsis, aber wir wollen uns mit den Leuten hier zusammentun, mit ihnen feiern und zusammen sein." Städter und Leute vom Land zusammenzubringen sei allerdings ein Prozess: "Es ist ein Abschnuppern. Man lernt sich neu kennen."

Berührungsängste, was intellektuelle Sachen angeht

Der Theatermacher will Kultur in den Speckgürtel bringen. Auf seinem Schloss finden unter anderem Lesungen, Märchenaufführungen, Sommer- und Winterfeste statt. Dinge, die es lange Zeit nicht gab in Oberkrämer. Trotzdem sind die Dorfbewohner skeptisch.

Siegfried Bahnweg wohnt in der Nähe von Schwante. Er gehört zu jenen, die das neue Kulturangebot mit Begeisterung annehmen. Er ist Stammgast. Die Bedienungen dort kennen ihn persönlich, er hat seinen Platz auf der Terrasse. Während er genüsslich an seiner Zigarette zieht, sagt er: "Ich habe jahrelang in der Uckermark gelebt. Da gab es gar nichts. Deshalb bin ich wirklich glücklich, dass es so ein Angebot im ländlichen Raum gibt." Das sei ja nicht so oft der Fall.

Neben Siegfried Bahnweg sitzt sein guter Freund Peter Riethdorf. Er lebt seit 40 Jahren in Berlin und fährt für die Veranstaltungen auf Schloss Schwante raus aufs Land. Und Riethdorf ist nicht der Einzige. Er beobachtet, dass die vielen Theaterveranstaltungen und Lesungen mehr von den Berlinern genutzt würden und nicht so von den Leuten, die in Oberkrämer wohnen. Das sei für ihn das einzig Traurige, "dass die Leute das nicht so richtig annehmen". Riethdorf überlegt und sucht nach Gründen. "Vielleicht sind es auch die Berührungsängste, was intellektuelle Sachen angeht. Vielleicht."

Die Zugezogenen "sollen rauskommen, mit uns reden"

Der Vorwurf an die Neuen lautet: Sie würden das Dorf mit ihrem Großstadtgetue überrennen, statt sich anzupassen, sich zu integrieren, selbst aktiv zu werden und teilzunehmen am Dorfleben. Philipp Gall aber hat genau das gemacht. Er lebt seit zwei Jahren hier und engagiert sich bei der Freiwilligen Feuerwehr. Das wird durchaus positiv registriert.

Devid Ostwald ist Gemeindewehrführer der Freiwilligen Feuerwehr Oberkrämer und findet es sehr wichtig, dass die Zugezogenen sich engagieren, dass noch mehr aus den Neubausiedlungen zu ihnen stoßen. Philipp Gall sei da dort derzeit noch so eine Art Exot.

Diese Hoffnung hat auch Andre Engel. Er kommt aus Oberkrämer und ist bei der Freiwilligen Feuerwehr, seit er ein kleiner Junge war. "Die da hinten in ihren Wohngebieten - sie sollen rauskommen, mit uns reden. Wir sind ja offen für jeden", sagt er. "Für jeden", der von sich aus den ersten Schritt macht wie Philipp Gall.

Gall hat sich getraut und es nicht bereut, wie er sagt: "Ich wurde so herzlich aufgenommen, das war wie Liebe auf den ersten Blick." Gerade für Leute, die neu dazuziehen, sei das das doch eine große Chance. Hier habe er die Leute aus Oberkrämer kennengelernt und ein gesellschaftliches Leben, das es so in der Stadt nicht gebe, sagt Gall. Lange habe er zuvor in hat lange in Berlin gelebt: "Dort ist es deutlich anonymer als hier in Oberkrämer."

Stadt und Land also können zueinander finden in Oberkrämer, und zwar genau dann, wenn die Städter bereit sind, sich einzubringen und einfach mitmachen beim Dorfleben.

Beitrag von Nele Pasch

11 Kommentare

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  1. 11.

    Den Artikel habe ich heute das 2. Mal gelesen und wieder bleibt das gleiche ungute Gefühl.
    Ich gehöre zu den "Neuen" Marwitzern. Wir haben Berlin schweren Herzens verlassen, da wir uns den Traum vom Eigenheim dort niemals hätten verwirklichen können. Jetzt leben wir bald 1 Jahr hier und fühlen uns total wohl. Wir pflegen gute Kontakte zu unseren Nachbarn und haben auch neue Freunde gefunden. Das Grüßen auf der Straße fällt uns auch gar nicht schwer.
    Schade wenn immer alle über einen Kamm gezogen werden. Zu Ostern waren wir beim Osterfeuer. Da kommt keiner auf einen zu, weil du neu bist und man dich dort noch nicht gesehen hat. In der "Saubucht" wurden wir aber sehr herzlich begrüßt. Es gibt eben solche und solche. Für ein Miteinander müssen sich alle bemühen!

  2. 10.

    Lieber Herr Teichert,
    sind Sie so nett und melden sich bei mir? Mich würde interessieren, was genau Sie erlebt haben.
    Nele.pasch@rbb-online.de - Herzlichen Dank.
    Beste Grüße
    N. Pasch

  3. 9.

    Diese Berichterstattung spottet jeder Beschreibung. Um sich zu integrieren bedarf es einer freundlichen und öffnen Begrüßung. Der Bürgermeister aus Oberkrämer tut ja gerade so, als wäre das gestern entschieden worde, ein Neubaugebiet zu errichten und damit seine Gemeinde vor dem Ausbluten zu schützen. Jetzt merkt man plötzlich das es an Kita Plätzen fehlt, dass es an Oberschulen mangelt. Das die Infrastruktur im Jahre 1995 stehen geblieben ist. Die Hände wurden gern aufgehalten als die Gebühren und Steuern, der Neuen, flossen aber nun sollen sich die Städter mal integrieren. Keine Sorge, wir fühlen uns auch ohne diese Kontakte sehr gut. Es entsteht eine eigene Kommuniti und Oberkrämer und seine Bevölkerung wird zum zweiten Mal in der Geschichte einfach abgehängt.

  4. 8.

    Das sind dann die, die mit den in der Studie besagten SUV an den Armen vorbeifahren und schlechte Luft machen... Sarkastisch gesagt,....

  5. 7.

    Hervorragend! Verlinken Sie dies doch bitte mit der Nachricht über die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, wie schlecht die Luft in den Arme-Leute-Quartieren ist! Je mehr Menschen also aus Berlin raus ins Umland vertrieben werden, desto besser für ihre Gesundheit!

  6. 5.

    Wohne seit 13 Jahren im Speckgürtel Berlins und habe den Schritt nicht bereut. Das Dorfleben ist interessant, gut besucht und die Leute sind alle sehr aufgeschlossen. Ich hätte diesen Schritt schon viel früher tun sollen.

  7. 4.

    Ich habe bis vor 4 Jahren auch versucht dort zu leben mit meiner Frau die nicht aus Deutschland ist .
    Aber die Anfeindungen und ständigen Diskremierungen haben uns wieder nach Berlin ziehen lassen.
    MfG CHRISTIAN Teichert

  8. 3.

    Kenne ich doch woher( bin in Westfalen aufgewachsen ).Typische Dörfler. Endlich rührt sich was, vor allem was das kulturelle Leben betrifft und dann ist man trotz allem unzufrieden mit der Entwicklung. Fremdeinwirkung. Der Speckgürtel um Berlin wird sicherlich sogar noch weiter anwachsen, da bin ich mir sicher.

  9. 2.

    Oh je... auch wenn es sehr abstrus klingt... Aber ich musste gerade an die Migrationsdebatte denken. Ja, ja... ich weiß. Aber offenbar hat jede Gruppe Probleme damit wenn Neue hinzustoßen und will sich lieber abschotten. Grenzen gibt es offenbar überall.

  10. 1.

    wir sind vor 10 Jahren nach Fürstenwalde/Spree gezogen und ein Häuschen gebaut wegen der Preise
    nach 5 Jahren sind wir wieder weggezogen wegen der fehlenden Kontakte-trotz Vereinstätigkeit------
    seit 5 Jahren sind wir wieder in BERLIN- das Haus mit Verlust verkauft---so ist daS Speckgürtelleben
    Jetzt fühlen wir uns wieder heimisch in UNSEREM Berlin, wo wir geboren und aufgewachsen sind-----

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