Der Mikrozensus in der Kritik - Die falschen Alleinerziehenden

Di 11.12.18 | 11:46 Uhr | Von Johanna Siegemund
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16.09.2018, Berlin: Zwei junge Familien mit Kindern begegenen sich, als sie über eine Straße gehen. Bei der einen Familie schiebt die Mutter den Kinderwagen, bei der anderen der Vater, Foto: Wolfram Steinberg/dpa
Audio: Inforadio | 10.12.2018 | Bernhard Kempf | Bild: dpa/Steinberg

Wer sein Kind ohne fremde Hilfe erzieht, gilt laut Gesetz als alleinerziehend. Wie viele es davon in Berlin und Brandenburg gibt, lässt sich aber gar nicht so leicht sagen. Denn die Statistik hat Zählschwierigkeiten bei den Alleinerziehenden. Von Johanna Siegemund

Eigentlich sind es gute Nachrichten: Die Zahl der Alleinerziehenden in Berlin und Brandenburg sinkt. Waren es in Berlin im Jahr 2013 noch mehr als 104.000 Alleinerziehende, ist die Zahl im Jahr 2017 auf knapp 99.000 Alleinerziehende gesunken. Auch in Brandenburg ist die Zahl von 62.000 Alleinerziehenden auf 57.000 zurückgegangen. Aber wie werden diese Zahlen erhoben?

Das Gesetz sagt: Alleinerziehend ist, wer ohne fremde Hilfe ein Kind erzieht. Die Statistik hat da eine andere Definition. Im Mikrozensus gilt man bereits als alleinerziehend, wenn man allein mit den Kindern in einem Haushalt wohnt. Die jährlichen Zahlen zu den verschiedenen Familienmodellen sind deswegen mit Vorsicht zu betrachten.

Der Mikrozensus soll einen Überblick über die Bevölkerung geben

Durch die statistische Erhebung können Aussagen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage sowie der Bevölkerungsstruktur in Deutschland getroffen werden. Das heißt, durch die Statistik wird dargestellt, wer, wie, wo und mit wie vielen anderen Haushaltsmitgliedern lebt. Auch, wie alt die Bevölkerung ist, als was sie arbeitet und ob sie zum Arbeitsplatz pendeln muss, kann mit dem Mikrozensus festgestellt werden. Verantwortliche aus Verwaltungen, Parlamenten und Wissenschaft beziehen sich auf die Statistik. 

Bei den Familienmodellen kommt der Mikrozensus an seine Grenze

Der Mikrozensus will unter anderem auch Familienstrukturen abbilden. Er erfasst die vielfältigen Lebensformen in Deutschland aber nur oberflächlich. So kann die Statistik lediglich abfragen, wer in einem Haushalt lebt. Mütter und Väter, die allein mit einem oder mehreren Kindern in einem Haushalt leben, werden automatisch "alleinerziehend" erfasst. Cornelia Spachtholz vom Verband berufstätiger Mütter kritisiert das: "Nur weil das Kind bei einem Elternteil gemeldet ist, heißt das nicht, dass es nicht auch von dem anderen Elternteil betreut wird oder beim anderen Elternteil ein zweites zu Hause hat."

"Getrennt erziehende" Eltern gibt es aber in der Statistik nicht. Dadurch entsteht eine Verzerrung des Begriffes "Alleinerziehend", die nur unzureichend bei der Veröffentlichung der Statistik erklärt wird. "Man muss in der Kommunikation klar und eindeutig sein", wünscht sich Spachtholz.

Nur gesetzlich vorgeschriebene Infos abgefragt

Eine zuverlässige Zahl zu den tatsächlich Alleinerziehenden wird nicht im Mikrozensus erhoben. Die Statistik kann lediglich darstellen, wie viele Haushalte es gibt, in denen ein Elternteil und Kinder gemeldet sind. Das liegt auch daran, "dass im Rahmen des Mikrozensus nur gesetzlich vorgeschriebene Informationen erfragt werden dürfen", erklärt Jörg Feilbach vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, die Befragung muss außerdem "praktikabel sein und die Auskunftspflichtigen sollten nicht überfordert werden."

Das wäre auch wichtig, um die Statistik mit anderen Ländern vergleichbar zu machen. Um Familienstrukturen und verschiedene Lebensmodelle zu vergleichen, eignet sich der Mikrozensus aus diesem Grund aber eher weniger - er kann nur ein Anhaltspunkt sein. 

Sendung: Inforadio, 11.12.2018, 10:45 Uhr

Beitrag von Johanna Siegemund

6 Kommentare

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  1. 5.

    Nur bei Alleinerziehung besteht Anspruch auf Unterhaltsvorschuß!

    Urteil VG Berlin 21. Kammer 21 K 111.16 vom 27.09.2016 zum Anspruch auf Unterhaltsvorschuss

    Zur Frage der Alleinerziehung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG.
    2. Die Kammer entnimmt den hierzu von der Rechtsprechung aufgestellten Maßstäben sowie der vergleichbaren gesetzgeberischen Wertung im Wohngeldgesetz (§ 5 Abs. 4 Satz 2) einen (quantitativen) Umfang von mindestens 1/3 der Betreuungszeit durch den anderen Elternteil, ab dem erst eine Alleinerziehung ausgeschlossen werden kann, wenn nicht außergewöhnliche Betreuungsleistungen die fehlende 1/3-Schwelle kompensieren.

  2. 4.

    Darauf bezieht man sich i.d.R., wenn von "allein erziehend" gesprochen wird. Worauf der Kommentar vermutlich hinweisen wollte, ist aber, dass das ein rechtlich nicht definierter Begriff ist. Wäre es ein definierter Rechtsbegriff, erschiene er womöglich im BGB. Das sollte er aber nicht. Denn staatlich festzuschreiben, was bzw. wann wer eine "echte" Familie darstellt und wann nicht, steht dem Staat nicht zu. Für elterliche Sorge, um die es hier hauptsächlich geht, sind BGB sowie SGB VIII zuständig.

    Was beim Artikel verwundert, ist die scheinbare Neuigkeit des Bundesamtes für Statistik, Ein-Eltern-Familien sowie Wechselmodelle bei gemeinsamer Sorge nicht angemessen abzubilden. Dieser Missstand war zuvor schon gegeben, was natürlich die Kritik daran nicht mildert.

    Ebenso verwunderlich: Erst gestern(?) erschien ein rbb-Artikel über zwei selbstbewusste, engagierte Mütter, die sich gegen eine Stigmatisierung stark machten. Warum soll es dann "gut" sein, nicht alleinerziehend zu sein?

  3. 3.

    Der von Ihnen zitierte Paragraph definiert den Mehrbedarf für Leistungsbezieher nach dem SGB II (umgangsspr. Hartz 4) welche alleinerziehend sind.
    Das ist doch aber keine allgemeine Definition?!

  4. 1.

    Zitat: "Das Gesetz sagt: Alleinerziehend ist..." - Gesetz und Paragraf, bitte.

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