Bürgerfrust und Bürgerbeteiligung - Berliner Thai-Wiese wartet weiter auf neues Konzept
Sonnige Ostertage locken wieder zahlreiche Besucher auf den Thai-Markt im Wilmersdorfer Preußenpark. Dabei ist der Verkauf auf der Wiese illegal. Die Politik verspricht seit Langem zu handeln. Doch die Anwohner verlieren die Geduld. Von Wolf Siebert
Mit den ersten warmen Frühlingstagen geht auch die Saison auf der großen Wiese im Wilmersdorfer Preußenpark wieder los. Eine Gruppe asiatischer Frauen sitzt auf einer Decke. Sie haben ihr Essen mitgebracht und auch die bunten Teekannen, die viele Berliner und Brandenburger im Thailand-Urlaub als Souvenir kaufen.
Wenige Meter weiter stehen die ersten professionellen Verkaufsstände. Thailändische, vietnamesische, laotische und koreanische Frauen frittieren im Wok Gemüse und Garnelen. Hungrige Kunden, viele aus dem Ausland, warten geduldig in der Schlange. Urlaubsstimmung.
"Die Wiese existiert nicht mehr"
Auf dem Balkon von Journalist Sven Blümel hingegen ist die Stimmung buchstäblich im Keller. Blümel wohnt seit mehr als 19 Jahren direkt am Park. Er hat miterlebt, wie aus der Preußen- die Thai-Wiese wurde: Trafen sich hier anfangs eine Handvoll thailändischer Familien zum Picknick, gibt es nun in der Hochsaison fast 100 Verkaufsstände. "Heute haben wir das totale Kontrastprogramm", sagt Blümel. "Die Wiese existiert nicht mehr, die haben die Verkäufer, die Touris und die Menschen, die da essen, zu Tode getrampelt. Früher wurde der Rasen noch bewässert mit einer unterirdischen Bewässerungsanlage, aber jetzt passiert da gar nichts mehr." Blümel nerven Lärm, Müll und Thai-Markt-Kunden, die in den Park pinkeln. In Rage bringt ihn auch, dass das Markt-Treiben illegal ist. Handeln, Kochen, Verkaufen sind im Park verboten. Und kaum ein Händler hat einen Gewerbeschein, Steuern zahlen die wenigsten.
"Wir wohnen hier ja nur"
Seit vielen Jahren wird das vom Bezirksamt geduldet, seit vielen Jahren versprechen Politiker immer wieder, dass das aufhören muss. Diese Vorgeschichte ist wichtig, um zu verstehen, warum Sven Blümel und andere Anwohner so wütend sind. 2016 kamen dann neue Stadträte ins Rathaus mit neuen Versprechen: Schluss mit "legal-illegal-scheißegal" auf der Thai-Wiese. Der grüne Bezirksstadtrat Oliver Schruoffeneger sagte damals im rbb: "Sie hat hohen Charme, und man muss sich überlegen, ob man den Charme erhält oder sie legalisiert. Wenn sie legalisiert wird, hat sie natürlich eine Zukunft, sie wird aber anders aussehen, dann kann sie zumindest in dieser Größenordnung nicht regelmäßig dort stattfinden." Die Monate gingen ins Land. Im Amt wurden Gelder besorgt, wurde geplant und an Konzepten gearbeitet. Aber auf der Wiese ging alles so weiter wie bisher.
Erst im Sommer 2018 beschloss dann die BVV Charlottenburg-Wilmersdorf, dass der Thai-Markt als "interkultureller Treffpunkt" erhalten werden soll, nun aber auf legaler Grundlage: Kochen mit Gewerbeschein, Kasse mit Steuernummer. Details sollen die Stadträte erarbeiten. Ganz wichtig aber: Bürger und Händler sollen in die weiteren Planungen einbezogen werden. Anwohner Blümel glaubt daran inzwischen nicht mehr: "Es gab gar keine Veränderungen. Ich habe versucht, mich im Herbst zu informieren. Auf meine Mails kam gar kein Rücklauf. Wir wohnen hier ja nur, wir zahlen Steuern, wir wählen, aber die Politiker interessiert das kein Stück, wie es uns hier geht."
Wer den Thai-Food-Markt besucht, findet eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: große Anbieter mit Ständen, an denen mehrere Menschen arbeiten, hier wird viel Geld verdient. Und dann sind da die Kleinen, die sich zur Rente oder Stütze etwas dazuverdienen. Männer, Alter 50 plus, die an einem Tisch sitzen. Einer trägt ein T-Shirt: "German Embassy Bangkok". Sie machen sich Sorgen um ihre Zukunft, denn sie haben gehört, dass das Bezirksamt die Zahl der Stände so gut wie halbieren will. Einer sagt: "Diese Asia-Läden, Imbisse, Restaurants, die haben die Logistik, die haben den Gewerbeschein, die haben alles. Und wir stehen hier und haben nichts". Es gibt nicht nur Sorge, sondern auch Enttäuschung. Vom Bezirksamt habe niemand mit ihnen und ihren Frauen gesprochen. Es gebe viele Ideen, aber es fehle ein Konzept.
Bürger möchten lieber konkrete Pläne als Visionen
Im Februar 2019 lud das Bezirksamt die Anwohner und die Händler zu einer Diskussion ein, offiziell der Auftakt der Bürgerbeteiligung - gut zweieinhalb Jahre nach der Kommunalwahl. Zunächst sollen sich die Zuhörer Entwürfe anschauen: Angehende Landschaftsarchitekten haben im Auftrag der zuständigen Stadträte Visionen für die Neugestaltung des Food-Markts und des Parks erarbeitet. Das Publikum darf Sympathiepunkte vergeben.
Die Nase vorn hat der Plan zweier Studenten, die den Thai-Markt an die Ecke des Parks verlegen möchten, wo niemand wohnt. Kein Verkauf mehr auf der Wiese und damit mehr Platz für Anwohner, die hier einfach nur entspannen wollen. Das Motto des Entwurfs lautet "Heimathafen", sagt eine der Macherinnen: "Es wird ein Multifunktionsgebäude geben, in dem die Marktmobile gelagert werden können, die können dann auf die Verkaufsfläche geschoben und wieder zurückgeschoben werden. Im Multifunktionsgebäude soll auch die Anlieferung geschehen und der Abtransport des Mülls." Die Bürger sind ungeduldig: Die Visionen finden sie interessant, aber handfeste Lösungen und Zeitpläne wären ihnen lieber. Auch Anwohner Sven Blümel meldet sich zu Wort. "Es ist ein Ding, wenn es in diesem Jahr so weitergeht, wie in den vergangenen zehn Jahren und die Politiker sagen: Wir brauchen Zeit." Eine Anwohnerin kritisiert: "Es gibt doch geltendes Recht. Wenn das aber nicht durchgesetzt werden kann, weil es kein Personal oder kein Geld gibt, dann nützt auch die schönste Landschaftsplanung nichts."
Die Realität dauert
Die Bürger wollen Taten sehen, und Stadtrat Oliver Schruoffeneger macht sich an die Arbeit. Er sucht nun ein professionelles Planungsbüro, das aus den Visionen der Studenten einen realisierbaren Plan macht. Das dauert bis Ende des Jahres. Und er muss einen Parkmanager finden, auch das kostet Zeit. Der Stadtrat weiß: Das beißt sich mit den Erwartungen der Bürger. "Vor zehn Jahren hätte jeder bei einer Planung von zwei Jahren gesagt: Das ist aber toll. Mittlerweile leben wir in einer derartig beschleunigten Gesellschaft, das alle sagen, das ist ja fürchterlich lang."
Für den Zorn und die Wut der Bürger hat er dennoch Verständnis. Seine Vorgänger hätten schließlich viel versprochen und nichts davon umgesetzt.
Schruoffeneger muss nun noch ein anderes wichtiges Versprechen halten, denn er soll möglichst bald Anwohner und Händler in ein professionelles Beteiligungsmanagement einbinden. Und er kündigt an: Ab Mitte 2020 soll nur noch am Rande der Wiese im Preußenpark gekocht und verkauft werden. Wenn das gelingt, könnte aus Wut wieder Vertrauen werden. Aber selbst in seiner Grünen-Fraktion hält man den Zeitplan des Stadtrats für "sportlich": Schon die Gartenbaufirmen seien über Monate ausgelastet.
Mitte Mai ist der Thai-Food-Markt erneut Thema in den zuständigen Ausschüssen der BVV, im August ist dann wieder ein Termin mit Bürgern geplant.
Geplanter Standort der Thai-Wiese
Sendung: Inforadio, 17.04.2019, 10:45 Uhr