Interview | Tiny-House-Architekt - "Ich interessiere mich für Ressourcen, die nicht in Nutzung sind"

Mo 22.04.19 | 16:01 Uhr
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Archiv: Architekt Van Bo Le-Mentzel 2017. (Bild: dpa/ picture alliance/ Paul Zinken)
Audio: 11.04.2019 | Inforadio | Vis à vis mit Van Bo Le Mentzel | Bild: dpa/ picture alliance/ Paul Zinken

Van Bo Le-Mentzel baut Tiny Houses - Mini-Häuser, die neue Anstöße für das temporäre Zusammenleben geben sollen. Auf einem großen Parkplatz in Berlin lässt er nun ein kleines Dorf auf Zeit entstehen. Im Interview erklärt Le-Mentzel, was er dort vorhat.

rbb: Herr Le-Mentzel, wie kommt man auf die Idee, auf einem Ikea-Parkplatz in Berlin-Lichtenberg ein Dorf zu errichten?

Van Bo Le-Mentzel: Es gibt Infrastrukturen in jeder Stadt in Deutschland - wahrscheinlich auch weltweit -, die ein Potenzial für intelligenten Wohnraum bergen. Ein Potenzial sind diese vielen Kundenparkplätze von Ikea, Rewe, Aldi, Höffner und so weiter. Die sind vielleicht scheußlich, aber man kann sie trotzdem vielleicht zu Oasen machen. Das Experiment ist herauszufinden, inwiefern man Plätze, die am Sonntag oder auch an vielen Tagen unterbesetzt sind, nutzen kann. Wir haben Wohnraummangel und Gentrifizierung. Müssen in diesen Zeiten Menschen, die nach Deutschland flüchten, oder Schüler, deren Schulen saniert werden, in scheußlichen Containern oder Turnhallen untergebracht werden? Ist das die Art und Weise, wie wir Menschen behausen?

Tiny House Ville Lichtenberg (Quelle: Imago/Kai-Uwe Heinrich)
| Bild: Imago/ Kai-Uwe Heinrich

Die Tiny Houses sind innen sehr kompakt und nicht teuer. Eine Idee war mal, für 100 Euro Miete monatlich auf sechseinhalb Quadratmetern zu vermieten - man kann sich darin waschen und man hat Strom. Warum lässt sich ein Möbelhaus wie Ikea darauf ein und wie bekommt man die Genehmigung dafür?

Man braucht einen öffentlichen Diskurs, das ist ohne Frage so. Wir müssen das gemeinschaftlich mit den Behörden, mit den Politikerinnen und Politikern, mit den Nachbarn und mit den Kritikern debattieren. Da gibt es sehr viele, die sagen, so ein Experiment kann vielleicht auch zu Gentrifizierung führen. Es geht um die Frage, wie wir soziale Nachbarschaft produzieren können. Wir haben ja das Phänomen in Großstädten wie Berlin, dass viele Menschen vereinsamen. Wir haben auch das Phänomen, dass viele junge Menschen gar nicht erst zu Wohnraum kommen. In den Niederlanden oder auch in Göttingen ist es katastrophal, die schlafen in Turnhallen, weil sie kein WG-Zimmer finden. Wir wissen, dass es mittlerweile eine prekäre Situation gibt vor allem bei jungen Frauen und schwulen Männern, die sich prostituieren müssen, um in Kreuzberg ein Zimmer zu bekommen. Das sind alles Zustände, die nicht haltbar sind. Wir können nicht zehn Jahre warten, bis die ersten bezahlbaren Wohnungen entstehen. Ich könnte mir vorstellen, dass man auch Wirtschaft neu denkt und überlegt, Shops, Kita, Schule, Industrie und Wohnen im Miteinander entstehen lassen. Das ist eigentlich meine Vision, das Menschen gemeinsam eine Stadt bauen und es keinen Masterplan von oben nach unten gibt.

Die Autofahrer, die sich das Billy-Regal einladen, werden natürlich komisch gucken und hoffentlich ihr Auto langsamer dran vorbeilaufen lassen. Wie ist das geregelt?

Da sind mehr als 1.000 Parkplätze, wir nehmen nur 19 Parkbuchten davon in Anspruch. Das heißt, es fällt niemandem auf. Wir haben uns auch mit Absicht einen Parkplatz ausgesucht, der in einer Sackgasse wenig benutzt wird. Ich interessiere mich für Ressourcen, die einfach nicht in Nutzung sind. Das sind die Orte, wo wir gerne mit unseren Tiny Houses hingehen.

Man muss bei dieser Idee selber mit Hand anlegen und kann sich nicht einfach ein Haus kaufen. Wenn ich Material besorge und baue – wie lange darf ich dort wohnen

Wir machen eine Ausstellung, die vier Wochen lang immer von Mittwoch bis Sonntag geht. Der Eintritt von fünf Euro refinanziert das Projekt. Wir wollen Entscheider aus der Politik, aber auch aus der Zivilgesellschaft, einladen, um genau über diese Fragen zu sprechen. Vereinsamung, Gentrifizierung, bezahlbare Mieten, Enteignung -  sind das die Rezepte für die Stadt der Zukunft? Oder wird das uns eher die Suppe versalzen? Wir nennen das Küchengespräche und wir machen diese Gespräche in unseren Küchen unserer Tiny Häuser.

Tiny House Ville Lichtenberg (Quelle: Imago/ Kai-Uwe Heinrich)

Wie lange braucht man eigentlich um so ein Haus zu bauen - ganz praktisch, wenn man das zu zweit zu dritt macht?

Wenn man zu dritt das "Tito-Haus" baut – das ist ein ganz bestimmtes Modell zum Selberbauen - braucht man genau elf Tage und 11.000 Euro.

Sind solche Ideen in Berlin willkommen?

Hinter dieser Frage steckt letztendlich die übergeordnete Fragestellung: Wem gehört die Stadt? Wer bestimmt darüber, wie Straßen aussehen, was auf Parkplätzen passiert, was auf Gehwegen passiert? Sind es die Gastronomen, die darüber bestimmen dürfen, oder sind es die Nachbarn? Sind es die Senioren, die Fahrradfahrer, die Autofahrer, der Lieferverkehr?  Das ist ja auch nicht so einfach zu beantworten. Ich weiß nur, dass es viele Menschen gibt, die sich ehrenamtlich engagieren für eine autofreie Stadt oder für Tempo-30-Zonen für bessere Luft.

Nun gibt es viele Bürger, die ihr altes Sofa auf der Straße stehen lassen oder die Flasche, nachdem sie sie ausgetrunken haben, einfach hinter sich werfen. Da ist doch der Kontakt ein bisschen schwierig, wenn man so ein Dorf plant, oder?

Sie sagen es. Das sind genau diese dunklen Flecken einer Utopie oder von radikalen Ideen. Wenn man ein Gemeinschafts-Kompostklo hat, ist am Ende die Frage: Wer zieht die Handschuhe an und macht sauber? Am Ende muss irgendjemand diese Klobrille einfach sauber machen. Da scheitert man an so einfachen Fragen wie "Wer macht das jetzt?". Am Ende ist es oftmals der Kurator. Der muss dann die Gummihandschuhe anziehen und die Klobrille säubern. Das ist ja auch okay so. Es gibt ja auch Politiker*innen, die das machen und wirklich auf die Straße gehen, um sauber zu machen. Man muss mit positivem Vorbild vorangehen und eine Kultur daraus machen. Nicht mit Gesetzen, sondern mit Kulturtechniken müssen wir es schmackhaft machen, dass jeder einzelne Verantwortung für seine Straße übernimmt.

Sendung: Inforadio, 11.04.2019, 09:45 Uhr

Dias Interview mit Van Bo Le-Mentzel führte Christian Wildt für Inforadio. Dieser Text ist eine redigierte und bearbeitete Fassung. Das vollständige Gespräch können Sie oben im Beitrag im Audio hören.

4 Kommentare

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  1. 4.

    Le-Mentzel verbreitet dieses Konzept ja schon seit Jahren: soziale Segregation. Statt auf Augenhöhe darüber zu diskutieren, dass sozialer Wohnungsbau zum Selbstkostenpreis wiedererlangt werden muss, hält er es ernsthaft(Satire?) für würdevoll, Menschen desolate Orte als Überlebensnischen vorzuschlagen. Symptomklempnerei u. das auch nur für diejenigen, die unkompliziert u. anspruchslos sind, wobei "anspruchslos" offenbar bedeuten kann, erst 11.000€ zu blechen, um dann in überteuertem Quadratmeterpreis zu "wohnen".

    Alternative Wohnformen, inkl. Hausbesetzung, befürworte ich definitiv. Die soziale Ausgrenzung u. hier vor allem Segregation zu forcieren, ist nicht würdevoll, sondern entwürdigend u. hat nichts mit alternativem Wohnen zu tun. Solch eine Hütte als grds. für jedermann akzeptabel zu halten, bedeutet, sich sklavisch der neoliberalen Ordnung zu ergeben.

    "Tiny Houses" sind zudem nicht das Werk Le-Mentzels, sondern meinen einen Sammelbegriff für Häuser unter 50m².

  2. 3.

    Ach, der olle Zille! Der hatte ja keine Ahnung! Das ist wie mit den Großraumbüros: Die galten früher als der Inbegriff entmenschlichender Ausbeutung, wo der Mensch zu einem Anhängsel seines Schreibtischs und -geräts degradiert wurde. Heute finden die jungen Leute das ultraschick und höchst erstrebenswert, sich in einem "open workspace" dauerüberwacht als Lohnsklaven verdingen zu dürfen. Oder rund um die Uhr erreichbar sein zu müssen, auch und gerade für den Arbeitgeber - früher hat man solche Leute bemitleidet.

    Man muss den Sachen eben nur einen schönen englischen Namen verpassen und sie dann als schwer hip und trendy verkaufen, eventuell noch mit ein wenig pseudophilosophischem Marketingblabla. Dann schlucken die freudigen Insassen des Kapitalismus des 21. Jahrhunderts nicht nur alles, sondern verlangen sogar noch mehr von dem Dreck.

  3. 2.

    Zu einer Behausung in dieser Größe, Wohnung möchte ich so etwas nicht nennen, fallen mir 2 Sachen ein.
    1. Wohnklo
    2. ein Zitat von Zille: Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genauso erschlagen wie mit einer Axt.

  4. 1.

    Also bei 100 Euro für 6,5 qm sind das gut 15 Euro pro qm. Damit mehr als drei Mal so viel, wie die von Kotti & Co geforderte Miete von 4,50 Euro pro Quadratmeter. Klingt nach Wuchermieten für Tiny-Houses.

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