Unser Wald | Streit in Treuenbrietzen - Kahlschlag oder Totholz? Was nach dem Brand passieren soll

Mo 09.09.19 | 20:02 Uhr | Von Wolfgang Albus
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15.02.2019, Brandenburg, Treuenbrietzen: Große Flächen des abgebrannten Waldes nahe der Bundesstraße 102 sind bereits gerodet (Quelle: dpa/Patrick Pleul)
Bild: dpa/Patrick Pleul

Privatwaldbesitzer bei Treuenbrietzen haben sich mit einem Kahlschlag von ihrem abgebrannten Wald verabschiedet. Der Förster im Stadtwald macht das Gegenteil. Was ist richtig? Der Streit darum entwickelt sich zu einer Grundsatzdebatte. Von Wolfgang Albus

Wolfgang Seehaus, graue Haare, Bart und dezente Brille, gehört zu einer privaten Genossenschaft, die 180 Hektar Wald in Treuenbrietzen verloren hat. Den 23. August 2018 wird er niemals vergessen: Waldbrand und Sturm – das ist an diesem Tag eine unheilvolle Mischung. Das Feuer wird immer stärker angefacht. Als es sogar eine Bundesstraße überspringt, ist den Waldbesitzern klar, dass es für ihre Flächen keine Rettung mehr gibt. Der Brand in Treuenbrietzen ist einer der schwersten Waldbrände in der Geschichte Brandenburgs. Als die Feuerwehr die Lage unter Kontrolle gebracht hat, ist auch der Wald der privaten Genossenschaft zerstört.

Kahlschlag als Notwehr gegen Käfer

Schnell treffen die Eigentümer eine folgenschwere Entscheidung: Sie lassen die gesamte Fläche abholzen – ein kompletter Kahlschlag – und pflanzen einen neuen Wald. Denn sie verfolgen wirtschaftliche Interessen und fast ebenso sehr wie das Feuer fürchten sie den Borkenkäfer, der besonders gerne in frischem Totholz nistet. Ärgerlich, aber auch ängstlich blicken sie nun auf den benachbarten Stadtwald der Gemeinde Treuenbrietzen. Dort ragen die schwarz verkohlten Bäume in den Himmel. In den Augen der privaten Waldbesitzer ist dies eine ideale Brutstätte für bald massenhaft auftretende Schädlinge.

Schutz unter toten Bäumen

Stadtförster Dietrich Henke hingegen kann die Aufregung nicht verstehen. Er bekommt Rückendeckung aus der Wissenschaft. Stimmen aus der Fachhochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde ermutigen ihn, auf einen Kahlschlag zu verzichten. Das erweist sich in diesem Jahr als richtig: Die toten Bäume spenden im Sommer wenigstens Schatten und speichern über die Wurzeln Feuchtigkeit für alles, was da künftig wachsen soll. Die privaten Waldbesitzer hingegen müssen einen Teil der Neuanpflanzung mit künstlicher Bewässerung über die Runden bringen.

Die Natur hilft sich selbst

Im Stadtwald hingegen lässt man zunächst der Natur ihren Lauf. Es kommen sogar schon junge Kiefern hoch, die sich natürlich vermehrt haben. Henke spricht von einer Selbstheilung des Waldes. Pierre Ibisch, Professor an der Hochschule Eberswalde, hält diesen Ansatz für vernünftig. "Man darf durchaus auch einmal Wildnis oder wilde Prozesse zulassen." Das könne sinnvoll sein, wenn sich der Wald nach einem Brand regeneriert. Es sei ja nicht ausgeschlossen, dass man später andere Bäume zusätzlich pflanzt, die einen höheren Ertrag versprechen.

Für Privateigentümer ist Wald ein wichtiger Wirtschaftsfaktor

Rund 61 Prozent der gesamten brandenburgischen Waldfläche ist in Privatbesitz. Die übrigen 29 Prozent gehören dem Land Brandenburg, dem Bund sowie Gemeinden, Städten und kommunalen Stiftungen. Für Privateigentümer ist der Wald in der Regel mit langfristigen wirtschaftlichen Interessen verbunden. Der Kahlschlag nach dem Brand, verbunden mit dem Verkauf des Holzes, und schnelle Wiederaufforstung sind für sie auch finanziell wichtig. Anders ist es oft bei Wäldern, die nicht in Privatbesitz sind. Hier verfolgt man beim Waldumbau meist andere Ziele und setzt auf ein ökologisch orientiertes, artenreicheres und naturnahes Konzept. 

"Schlauere" Waldbewirtschaftung

Wie ein Wald nach einem Brand ohne einen kompletten Kahlschlag umgebaut werden kann, ist allerdings auch für die Wissenschaftler Neuland. Ein Forschungsprojekt soll nun den Umbau des Stadtwaldes in Treuenbrietzen begleiten und eine "schlauere" Waldbewirtschaftung erproben. Die ersten Bäume sollen frühestens im Herbst 2019 gepflanzt werden.

Neben solchen aktiven Pflanzungsmaßnahmen sollen auch Naturverjüngungsprozesse gesteuert werden: Manche Baume siedeln sich ohne Zutun der Förster an. Das sind häufig Birken oder Kiefern, aber manchmal auch Laubbäume. Stadtförster Dietrich Henke versichert: "Die Waldbewirtschaftung verfolgt das Ziel, einen möglichst widerstands- und anpassungsfähigen Mischwald aufwachsen zu lassen, der nicht in wenigen Jahren wieder verbrennt oder austrocknet."  

"Der Wald ist keine Holzfabrik"

Die Frage lautet also: Kahlschlag und schnelle Aufforstung oder Totholz erstmal stehen lassen? Der Richtungsstreit, der um den Wald in Treuenbrietzen entbrannt ist, hat auch grundsätzliche Bedeutung, seit Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) im März 2019 den Waldbauern einen Besuch abstattete. Sie versprach Hilfen bei der Wiederaufforstung.

Eine Reihe prominenter Wissenschaftler sieht darin ein "Weiter so!", das nicht mehr in die Zeit passe. Sie fordern eine Abkehr von einer Betrachtungsweise, die den Wald vorrangig als Holzfabrik sieht. Schließlich habe ein eng gepflanzter Plantagenwald aus Kiefern erst zu den aktuellen Waldbrand- und Schädlingsproblem geführt. Es käme einer ökologischen Katastrophe gleich, wenn auf Tausenden Quadratkilometern kahlschlagartige Sanitär- und Räumungshiebe durchgeführt würden.

"Ruhepausen" für den gestressten Wald

"Wir brauchen endlich Ruhepausen für den Wald in Deutschland, der jahrhundertelang ausgebeutet wurde", sagt Naturschutzwissenschaftler Pierre Ibisch. Er fordert ein neues, ökologisch orientiertes Konzept für den zukünftigen Wald. Keinen hektischen "Waldumbau", sondern schlicht Waldentwicklung – hin zu mehr Naturnähe, die dem Wald als Ökosystem den notwendigen Spielraum belässt, selbstregulierend auf die sich abzeichnenden Umweltveränderungen reagieren zu können.

Kommt der Angriff der Käfer?

Waldbesitzer Wolfgang Seehaus ist von diesen Argumenten nicht überzeugt. "Wir müssen mit dem Wald auch Geld verdienen, damit wir uns die Aufforstung überhaupt leisten können." Über 60 Prozent der Waldflächen in Brandenburg sind in privater Hand. Dort entscheidet sich also, wie der Wald der Zukunft aussieht. Eine Entscheidung, über Richtig oder Falsch will er auf die nächsten Jahre verschieben. Er fürchtet eine Borkenkäferplage: "Dann werden wir sehen, wer Recht hat."

Sendung: rbb-Fernsehen, 09.09.2019, 21:00 Uhr

Beitrag von Wolfgang Albus

4 Kommentare

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  1. 4.

    Angesichts der sich langsam durchsetzenden Erkenntnisse über die Bedeutung des Waldes für das globale und regionale Klima muss man sich fragen, inwieweit es noch zeitgemäß ist, Wald ausschließlich als Wirtschaftsfaktor zu betrachten.
    Ob der hektische "Waldumbau zu Mischwald", der allerorten betrieben wird, nicht oft auch ein Vorwand für massive Abholzungen aus eher wirtschaftlichen Gründen ist, bliebe ebenfalls zu hinterfragen.
    Die hier verfolgte Konzept einer natürlichen Waldentwicklung hin zu einem natürlichen Wald erscheint mir da wesentlich plausibler.

  2. 3.

    Das ist wahrscheinlich keine gute Idee, auf Sandboden, bei der Trockenheit.

  3. 2.

    Und wie soll das gehen mit den Buchen? Buchen sind eine Schattenbaumart die zudem keine langen Trockenperioden und auch keine grosse Kaelte aushalten. Sie benoetige mehr als 650 Millimeter Niederschlag im Jahr und lehmige Boeden. Im brandenburger Kontinentalklima selten zu finden...
    Dort wo die Standortbedingungen passen: Herzlich gern!

  4. 1.

    Ich würde vorschlagen Buchenbäume anzupflanzen.

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