Interview | Theologin Daniela Berg - "In vielem erleben Trauernde die Dinge sehr gleich"

So 24.11.19 | 11:34 Uhr
Symbolbild: Ein Friedhof im Herbst (Quelle: imago images/Arnulf Hettrich).
Audio: Inforadio | 21.11.2019 | Interview mit Daniela Berg | Bild: imago images/Arnulf Hettrich

Die Potsdamer Theologin Daniela Berg hat vor etwa sieben Jahren ihre Tochter durch Krebs verloren. In einem Buch hat sie Briefe und Mails aus dieser Zeit zusammengefasst. Wie neben der Trauer auch Glück existieren kann, darüber sprach sie im rbb-Interview. 

rbb: Frau Berg, Sie leben mit ihrem Mann und Ihrem Sohn in Potsdam. Ihre Tochter Marlene haben Sie verloren, als sie 15 Jahre alt war. In Ihrem Buch beschreiben Sie, was Sie in dieser Zeit erlebt und gefühlt haben. Welche Reaktionen sind Ihnen begegnet?

Daniela Berg: Viele Trauernde haben sich in dem, was ich beschrieben und erlebt habe, wiedergefunden. Ich habe dann auch gedacht, dass es neben dem persönlichen Charakter, den jede Trauer hat, auch etwas Universelles gibt, was alle Trauernden miteinander vereint. Klar spielen die Lebensumstände eine Rolle und die Art des Todes. Aber in vielem erleben Trauernde die Dinge sehr gleich. Ich glaube für die Trauernden, die mich angesprochen haben, war es sehr wertvoll, einen ganz persönlichen Erlebnisbericht lesen zu können.

Ich hatte beim Lesen Ihres Buches das Gefühl, es war eine Art emotionaler Kraftakt, wie sie sich aus der Trauer herausgearbeitet haben. Wie haben Sie das geschafft?

Kraftakt ist ein gutes Wort. Ich fand es unheimlich anstrengend. Als klar war, dass Marlene sterben würde, habe ich mir vorgenommen: Jetzt wird die Zeit dran sein, wo Trauern meine Aufgabe ist. Ich empfand es wirklich wie einen Zweitjob. Man spricht nicht umsonst von Trauerarbeit.

Mir haben verschiedene Dinge geholfen: Zum einen, die Dinge selber in die Hand zu nehmen, um damit auch ein Stück weit dieser Ohnmacht, die man ja in so einer Situation erlebt, etwas entgegensetzen zu können. Für mich war Bewegung total wichtig. Ich habe sowieso schon immer gejoggt und habe das dann intensiviert. Wenn ich gerade wieder emotional am Boden war und es dann geschafft habe, rauszugehen und ein paar Schritte zu laufen, dann hab ich gesehen: Die Sonne scheint doch noch und der Wind weht mir um die Nase. Und ich hab vielleicht eine gute Nachbarin getroffen. Dann kam ich raus aus diesem Loch, in dem ich in dem Moment saß. Ich hab auch Glück gehabt, dass ich ein Netzwerk von Menschen habe, wo ich mit dem sein konnte, was gerade dran war: Trauer, Schmerz, immer wieder auch das Gleiche erzählen. Das war ein großes Geschenk in der Zeit.

Was war der erste Moment, in dem Sie wieder Glück empfunden haben nach dem Tod von Marlene?

Das war erstaunlicherweise gar nicht so lange nach Marlenes Tod. Wir sind gleich nach ihrer Beerdigung zu dritt in den Winterurlaub gefahren. Da gab es beim Snowboardfahren auf der Piste  einen Moment, wo ich mir eingestehen musste: Jetzt erlebe ich hier so etwas wie Glück. Ich habe mich fast nicht getraut, mir das einzugestehen und dann aber gedacht: ja, warum eigentlich nicht? Dieses Nebeneinander von Trauer und Glück hab ich sehr schnell erlebt. Ich glaube, man muss sich das ein Stück weit erlauben, dieses Glück zuzulassen, die Freude zuzulassen.

Darf ich nach einem solchen Verlust glücklich sein: Stellen Ihnen Menschen diese Frage, die sie professionell als Coach oder Trauerrednerin betreuen?

Ich erlebe oft, dass sich Menschen diese Erlaubnis nicht geben, aus welchen Gründen auch immer. Ich stelle dann immer die Frage: Wem ist denn damit geholfen, wenn Sie sich jetzt nichts Schönes mehr erlauben? Damit ist niemandem geholfen. In der Trauer war es für mich wie ein Leitfaden zu gucken: Dient das jetzt dem Leben? Dient es dem Zusammenleben mit den Menschen, mit denen ich zu tun habe, meinem Mann, meinem Sohn? Das war für mich ein bisschen der Kompass, Dinge zu tun oder zu lassen.

Sie begleiten Menschen beim Abschied als Coach oder auch bei der Telefonseelsorge. Wie kann man Menschen trösten, die man eigentlich nur kurz kennt?

Manchmal ist es sogar leichter, wenn man den entsprechenden Abstand hat. Wir sprechen bei der Telefonseelsorge immer von einem temporären Beziehungsangebot. Das ist dann zeitlich sehr begrenzt. In dieser Zeit kann man sich aber ganz und gar auf den Menschen einlassen. Und der Trost besteht - wie so oft - einfach im Dasein und Zuhören. Wenn die Menschen zu mir in die Praxis kommen, haben wir natürlich mehr Möglichkeiten, auch längerfristig zu arbeiten. Da kann dann ein ganzer Prozess der Begleitung beginnen.

Wie kann ich der Trauer im Alltag Raum geben?

Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, mir bewusst Zeiten zu sichern. Ich bin relativ bald nach Marlenes Tod wieder arbeiten gegangen und fand das gut und hilfreich. Arbeit kann eine ganz gute Ablenkung sein. Auf der anderen Seite habe ich schnell gemerkt, wie ich an meine Grenzen kam, körperlich erschöpft war. Ich musste mir Freiräume suchen und habe mir auch Freiheiten genommen. Also eben auch eine Verabredung abgesagt oder gestrichen, was ich mir vorgenommen hatte. Einfach im Sinne einer guten Sorge für mich selbst. Auch dafür braucht es im Vorfeld eine Entscheidung und ein Bewusstsein, dass man schlecht nebenbei trauern kann. Je schwerer der Verlust ist und je schwerer die Trauer wiegt, umso mehr Zeit muss man sich eigentlich dafür nehmen.

Sie haben geschrieben, Sie fühlen sich manchmal als zwei Mütter. Nach außen hin haben Sie natürlich einen Sohn, nach innen haben sie auch ihre Tochter. Auf welche Art ist Marlene bei ihnen?

Ich merke gerade, dass das schwierig zu beantworten ist. Einerseits ist sie natürlich so klar und fest in meinem Herzen, dass es daran gar nichts daran zu rütteln gibt. Am Anfang hatte ich Angst, ich könnte sie irgendwann vergessen. Heute denke ich: Wie konntest du davor Angst haben? Denn es wird bis an mein Lebensende ganz sicher nicht passieren. Es gibt auch jetzt immer noch Momente, wo ich zum Beispiel in einem Laden ein grünes Kleid hängen sehe - grün war Marlenes Lieblingsfarbe - und für eine Sekunde denke: Oh, das würde ihr gefallen. Wenn ich mich dann daran erinnere, sie wird es leider nicht mehr tragen können, ist es immer wie ein Erwachen aus einem Albtraum. Von daher ist sie ganz präsent. Wenn ich junge Frauen aus ihrer Klasse erlebe oder eine Nichte von mir in einem ähnlichen Alter, sehe ich eigentlich immer auch ein Stück weit Marlene und versucht mir vorzustellen, wie sie gerade ist. Und von daher ist sie immer da.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mit Daniela Berg sprach Aurelie Winker für Inforadio. Dieser Beitrag ist gekürzt und redaktionell bearbeitet. Das Originalinterview können Sie mit Klick auf das Audiosymbol oben im Artikel nachhören.

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