Interview | Prostituiertenschutzgesetz - "Ich habe die Zwangsberatung als Zumutung empfunden"

Di 04.02.20 | 06:15 Uhr
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Sexarbeiterin Ruby (Quelle: Mademoiselle Ruby)
Bild: Mademoiselle Ruby

Vor fünf Jahren hatte sich die Große Koalition auf eine Reform des Prostitutionsgesetzes geeinigt - zum Schutz der Sexarbeiter*innen. Doch als "Schutz" empfindet die Berliner Sexarbeiterin Ruby das 2017 in Kraft getretene Gesetz nicht, vielmehr als Stigmatisierung.

Seit zweieinhalb Jahren müssen sich Prostituierte und Sexarbeiter für die Ausübung ihrer Tätigkeit anmelden, das sieht das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz vor. Die Bundesregierung versprach sich von dem Gesetz mehr Schutz für Prostituierte, denn Menschenhandel und Zuhälterei sollten unterbunden werden.

Interessenverbände im Bereich der Sexarbeit beobachten jedoch eine gegenteilige Entwicklung: Viele Prostituierte würden sich nicht registrieren, aus Angst vor der Stigmatisierung durch den Pass. Zudem verletze das Gesetz das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, denn Informationen zum Sexualleben werden samt Namen und Adresse bei den Behörden gespeichert.

rbb|24: Mademoiselle Ruby, unter ihrem Künstlernamen sind Sie seit 2016 hauptberuflich als Sexarbeiterin tätig. Mit Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes am 1. Juli 2017 haben auch Sie sich registrieren müssen. Wie haben sie die Gesundheitsberatung empfunden?

Ich habe mich damals in Nürnberg registrieren lassen, weil ich zu dem Zeitpunkt dort gearbeitet habe. Zwei Termine waren erforderlich. Der erste, die Gesundheitsberatung, war auf Augenhöhe. Die Beratung war wohl eine Studentin oder junge Sozialarbeiterin, für die extra diese Stelle geschaffen wurde. Das Gespräch war sehr angenehm, hat mich aber nicht wirklich weitergebracht. Was ich gesundheitlich über meinen Beruf wissen muss, kann mir eine Sozialarbeiterin in der Regel nicht beantworten, selbst Gynäkologinnen haben manchmal Mühe, wenn es um sexuell übertragbare Krankheiten geht.

Darauf folgte ein zweiter Termin zur Aufklärung?

Das war die sogenannte Belehrung. Die war hingegen sehr kalt, es ging um Auflagen und Pflichten. Dafür wurde man eigens zu einer Justiziarin ins Zimmer gesetzt und ganz offensichtlich hatte die Frau Probleme mit dem Thema. Sie hat mich nicht angeschaut, hat das Gesetz runtergerattert. Dann fragte sie mich, was ich genau mache. Als ich meinte, dass ich im S/M-Bereich bin, sagte sie, das habe sie noch nie gehört. Da war viel Wertung drin und Selbstmitteilung. Sie stellte auch viele Suggestivfragen, die sich um den Ausstieg drehten. Zum Beispiel fragte sie mindestens zehn Mal, ob ich in einer Zwangslage bin, weil Menschen wie sie sich nicht vorstellen können, dass ich meinen Beruf freiwillig ausübe.

War die Registrierung aufwändig?

Dieses Bundesgesetz wird in den Ländern überall anders umgesetzt, und es geht bei der Anmeldung oft chaotisch zu. Einige Bundesländer haben für das Gesetz zügig Infrastrukturen geschaffen, wie Baden-Württemberg oder Bayern. Termine konnten in Bayern schon ab Oktober 2017 vereinbart werden. In Berlin hat das ein Jahr länger gedauert. Nürnberg war sehr streng: Ohne Pass durfte ich nicht arbeiten. Aber es gab Ende 2017 einen extremen Terminstau. Ich weiß von vielen anderen, dass sie die ersten Wochen 2018 nicht arbeiten konnten.

Jetzt arbeiten sie wieder in Berlin. Ist der Ablauf hier ein anderer?

Alle zwei Jahre muss laut Gesetz der Ausweis erneuert werden, bei mir also ganz aktuell 2020. In der Zwischenzeit bin ich wieder nach Berlin gezogen. Hier sind sie gar nicht davon ausgegangen, dass ich bereits eine Verlängerung brauche, denn in Berlin gab es die Beratungen ja noch keine zwei Jahre. Das zeigt plastisch, wie schleppend das Verfahren anläuft.

Hinzu kommt, dass ich in Brandenburg wohne. Berlin ist auch zuständig, die Registrierung für alle Sexarbeiter*innen aus ganz Brandenburg zu übernehmen. Dann habe ich also pro Termin mindestens vier Stunden Aufwand: In die Stadt fahren, Beratung wahrnehmen. Dann das Gelaber vor Ort. Die Gesundheitsberatung hat im Dezember ein Mann gemacht. Ich kann mir vorstellen, dass nicht jede*r Kolleg*in mit einem Mann reden möchte. Ich fand es sehr unangenehm, mit ihm über sexuelle Themen reden zu müssen. Ich habe diese Zwangsberatung als Zumutung empfunden. Der Umgang war aber in Berlin sehr wertschätzend.

Was denken Sie über die Kondompflicht?

Ganz im Ernst: Warum wird uns in der Beratung erzählt, dass wir Kondome verwenden sollen? Das wissen wir doch! Das machen wir doch selbstverständlich, weil unsere Gesundheit die Voraussetzung ist, als Selbstständige zu überleben. Ich kann es mir nicht leisten, vier Wochen auf der Couch zu sitzen und mich auszukurieren. Ich selbst habe als S/M-Sexarbeiterin nicht einmal Verkehr mit meinen Gästen. Trotzdem habe ich natürlich Handschuhe an und arbeite mit Kondomen. Über die Kondompflicht kann ich deshalb nur lachen: Man sieht, dass da Gesetze geschaffen wurden, ohne zu wissen, worum es überhaupt geht.

Kennen Sie Kolleginnen und Kollegen, die nicht registriert sind und trotzdem arbeiten?

Ja, klar kenne ich die. Einer der häufigsten Gründe dafür ist, dass diese Sexarbeiter*innen aus unterschiedlichen Gründen gezwungen sind, ihre Arbeit zu verheimlichen. Zum Beispiel haben viele alleinerziehende Mütter mit Kindern Angst, dass bei einem Sorgerechtsstreit die Information gegen sie ausgespielt wird. Dann sind das Leute, die vielleicht einen Migrationshintergrund haben und sich das nicht erlauben können, dass das die Familie das herausbekommt.

Oft ist die Arbeit geheim, aber das Finanzamt schickt dann die Meldedaten zur "Ausübung sexueller Dienstleistungen", wie es so schön im Behördensprech heißt, nach Hause. Das ist für viele Menschen ein großes Problem. Stellen Sie sich vor, der Tagesjob ist Lehrerin, und nebenbei geht die Person anschaffen. Das darf nicht herauskommmen. Mir selbst ist das 2016 passiert: Ich hatte einen Tagesjob im sozialen Bereich und wurde verpfiffen. Ich habe im Kinder- und Jugendbereich gearbeitet. Die Nachricht hat dazu geführt, dass ich keine weiteren Aufträge als Teamleiterin erhalten habe. Ich musste sogar das Dorf verlassen, in dem ich gelebt habe, weil die Info wie ein Lauffeuer herumging. Das war sehr unangenehm.

Ein Verstoß gegen das Gesetz kann 1.000 Euro kosten – und auch zu einem Berufsverbot führen. Macht das den nicht-registrierten Kolleg*innen Angst?

Ja, natürlich macht ihnen das Angst. Die Razzien zur Kontrolle der Ausweise fangen gerade erst an. Wir werden uns alle noch umgucken. In Bayern gab es schon Kontrollen zur Kondompflicht, wo irgendwelche Ordnungsbeamte in die intimsten Körperregionen mit Taschenlampen reingeleuchtet haben. Das ist einfach so was von unwürdig.

Wie wirkt sich das Gesetz auf Sexarbeiter*innen aus, die den Beruf aus Not ausüben?

Dadurch wird ihr Leben und die Arbeit in die Grauzone verschoben. Es besteht sowieso bei diesen Prostituierten oft ein Misstrauen gegenüber den Behörden. Viele Migranten, die nicht in Deutschland gemeldet sind, können sich zum Beispiel nicht anmelden. Die werden auch nicht sichtbar durch das Gesetz. Sie verlieren das Vertrauen zu Beratungsstellen, lassen sich nicht helfen, sondern haben Angst, dass der Sozialarbeiter doch ein getarnter Kontrolleur ist. Es herrscht große Angst und Verunsicherung. Diese Menschen verschwinden unter dem Radar. Damit ist Ausbeutung und Missbrauch Tür und Tor geöffnet.

Was müsste Ihrer Meinung nach am Prostituiertenschutz geändert werden?

Es muss abgeschafft werden. Stattdessen muss die Sexarbeit entkriminalisiert und als Beruf anerkannt werden. Die Professionalisierung des Berufs muss vorangetrieben werden. Und es braucht vernünftige Ausstiegsprogramme für Menschen, die in der Sexarbeit nicht glücklich sind und Alternativen brauchen.

Auch Sie haben Stimatisierung erlebt, dabei üben Sie den Beruf freiwillig und gerne aus. Was reizt Sie daran?

Der große Anreiz ist für mich, dass ich selbstbestimmt als Frau entscheiden kann, wie viel ich arbeite und was ich dafür bezahlt bekomme. Das ist bei vielen klassischen Frauenberufen nicht der Fall, Stichwort "Gender Pay Gap" und der Verlust bei der Rente.

Zudem ist für mich die Arbeit kreativ. Ich habe immer schon gerne mit Menschen gearbeitet, habe eine Coaching-Arbeit und finde es spannend, wenn man Menschen nahe kommt. Die Sexarbeit ist eine andere Art der Intimität.

Das Interview führte Jenny Barke.

Sendung: Radioeins, 04.02.2020, 16.00 Uhr

2 Kommentare

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  1. 2.

    Alle Sexarbeiter die ich kenne, haben eine eindeutige Meinung: weg mit dem Diskriminierungsgesetz. Die Leute zahlen Umsatzsteuer, zahlen bei der IHK ein und haben kaum die Möglichkeit etwas abzusetzen. Müssen ständig mit Behörden reden (die Beamtinnen schockiert, die Beamten geil), denn niemand glaubt denen dass man so etwas auch freiwillig macht. Wie kann auch so ein Gesetz vom Familienministerium erarbeitet werden? Das ist eindeutig Wirtschaft, schon seit Jahrtausenden. Dann soll doch der Staat so fair sein, und die Sexarbeiter nicht besteuern, dann kann sich der Staat auch sein pseudomoralischens Gelabere sparen, dass nur unser Steuergeld kostet. Sexarbeit ist Gewerbe, ist es ja auch da der Staat den Arbeitern das Geld aus der Tasche ziehen kann, und muss so behandelt werden als wären es Installateure oder Yogatrainer.

  2. 1.

    "Was müsste Ihrer Meinung nach am Prostituiertenschutz[gesetz] geändert werden? -
    Es muss abgeschafft werden. Stattdessen muss die Sexarbeit entkriminalisiert und als Beruf anerkannt werden."

    So und nicht anders.

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