Kommentar | Aufklärung an Staatlicher Ballettschule - Schluss mit der Macht der Angst

Noch immer haben Schüler der Ballettschule Angst, offen über ihre Erfahrungen an der staatlichen Schule zu reden. Eine Kultur der Freiheit und Klarheit muss her. Auch Bildungssenatorin Scheeres ist dafür verantwortlich. Ein Kommentar von Torsten Mandalka
Eine Mischung aus Monarchie und Diktatur – so wurden die Machtverhältnisse an der Staatlichen Ballettschule Berlin beschrieben. Die Monarchie musste abdanken – und trotzdem ist das viel beschriebene Klima der Angst immer noch nicht dem Geist der Freiheit gewichen.
Das liegt zum einen daran, dass die Gehilfen der vormaligen Herrscher nach wie vor glauben, die Zeit zurückdrehen zu können. Denn es geht um Pfründe, Privilegien und entsprechende Verlustängste. Genau deswegen verbreiten privilegierte Lehrkräfte, um die Karriere ihrer Kinder besorgte Eltern und angsterfüllte Schüler und Schülerinnen immer noch die Legende: Wenn die Kritik an den alten Verhältnissen und die Berichterstattung darüber nicht aufhören, dann wird die Schule geschlossen.
Viele haben trotzdem Karriere gemacht
Außerdem wird schamlos gelogen: Missstände habe es nie gegeben, Einzelfälle würden übertrieben, die Vorwürfe lediglich anonym von gescheiterten Tänzern erhoben. Das Gegenteil ist richtig. Die Missstände in Berlin sind noch schlimmer als die an der Ballettschule in Wien. Was dort ans Licht gekommen ist, hat hohe Wellen geschlagen und wurde ausführlich aufgearbeitet.
Es geht auch in Berlin nicht um Einzelfälle: Kinder sind über Jahre hinweg indoktriniert, zum Teil schwerwiegend psychisch und nachhaltig physisch geschädigt worden. Wir haben mit Dutzenden Informanten darüber gesprochen und ihre Berichte überprüft. Nicht wenige haben trotzdem Karriere in ihrem Beruf als Tänzerinnen oder Artisten gemacht.
Die Garanten des Angstklimas werden nicht wiederkommen. Ihre Stellen sind neu ausgeschrieben worden. Das heißt auch, die Schule für Ballett und Artistik ist in ihrer Existenz nicht gefährdet. Allerdings bedarf es trotzdem eines tiefen Wandels. Das Primat der Pädagogik muss Einzug halten an der Erich-Weinert-Straße. Im Zweifel muss das Leistungsprinzip, das bisher der brachialen Bolschoi-Ballett-Tradition folgte, dahinter zurücktreten.
Vielleicht wird die Brunswicker-Kommission, die das Ganze jetzt aufarbeitet, auch darüber nachdenken müssen, ob die Gesamtausrichtung der Schule nicht neu justiert werden sollte: Weg von einer Fokussierung auf den sehr schmalen und deswegen besonders harten Markt für Balletttänzer und Artisten hin zu einer Schule für künstlerischen Tanz und Bewegung mit einem sehr viel breiteren Spektrum. Die 7,5 Millionen Euro Steuergelder, mit denen die Einrichtung Jahr für Jahr bedacht wird, würden den Kindern dann vielleicht mehr nutzen.
Niemand setzt sich für einen Untersuchungsausschuss ein
Insgesamt hätte die Affäre eigentlich das Potential für einen Untersuchungsausschuss. Denn die Frage, wie das alles jahrelang so gehen konnte unter zentraler Aufsicht der Senatsverwaltung von Sandra Scheeres (SPD), ist immer noch unbeantwortet. Doch offensichtlich hat nicht mal die oppositionelle CDU daran ein Interesse – denn auch ihre Vertreter haben sich am Tanz der Eleven ergötzt und sich im Licht der berühmten Ballettschule gesonnt, ohne allzu kritische Frage zu stellen.
Und diejenigen, die wirklich erschrocken sind über die massive Verletzung des Kindeswohls und die willkürlichen Machtstrukturen, sind selber Mitglieder der Regierungskoalition. Die wegen der kleinen Ballettschule nicht platzen darf…