Revision vor dem Bundesgerichtshof - BGH urteilt über Mordvorwurf gegen Ku'damm-Raser

Mi 17.06.20 | 11:36 Uhr | Von Ulf Morling
  3
Die "Kudamm-Raser" Marvin N. und Hamdi H. stehen am 16.06.2020 vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe (Bild: Ulf Morling)
Bild: Ulf Morling

Erneut entscheidet der Bundesgerichtshof über die beiden Männer, die 2016 über Ku'damm und Tauentzien rasten: Ein 69-jähriger Unbeteiligter kam bei ihrer Fahrt zu Tode. Zweimal gab es bereits das Urteil "Lebenslang" wegen Mordes. Von Ulf Morling

Für die beiden Täter steht viel auf dem Spiel: Seit vier Jahren und drei Monaten sitzen Hamdi H. (31) und Marvin N.(28) ununterbrochen in Moabiter Untersuchungshaft. Zwei Prozesse und Urteile vor dem Landgericht 2017 und 2019 und einen gescheiterten Prozessanlauf, der durch einen erfolgreichen Befangenheitsantrag abgebrochen werden musste, haben sie hinter sich. Nun hoffen die beiden Ku'damm-Raser bei der Revisionsverhandlung am Bundesgerichtshof (BGH) auf eine Entscheidung zu ihren Gunsten.

Die Angeklagten und ihre Verteidiger beharren darauf, dass sie niemals damit gerechnet hätten, dass bei der halsbrecherischen Fahrt über den Berliner Kurfürstendamm und Tauentzienstraße im Februar 2016 hätte etwas passieren können. Niemals hätten sie billigend in Kauf genommen, dass der 69-jährige Jeep-Fahrer, der bei Grün ihre Route kreuzte, stürbe.

Die Verteidiger wollen von dem für Verkehrsstraftaten zuständigen 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs erreichen, dass dieser die Verurteilung wegen Mordes aufhebt und eventuell das Berliner Landgericht zum dritten Mal ein Urteil finden muss, das eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung zur Folge haben soll - mit einer Höchststrafe von fünf Jahren, statt "Lebenslang".

Mit 160 km/h über Ku'damm und Tauentzien

Der tödliche Unfall war zwischen der Berliner Gedächtniskirche und dem Warenhaus KaDeWe geschehen. Der ohrenbetäubende Knall hatte in der Tatnacht Passanten ängstlich in Hauseingängen Schutz suchen lassen. Manche Zeugen berichteten, dass sie geglaubt hätten, eine Bombe sei explodiert.

Laut technischer Gutachten war Hamdi H. mit 160 km/h mit seinem Audi A6 TDI bei Rot über die Kreuzung geschossen, dicht gefolgt vom Mitangeklagten Marvin N. in dessen Mercedes AMG. H. schlug mit seinem Auto in den kreuzenden Jeep des 69-jährigen Michael W. ein. Der Senior hatte Grün und trotzdem keine Chance: Beim Aufprall bohrte sich der Audi zuerst in die Tür des Jeeps, dann in den Fahrer. Der Jeep flog 70 Meter weit, das Opfer starb noch am Unfallort. Der Tacho von Hamdi H.s Audi war bei 212 Kilomtern in der Stunde stehengeblieben. 

Fahrzeugteile liegen am 01.02.2016 in Berlin nach einem illegalen Autorennen in der Tauentzienstraße. Bei dem illegalen Autorennen ist ein Fahrer ums Leben gekommen (Quelle: dpa/ Britta Pedersen)
Autoteile nach dem Unfall am TauentzienBild: dpa/ Britta Pedersen

Richter: Autorennen kann Mord sein

Für die Staatsanwaltschaft und beide bisher urteilenden Strafkammern des Berliner Landgerichts war der Fall klar: Die Raser wurden wegen gemeinschaftlichen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, obwohl es doch üblich war, dass tödliche Unfälle verursachende Verkehrsteilnehmer allermeistens wegen fahrlässiger Tötung verurteilt werden.

Doch außer den Angeklagten und ihren Verteidigern bewerteten die Prozessbeteiligten den tödlichen Unfall unweit des KaDeWe nicht mehr als fahrlässige, sondern vorsätzliche Tat. Auf die Revisionen der Angeklagten hatte der 4. Strafsenat des BGH in Karlsruhe das Urteil 2018 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Das Urteil der Berliner Richter sei rechtsfehlerhaft, es bestünden Zweifel am Tötungsvorsatz, hieß es in der höchstrichterlichen Entscheidung.

Aber auch im zweiten Prozess waren Hamdi H. und Marvin N. im März 2019 von einer anderen Moabiter Schwurgerichtskammer wegen Mordes zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Das spontane Autorennen der beiden jungen Männer, bei dem sie über eineinhalb Kilometer auch über mehrere rote Ampels gerast seien und einen Unbeteiligten in seinem Auto töteten, müsse als vorsätzliche Tötung durch den Unfallverursacher Hamdi H. gewertet werden.

Drei Mordmerkmale: Heimtücke, niedrige Beweggründe - weil H. lediglich das Autorennen habe gewinnen wollen - und ein gemeingefährliches Mittel (das Auto als Waffe) wurden festgestellt. Der Mitangeklagte Marvin N. war wegen mittäterschaftlichen Mordes verurteilt worden. Bei beiden wurde im Urteil von einem bedingten Tötungsvorsatz ausgegangen. Das bedeutet konkret, dass die Richter davon ausgingen, dass beide Männer bei ihrem Autorennen sehr wohl um die tödliche Gefahr ihres Tuns wussten, es ihnen aber egal war, um das Rennen gegen den anderen zu gewinnen.

Revision um Vorsatz oder Fahrlässigkeit

Die Verteidiger gingen hingegen von Beginn an davon aus, dass der beiden Angeklagten niemals vorsätzlich in Kauf genommen hätten, bei ihrer Raserei durch die Westberliner City einen Menschen zu töten. Einige Argumente, die als Beleg dafür angeführt werden, sind aus Sicht der Verteidigung folgende: Beide jungen Männer hatten fast ein "Liebesverhältnis" zu ihren Autos. Nie hätten sie auch nur einen Lackschaden oder einen Krümel auf dem Beifahrersitz geduldet, geschweige denn einen Unfall mit Totalschaden, der das Objekt ihrer Verehrung zerstört hätte, wie beim Unfall geschehen. Sie seien immer davon ausgegangen, zu den besten Fahrern zu gehören und auch gefährliche Situationen im Griff zu haben.

Ein weiteres Indiz, dass kein Unfall in Kauf genommen werden sollte, sei auch, dass Hamdi H. nicht angeschnallt war während des tödlichen Autorennens. "Es sollte eben gerade nichts passieren. Das ist die zwingende Logik, die sich aus dem Verhalten der Angeklagten ergibt.", sagt Verteidiger Ingmar C. Pauli, der Hamdi H. vertritt.

Gibt es den nächsten Prozess gegen die Ku'damm-Raser?

Möglich wäre nun Folgendes:

1. Die Revision Hamdi H.s (der in das Auto des Unbeteiligten fuhr) kann abgewiesen werden. Damit würde seine Verurteilung wegen Mordes und die lebenslange Gefängnisstrafe rechtskräftig. Der Prozess um den Unfall am 1. Februar 2016 wäre für ihn beendet.

2. Der BGH urteilt, dass noch einmal das Geschehen um die Tat neu aufgerollt werden muss, insbesondere unter dem Aspekt, ob es ein vorsätzlicher Mord, oder eine fahrlässige Tötung war.

3. Marvin N. wegen eines gemeinschaftlichen Mordes verurteilt zu haben, könnte als Rechtsfehler beurteilt werden. Gegen ihn könnte noch einmal prozessiert werden.

Die Verteidigung will "angemessene Strafen" erreichen. "Wir würdigen die Tat als fahrlässige Tötung im Straßenverkehr, aber nicht als vorsätzliches Tötungsdelikt, nicht als Mord", sagt Anwalt Pauli.

Am Donnerstag, 18. Juni, 10:00 Uhr will der 4. Strafsenat des BGH in Karlsruhe sein Urteil verkünden.

Sendung: Inforadio, 17.06.2020, 08:10 Uhr

Kommentarfunktion am 17.06.2020, 13:43 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

Beitrag von Ulf Morling

3 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 3.

    "Ein weiteres Indiz, dass kein Unfall in Kauf genommen werden sollte, sei auch, dass Hamdi H. nicht angeschnallt war während des tödlichen Autorennens. "Es sollte eben gerade nichts passieren. Das ist die zwingende Logik, die sich aus dem Verhalten der Angeklagten ergibt.", sagt Verteidiger Ingmar C. Pauli, der Hamdi H. vertritt."
    Geniale Logik! Damit wird dem Täter unterstellt, er habe sich Gedanken vor seiner Raserfahrt gemacht. Absurd!

  2. 2.

    Wer mit über 3-fach überhöht Geschwindkeit in einer Großstadt über Rot fährt ohne zu bremsen und/oder gar beschleunigt handelt nach meiner rechtsstaatlichen Auffassung höchst vorsätzlich und nimmt den Tod Dritter billigend in Kauf. Hier zu argumentieren, die Angeklagten hätten niemals damit gerechnet, dass etwas passieren kann, lässt mich am hochentwickelten Menschenverstand der Verteidiger zweifeln und wirft bei mir weitere Fragen auf. Ich vertraue weiterhin in den Rechtsstaat, trotz des nicht einfach zu beurteilenen Falls.

  3. 1.

    Schwieriger Fall. Aber egal wie entschieden wird, die "Bild" wird schon irgend einen Grund finden den Rechtsstaat in Frage zu stellen.

Nächster Artikel

Das könnte Sie auch interessieren