HIV-Positive auf Zahnarztsuche - "Die Abweisung war schlimmer als meine Zahnschmerzen"

So 28.06.20 | 09:53 Uhr | Von Steven Meyer
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HIV-positive Menschen werden in Zahnarztpraxen oft diskriminiert - oder gar nicht behandelt. (Quelle: imago images)
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HIV-positive Menschen werden in Zahnarztpraxen oft diskriminiert - oder gar nicht behandelt. In der Praxis von Peter Lutz in Berlin-Schöneberg passiert das nicht, sie begreift sich als Teil der Community. Von Steven Meyer

Der Nollendorfplatz gilt als queerer Szenekiez Berlins. Hier hängen überall Regenbogenflaggen, in der Motzstraße gibt es eine Darkroom-Bar, einen queeren Buchladen und etliche queere Bars, Vereine und Clubs. Gleich hier befindet sich die gemeinschaftliche Zahnarztpraxis Lipp und Lutz. Im 11. Stock eines Hochhauses gegenüber der U-Bahn-Station liegt die Praxis mit Panoramablick über den Kiez.

Peter Lutz leitet gemeinsam mit einem Kollegen die Zahnarztpraxis. Die Corona-Krise machte auch ihnen zu schaffen: Patientinnen und Patienten sagten Termine und Behandlungen ab. Nun werde es aber langsam wieder besser, sagt Lutz. In der Praxis sind laut seinen Aussagen etwa die Hälfte der Patienten schwul. In der Praxis findet die Community Ärzte und Ärztinnen, die ihnen diskriminierungsfrei begegnen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn auch im Gesundheitswesen werden queere Menschen und Personen mit HIV häufig diskriminiert.

HIV wird auch heute noch oft mit den Schreckensbildern der 80er Jahre in Verbindung gebracht. Dabei ist HIV mit den heutigen Behandlungsmethoden in westlichen Ländern eine Diagnose, mit der es sich gut leben lässt. Die Medikamente sorgen dafür, dass die Viruslast im Körper oft so gering ist, dass sie nicht mal nachgewiesen werden kann. HIV-positive Menschen können also sogar ungeschützten Geschlechtsverkehr haben, ohne das Virus weiterzugeben, und sie können Kinder bekommen, die HIV-negativ sind. Diskriminierung im Gesundheitswesen gibt es dennoch.

Zahn-Arzt Peter Lutz in seiner Praxis in Berlin Schöneberg. (Quelle: rbb/S. Meyer)
Der Zahnarzt Peter Lutz blickt aus seiner Praxis direkt auf den Nollendorfplatz.Bild: rbb/S. Meyer

Es ist schwierig, eine Praxis zu finden

Hildegard Welbers, 73, bestätigt das. Nach ihrer Diagnose dauerte es lange, bis sie eine Zahnarztpraxis fand, in der sie wie alle anderen behandelt wurde. Als Welbers bei einem Termin ihren HIV-Status ansprach, reagierte das Personal in der Praxis nervös. Nach einer kurzen Besprechung wurde sie darum gebeten, am Ende des Tages wiederzukommen. "Wir müssen das Zimmer nach Ihrem Termin komplett desinfizieren", sagte die Mitarbeiterin zu ihr.

In einer anderen Praxis wurde sie erst gar nicht als Patientin angenommen. Die Erklärung: Das Praxispersonal wolle sie wegen ihres HIV-Status' nicht behandeln. "Ich fing sofort an zu weinen und brach zusammen", erinnert sie sich. "Ich fühlte mich wie jemand, vor dem andere Angst haben müssen." Sie habe sich selbst die Schuld gegeben, sich als Gefahr gesehen: "Die Abweisung war schlimmer als meine Zahnschmerzen."

Erst mit Unterstützung der Aids-Hilfe fand Hildegard Welbers eine Praxis, die sie so behandelte wie alle anderen Patienten auch. Das Robert-Koch-Institut weist in seinem Ratgeber für Ärzte und Ärztinnen darauf hin, dass bei allen zu Behandelnden die Maßnahmen der Basishygiene anzuwenden seien – der HIV-Status der Person könne schließlich auch unbekannt sein. Jemanden aufgrund einer HIV-Diagnose abzulehnen aufgrund des Antidiskriminierungsgesetzes außerdem gesetzeswidrig.

Sie brauchen keine Sonderbehandlung

Peter Lutz hört immer wieder, wie HIV-positive Menschen in anderen Praxen behandelt werden, erzählt er. Er könne dieses Verhalten nicht verstehen, Betroffene bräuchten keine Sonderbehandlung. Die Gegenstände im Behandlungsraum müsse er nach jeder Behandlung auf die gleiche Weise sterilisieren. "Ich muss theoretisch jeden Patienten so behandeln, als hätte er eine ansteckende Erkrankung", sagt Peter Lutz. Das könne er nie ausschließen.

Es kommen auch deswegen viele schwule Männer gern in die Praxis am Nollendorfplatz, weil sie hier so behandelt werden wie alle anderen. "Es gibt zwar keine schwulen Zähne, aber Patienten mit besonderen Bedürfnissen", sagt Peter Lutz. Auf seinem Behandlungsstuhl könne jeder Patient ohne Bedenken vom Ehemann sprechen, oder von sexuell ausgelösten Schleimhautproblemen. "Das ist nicht überall möglich", sagt er. Vorurteile gebe es noch immer, selbst in Berlin.

Dass sich am Nollendorfplatz viele andere queere Einrichtungen befinden, sei ein großer Vorteil, sagt Lutz: "Die Community steht nicht nur für Party, sondern auch für ein Netzwerk." Oft komme es vor, dass ein HIV-positiver Patient in die Praxis komme, der sich die Behandlung nicht leisten könne. In solchen Fällen suche er mit seiner Praxis und anderen Einrichtungen im Kiez gemeinsam nach einer Lösung, um die Behandlung dennoch durchführen zu können – oft mit Erfolg. "Wenn es jemandem aus der Community nicht gut geht, unterstützen wir uns gegenseitig", sagt Peter Lutz.

Beitrag von Steven Meyer

8 Kommentare

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  1. 8.

    Na immerhin ein Happyend! Freut mich für Sie. Meine Zahnärztin ist auch alleine. Ich mag keine großen Kliniken, die meist nur auf Profit aus sind und auch gern mal unnötige Dinge machen.
    Auf der anderen Seite muss man aber auch fairerweise sagen, dass es auf die richtige Chemie zwischen Arzt und Patient ankommt. Wen der eine toll findet, der kann bei einem anderen die Nackenhaare zu Berge stehen lassen. Man muss selbst Erfahrungen machen, um urteilen zu können.
    Ihnen weiterhin alles Gute!

  2. 7.

    Beides trifft auch bei mir zu. Seit fast 30 Jahren ein u.derselbe Hausarzt. Ebenso war ich 30 Jahre lang bei einer mir sehr vertrauten Zahnärztin i.Behandlung. Doch dies änderte sich mit ihren Umzug an den Mehringdamm. Ich wurde schon bei der Anmeldung unfreundlich behandelt. Mit einer Beschwerde an meine Ärztin, die ich immer schon duzte, kam ich nicht weit. Also wechselte ich. Ging somit auch in die Praxis v. Lutz u.Lipp. Leider mit ähnlichen Ergebnis. Die nun neu hinzugekommene Zahnärztin direkt um die Ecke wo ich wohne, leitet ihre Praxis völlig alleine. Sie ist kompetent und einfühlsam. Die Behandlungen dauern dadurch zwar etwas länger. Doch was ich so besonders an diese Ärztin schätze ist, sie nimmt sich viel Zeit auch für persöhnliche Gespräche. Dritter u. erneuter Versuch hier durchzukommen, was die Praxis v.Lutz u.Lipp Betrifft.

  3. 6.

    Wundert mich nicht in der heutigen Gesellschaft. Hat allerdings nicht unbedingt was mit schwul sein zu tun. Es gibt Praxen, in denen öfter ein rauer Umgangston herrscht und Praxen, die keine neuen Patienten mehr annehmen. Man muss lange suchen, ehe man sie für sich richtige gefunden hat.
    Ich bin froh, Patientin einer überaus kompetenten HA-Praxis und einer so mega menschlichen Zahnärztin zu sein.
    Allerdings würde ich auf dem ZA-Stuhl nicht über mein Intimleben reden!?
    Trotzdem, Hut ab vor dieser Praxis! Menschlichkeit zahlt sich aus!

  4. 5.

    Mal angenommen. Würde mich ein Arzt oder Ärztin aufgrund von Corona einfach nur abweisen, würde ich diese Praxis ohne zu zögern Anzeigen. Mein Hausarzt hat ein Hinweisschild angebracht. Demnach dürfen Patienten mit Erkältungssymtome nicht die Praxisräume betreten. Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Heißt aber nicht, dass er eine Behandlung abweisen tut. Mit Sicherheit macht mein Hausarzt neben seine Hausbesuche auch Videoschalte mit betroffenen Patienten. Übrigens, zeigen sich bei mir diesbezüglich irgendwelche Symptome, fahre ich direkt in die Charite. Dort kann mir mit entsprechender Ausrüstung viel schneller geholfen werden. LG.

  5. 4.

    Aber im Gegensatz dazu wird es keine community geben, die die Menschen auffängt, bei Corona, denn da kämpft jeder gegen jeden, und nicht jeder gegen die Krankheit, aber miteinander... denkt mal dran, ihr Aluhütchen und Attilas!

  6. 3.

    Bald werden wir ähnliche Probleme mit Corona infizierten haben, siehe jetzt auch die ganzen Einschränkungen für Bürger aus Mini Hotspots, die nicht mal mehr Urlaub machen dürfen.

  7. 2.

    Ich habe zwei HIV-Infizierte in meinem Bekanntenkreis und habe noch nie von Problemen bei Ärzten von ihnen gehört.

  8. 1.

    Ich habe mit meinem infizierten Freund keine schlechten Erfahrungen gemacht. Ich konnte ihn ohne Bedenken unterbringen.

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