HIV-Positive auf Zahnarztsuche - "Die Abweisung war schlimmer als meine Zahnschmerzen"
HIV-positive Menschen werden in Zahnarztpraxen oft diskriminiert - oder gar nicht behandelt. In der Praxis von Peter Lutz in Berlin-Schöneberg passiert das nicht, sie begreift sich als Teil der Community. Von Steven Meyer
Der Nollendorfplatz gilt als queerer Szenekiez Berlins. Hier hängen überall Regenbogenflaggen, in der Motzstraße gibt es eine Darkroom-Bar, einen queeren Buchladen und etliche queere Bars, Vereine und Clubs. Gleich hier befindet sich die gemeinschaftliche Zahnarztpraxis Lipp und Lutz. Im 11. Stock eines Hochhauses gegenüber der U-Bahn-Station liegt die Praxis mit Panoramablick über den Kiez.
Peter Lutz leitet gemeinsam mit einem Kollegen die Zahnarztpraxis. Die Corona-Krise machte auch ihnen zu schaffen: Patientinnen und Patienten sagten Termine und Behandlungen ab. Nun werde es aber langsam wieder besser, sagt Lutz. In der Praxis sind laut seinen Aussagen etwa die Hälfte der Patienten schwul. In der Praxis findet die Community Ärzte und Ärztinnen, die ihnen diskriminierungsfrei begegnen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn auch im Gesundheitswesen werden queere Menschen und Personen mit HIV häufig diskriminiert.
HIV wird auch heute noch oft mit den Schreckensbildern der 80er Jahre in Verbindung gebracht. Dabei ist HIV mit den heutigen Behandlungsmethoden in westlichen Ländern eine Diagnose, mit der es sich gut leben lässt. Die Medikamente sorgen dafür, dass die Viruslast im Körper oft so gering ist, dass sie nicht mal nachgewiesen werden kann. HIV-positive Menschen können also sogar ungeschützten Geschlechtsverkehr haben, ohne das Virus weiterzugeben, und sie können Kinder bekommen, die HIV-negativ sind. Diskriminierung im Gesundheitswesen gibt es dennoch.
Es ist schwierig, eine Praxis zu finden
Hildegard Welbers, 73, bestätigt das. Nach ihrer Diagnose dauerte es lange, bis sie eine Zahnarztpraxis fand, in der sie wie alle anderen behandelt wurde. Als Welbers bei einem Termin ihren HIV-Status ansprach, reagierte das Personal in der Praxis nervös. Nach einer kurzen Besprechung wurde sie darum gebeten, am Ende des Tages wiederzukommen. "Wir müssen das Zimmer nach Ihrem Termin komplett desinfizieren", sagte die Mitarbeiterin zu ihr.
In einer anderen Praxis wurde sie erst gar nicht als Patientin angenommen. Die Erklärung: Das Praxispersonal wolle sie wegen ihres HIV-Status' nicht behandeln. "Ich fing sofort an zu weinen und brach zusammen", erinnert sie sich. "Ich fühlte mich wie jemand, vor dem andere Angst haben müssen." Sie habe sich selbst die Schuld gegeben, sich als Gefahr gesehen: "Die Abweisung war schlimmer als meine Zahnschmerzen."
Erst mit Unterstützung der Aids-Hilfe fand Hildegard Welbers eine Praxis, die sie so behandelte wie alle anderen Patienten auch. Das Robert-Koch-Institut weist in seinem Ratgeber für Ärzte und Ärztinnen darauf hin, dass bei allen zu Behandelnden die Maßnahmen der Basishygiene anzuwenden seien – der HIV-Status der Person könne schließlich auch unbekannt sein. Jemanden aufgrund einer HIV-Diagnose abzulehnen aufgrund des Antidiskriminierungsgesetzes außerdem gesetzeswidrig.
Sie brauchen keine Sonderbehandlung
Peter Lutz hört immer wieder, wie HIV-positive Menschen in anderen Praxen behandelt werden, erzählt er. Er könne dieses Verhalten nicht verstehen, Betroffene bräuchten keine Sonderbehandlung. Die Gegenstände im Behandlungsraum müsse er nach jeder Behandlung auf die gleiche Weise sterilisieren. "Ich muss theoretisch jeden Patienten so behandeln, als hätte er eine ansteckende Erkrankung", sagt Peter Lutz. Das könne er nie ausschließen.
Es kommen auch deswegen viele schwule Männer gern in die Praxis am Nollendorfplatz, weil sie hier so behandelt werden wie alle anderen. "Es gibt zwar keine schwulen Zähne, aber Patienten mit besonderen Bedürfnissen", sagt Peter Lutz. Auf seinem Behandlungsstuhl könne jeder Patient ohne Bedenken vom Ehemann sprechen, oder von sexuell ausgelösten Schleimhautproblemen. "Das ist nicht überall möglich", sagt er. Vorurteile gebe es noch immer, selbst in Berlin.
Dass sich am Nollendorfplatz viele andere queere Einrichtungen befinden, sei ein großer Vorteil, sagt Lutz: "Die Community steht nicht nur für Party, sondern auch für ein Netzwerk." Oft komme es vor, dass ein HIV-positiver Patient in die Praxis komme, der sich die Behandlung nicht leisten könne. In solchen Fällen suche er mit seiner Praxis und anderen Einrichtungen im Kiez gemeinsam nach einer Lösung, um die Behandlung dennoch durchführen zu können – oft mit Erfolg. "Wenn es jemandem aus der Community nicht gut geht, unterstützen wir uns gegenseitig", sagt Peter Lutz.