Interview | Meteorologe - "Mit dem Gewitter ist es wie mit den Luftblasen im Kochtopf"

Di 21.07.20 | 15:54 Uhr
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Symbolbild: Siedepunkt 100 Grad Celsius Kochendes Wasser in einem Topf (Quelle: imago-images/Gottfried Czepluch)
Bild: imago-images/Gottfried Czepluch

Im Wedding stürmt es und gießt wie aus Kübeln, der Südwesten Berlins bleibt staubtrocken. Selbe Stadt, unterschiedliches Wetter - das erleben wir immer wieder. Meteorologe Heiko Wiese erklärt warum.

rbb|24: Herr Wiese, das Gewitter am Montag hat im Norden Berlins schwer gewütet. Was hatte sich denn da zusammengebraut?

Heiko Wiese: Am Anfang hatten wir diese schwül-feuchte Luft. Dann kam aus Nordwesten kühle frische Meeresluft. Wenn diese beiden Luftmassen mit einer gewissen Geschwindigkeit aufeinanderstoßen, sind Schauer und Gewitter sehr wahrscheinlich. Am Montag haben sich aus Quellwolken sehr mächtige Gewittertürme gebildet, die durchaus auch acht bis zehn Kilometer in die Höhe reichten. Da ist sehr viel Bewegung, Turbulenzen in der Atmosphäre, diese Wolken enthalten sehr viel Energie. Das überrascht uns Wetterfrösche nicht, wenn es dann zu kräftigen Gewittern kommt. Aber es ist eben spannend zu sehen, dass es nicht jeden Stadtbezirk Berlins gleichermaßen trifft.

Wieso kommt es zu solchen lokalen Unterschieden?

Tatsächlich sind gerade solche Schauer und Gewitter sehr eng begrenzt, weil es von einzelnen Gewitterwolken ausgeht, die nur einen Durchmesser von wenigen Kilometern haben.

Wenn Sie mit Leuten aus verschiedenen Bezirken reden, werden sie Ihnen unterschiedliche Dinge erzählen: In Berlin-Staaken hatten wir in einer Stunde zwischen 15 und 16 Uhr 14 Liter Regen auf den Quadratmeter, in Berlin-Marzahn sogar 18 Liter. In den südlichen Stadtbezirken hingegen, also Steglitz-Zehlendorf und Treptow-Köpenick, war es komplett trocken.

Wie unterschiedlich das Wetter innerhalb derselben Stadt ist, kann man auch ganz gut bei einer U-Bahnfahrt sehen: Sie steigen bei Sonnenschein ein, wenige Stationen weiter kommen Menschen mit Regenschirmen und nassen Kleidern, und wenn Sie dann irgendwann aussteigen, scheint wieder die Sonne.

Radarbild Berlin 13 Uhr 20.07.2020 (Quelle: MeteoGroup Deutschland GmbH)
Radarbild: Wetterlage über Berlin am 20. Juli um 13 UhrBild: MeteoGroup Deutschland GmbH

Ist das ein Zufall, dass es den Norden gestern stark getroffen hat und den Süden nicht?

Das hat mit der grundsätzlichen Lage Berlins nichts zu tun. Am Tag zuvor hat es am Müggelsee 15 Liter Regen gegeben, und die westlichen Stadtteile sind nahezu trocken geblieben. Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Gestern war es tatsächlich so, dass diese Schauer- und Gewitterwolke von Westen übers Havelland nach Berlin zog, dann ein bisschen abgedreht ist über Spandau, Reinickendorf und dann weiter Richtung Pankow-Weißensee zog. Aber es hätte eben auch Tempelhof, Lichtenrade oder Adlershof treffen können.

Man kann sich das wirklich ein bisschen vorstellen wie die berühmten Luftblasen im Kochtopf. Ich weiß: Wenn Wasser im Topf ist, und ich den Herd anmache, werden sich Blasen bilden. Aber ich kann nie ganz genau sagen, wo. Diese Blasen haben wir eben gestern in Form starker Bewölkung gesehen, die eben dann örtlich auch mal unwetterartigen Regen und Sturm mit sich gebracht haben.

Hat es auch mit dem Klimawandel zu tun, dass solche Wetterlagen gefühlt verstärkt auftreten?

Nein. Das kann man so allgemein nicht sagen. Es ist im Sommer gerade in Mitteleuropa normal, dass Tiefdruckgebiete durchziehen. Und zu Tiefdruckgebieten gehören eben diese Luftmassengrenzen, diese Fronten. Insofern ist das nicht außergewöhnlich, dass es mal 15 bis 20 Liter auf den Quadratmeter regnet. Was den möglichen Einfluss des Klimawandels angeht, da müsste man eher über die Häufigkeit oder über die Stärke reden.

Wann erwartet uns das nächste Unwetter?

Da müsste man natürlich erst einmal fragen, wie man Unwetter definiert. Die Unwetterzentrale ist Teil der MeteoGroup. Für den einen Kunden oder Verbraucher ist es unter Umständen schon ein Problem, wenn es überhaupt regnet. Auch der Wind wird sehr unterschiedlich bewertet. Aber man kann allgemein sagen, dass es in den nächsten Tagen eher ruhiges, größtenteils auch freundliches Wetter geben wird, mal ein bisschen mehr von hohem, mal von tiefem Luftdruck bestimmt. Aber ich würde in Aussicht stellen, dass zum Sonntag hin ein weiteres Tiefdruckgebiet recht wahrscheinlich ist. Dann kann es zum Teil kräftige Schauer und Gewitter geben – die aber genau wie gestern auch wieder nicht jeden treffen müssen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mit Heiko Wiese, Meteorologe bei der Meteogroup Deutschland, sprach Ula Brunner, rbb|24.

Sendung: Inforadio, 21.07.2020, 09:00 Uhr

7 Kommentare

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  1. 7.

    Der PÖHSE Klimawandel, jetzt ist es dieses Jahr kühler aber die Unwetter sind jetzt geschmacklos. So ein Mist aber auch.

  2. 6.

    Genau: "Ein Restrisiko bleibt immer". Also ist der Riesenaufwand mit den hochvernetzten High-Tech-Glaskugeln für alle Nicht-Piloten am Ende unverändert sinnfrei: Ich muss mir für den Arbeitsweg eh immer Sonnenhut UND Regenjacke einpacken. Gastwirte sollten Ihre Markisen nach wie vor erst bei den ersten Böen einkurbeln; falsche Alarme vergraulen zu viele Gäste. Und Landwirte müssen ihre Äcker eh irgendwann wässern, weil sie vorab nie wissen, ob der ersehnte, angekündigte Regen nun endlich ihre Kartoffeln versorgen wird oder doch nur beim Nachbarn runterkommt. Und ob der nächste Fleck auf dem Radar guten Regen oder zerstörenden Hagel liefern wird, ist ebenso unsicher - wie unabwendbar. All das weiss man erst, wenn es so weit ist bzw war; vgl auch #4. Relevant sind, z.B. für den Landwirt, nur langfristige Klimaprognosen. Kurzfristiges Wetterraten aber ist nichts als Zeitvertreib und Werbeplattform: Nicht umsonst heisst eine sehr ähnliche Branche ja 'Wett(er)büros'.

  3. 5.

    Sehr schönes Interview. Es erinnert mich an meine Kindheit, als ich auf Kassette Benjamin Blümchen als rasender Reporter gehört habe. Der Wetterbericht: „Tragen sie oben rum am besten einen Pullover und unten herum eine Badehose“ :D

  4. 4.

    Wettervorhersagen funktionieren wunderbar, wenn man ein paar kleine Dinge berücksichtigt. Erstens, je weiter sie in der Zukunft liegen um so mehr können sie sich noch ändern; zweitens, ein Restrisiko bleibt immer, vor allem bei Gewitterlagen. Aber wenn ich mal vergleiche mit den Vorhersagen von früher, sagen wir 80er Jahre... da hat sich doch enorm viel verbessert.

  5. 3.

    Das mit den Vorhersagen will nicht so ganz klappen, aber die Berichte im Nachhinein sind schon ganz stimmig. Im Grunde sollte man die Meteorologie zu den Historischen Wissenschaften zählen ...

  6. 2.

    Nett :-) aber das war uns auch vorher klar. Berlin ist so groß, im Saarland gibt's ja auch unterschiedliches Wetter.

    Es wäre in der Vorhersage und Berichterstattung halt angenehmer, nicht so ein Weltuntergangsszenario aufzubauen wie "in Berlin und Brandenburg werden schwere Unwetter erwartet". Dann geht man von der Uckermark bis zur Lausitz aus, von Polen bis fast zur Börde. Und überall regnet es aus Eimern und stürmt es heftig.

    Ich bin ja ein Fan von Adjektiven und Adverbien oder so. Wörter wie
    punktuell
    verschiedentlich
    teilweise
    in einigen Gebieten
    ggf.
    vermutlich
    vorübergehend
    kurzzeitig/langanhaltend
    im Norden/Süden/... von Brandenburg/des Landes
    in einigen Stadtteilen
    näheres entnehmen Sie bitte dem Wetterradar...

    Die meisten haben doch irgend so eine Wetter-App zu laufen. Oder den heimischen Rechner, das Radio (inforadio, alle 20 min Wetter und Verkehr).

    Aber es ist immer wieder schön, übers Wetter oder den Garten zu reden.

    Heute wieder gießen....

  7. 1.

    Mein Fazit auch aus diesem Interview: Wettervorhersagen (womit ich nicht Klimaprognosen meine) sind im besten Fall wie Musik im Radio: Unterhaltsam - aber vollständig nutzlos. Man muss eh immer auf alles gefasst sein.

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