Interview | Meteorologe - "Mit dem Gewitter ist es wie mit den Luftblasen im Kochtopf"
Im Wedding stürmt es und gießt wie aus Kübeln, der Südwesten Berlins bleibt staubtrocken. Selbe Stadt, unterschiedliches Wetter - das erleben wir immer wieder. Meteorologe Heiko Wiese erklärt warum.
rbb|24: Herr Wiese, das Gewitter am Montag hat im Norden Berlins schwer gewütet. Was hatte sich denn da zusammengebraut?
Heiko Wiese: Am Anfang hatten wir diese schwül-feuchte Luft. Dann kam aus Nordwesten kühle frische Meeresluft. Wenn diese beiden Luftmassen mit einer gewissen Geschwindigkeit aufeinanderstoßen, sind Schauer und Gewitter sehr wahrscheinlich. Am Montag haben sich aus Quellwolken sehr mächtige Gewittertürme gebildet, die durchaus auch acht bis zehn Kilometer in die Höhe reichten. Da ist sehr viel Bewegung, Turbulenzen in der Atmosphäre, diese Wolken enthalten sehr viel Energie. Das überrascht uns Wetterfrösche nicht, wenn es dann zu kräftigen Gewittern kommt. Aber es ist eben spannend zu sehen, dass es nicht jeden Stadtbezirk Berlins gleichermaßen trifft.
Wieso kommt es zu solchen lokalen Unterschieden?
Tatsächlich sind gerade solche Schauer und Gewitter sehr eng begrenzt, weil es von einzelnen Gewitterwolken ausgeht, die nur einen Durchmesser von wenigen Kilometern haben.
Wenn Sie mit Leuten aus verschiedenen Bezirken reden, werden sie Ihnen unterschiedliche Dinge erzählen: In Berlin-Staaken hatten wir in einer Stunde zwischen 15 und 16 Uhr 14 Liter Regen auf den Quadratmeter, in Berlin-Marzahn sogar 18 Liter. In den südlichen Stadtbezirken hingegen, also Steglitz-Zehlendorf und Treptow-Köpenick, war es komplett trocken.
Wie unterschiedlich das Wetter innerhalb derselben Stadt ist, kann man auch ganz gut bei einer U-Bahnfahrt sehen: Sie steigen bei Sonnenschein ein, wenige Stationen weiter kommen Menschen mit Regenschirmen und nassen Kleidern, und wenn Sie dann irgendwann aussteigen, scheint wieder die Sonne.
Ist das ein Zufall, dass es den Norden gestern stark getroffen hat und den Süden nicht?
Das hat mit der grundsätzlichen Lage Berlins nichts zu tun. Am Tag zuvor hat es am Müggelsee 15 Liter Regen gegeben, und die westlichen Stadtteile sind nahezu trocken geblieben. Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Gestern war es tatsächlich so, dass diese Schauer- und Gewitterwolke von Westen übers Havelland nach Berlin zog, dann ein bisschen abgedreht ist über Spandau, Reinickendorf und dann weiter Richtung Pankow-Weißensee zog. Aber es hätte eben auch Tempelhof, Lichtenrade oder Adlershof treffen können.
Man kann sich das wirklich ein bisschen vorstellen wie die berühmten Luftblasen im Kochtopf. Ich weiß: Wenn Wasser im Topf ist, und ich den Herd anmache, werden sich Blasen bilden. Aber ich kann nie ganz genau sagen, wo. Diese Blasen haben wir eben gestern in Form starker Bewölkung gesehen, die eben dann örtlich auch mal unwetterartigen Regen und Sturm mit sich gebracht haben.
Hat es auch mit dem Klimawandel zu tun, dass solche Wetterlagen gefühlt verstärkt auftreten?
Nein. Das kann man so allgemein nicht sagen. Es ist im Sommer gerade in Mitteleuropa normal, dass Tiefdruckgebiete durchziehen. Und zu Tiefdruckgebieten gehören eben diese Luftmassengrenzen, diese Fronten. Insofern ist das nicht außergewöhnlich, dass es mal 15 bis 20 Liter auf den Quadratmeter regnet. Was den möglichen Einfluss des Klimawandels angeht, da müsste man eher über die Häufigkeit oder über die Stärke reden.
Wann erwartet uns das nächste Unwetter?
Da müsste man natürlich erst einmal fragen, wie man Unwetter definiert. Die Unwetterzentrale ist Teil der MeteoGroup. Für den einen Kunden oder Verbraucher ist es unter Umständen schon ein Problem, wenn es überhaupt regnet. Auch der Wind wird sehr unterschiedlich bewertet. Aber man kann allgemein sagen, dass es in den nächsten Tagen eher ruhiges, größtenteils auch freundliches Wetter geben wird, mal ein bisschen mehr von hohem, mal von tiefem Luftdruck bestimmt. Aber ich würde in Aussicht stellen, dass zum Sonntag hin ein weiteres Tiefdruckgebiet recht wahrscheinlich ist. Dann kann es zum Teil kräftige Schauer und Gewitter geben – die aber genau wie gestern auch wieder nicht jeden treffen müssen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Mit Heiko Wiese, Meteorologe bei der Meteogroup Deutschland, sprach Ula Brunner, rbb|24.
Sendung: Inforadio, 21.07.2020, 09:00 Uhr