Prozessauftakt - Berliner Polizist nach tödlichem Crash mit Streifenwagen vor Gericht
Ein Funkstreifenwagens kracht in Berlin-Mitte in das Auto einer jungen Frau, sie stirbt noch an der Unfallstelle. Knapp drei Jahre später wird dem Polizisten nun der Prozess gemacht - mit den Eltern als Nebenklägern. Von Ulf Morling
Vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten muss sich ab Dienstag ein Polizist wegen fahrlässiger Tötung einer 21-Jährigen verantworten. Fast drei Jahre später wird dem 53-jährigen Beamten jetzt vorgeworfen, beim Einsatz viel zu schnell gefahren zu sein. Wegen der Corona-Pandemie war der Prozess verschoben worden, er sollte nach langen Ermittlungen ursprünglich im März beginnen.
"Sorgfaltswidriges Verhalten" benennt die Staatsanwaltschaft, was die 21-jährige Fabien am 29. Januar 2018 tötete. Der angeklagte Kriminalkommissar soll im Einsatz mit über 130 Kilometer in der Stunde – und damit viel zu schnell – aus der Tunnelausfahrt am Alexanderplatz herausgeschossen sein in den Biegungsbereich der Grunerstraße. Er habe damit rechnen müssen, dass sich dort Fahrzeuge befinden, deren Fahrer auf der Suche nach Parkplätzen waren, wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor.
Beschlagnahme der Patientenakte war rechtswidrig
Fabien Martini war zu dieser Zeit von einem der rechten Fahrstreifen nach links zu den Parkplätzen auf der Mittelinsel mit ihrem Kleinwagen unterwegs. Aufgrund seiner überhöhten Geschwindigkeit habe der Angeklagte eine Kollision mit dem Auto der jungen Frau nicht mehr verhindern können und so ihren Tod verschuldet, wirft ihm die Anklage vor.
Laut Gericht geht es nicht um die vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung durch Alkohol am Steuer - diesen Anklagepunkt der Staatsanwaltschaft ließ das Gericht nicht zu. Die Beschlagnahme der entsprechenden Patientenakte des Polizisten im Krankenhaus durch die Staatsanwaltschaft sei rechtswidrig gewesen, die Akte darf nicht als Beweismittel verwendet werden.
Fehler, Pannen und sogar "Lügen" bei den Ermittlungen?
Fast drei Jahre nach dem Unfalltod ihrer Tochter hat sich bei den Eltern Fabiens die Überzeugung weiter verfestigt, dass der Verantwortliche für die Tat nicht verfolgt und vor Gericht gestellt werden sollte. Das habe bereits bei der Unfallaufnahme begonnen, erklären ihre Rechtsanwälte Phillip Appelt und Matthias Hardt.
Kaum war das Einsatzfahrzeug in den Kleinwagen der jungen Frau hineingerast, waren Kollegen derselben Direktion 3 vor Ort, aus der die Insassen des Unfall verursachenden Einsatzfahrzeugs stammen. Die Kollegen nahmen den Unfall auf. Später seien die Ermittlungen verzögert und bei Aussagen sei sogar gelogen worden. Beispielsweise sei erst drei Wochen nach dem Unfall der Beifahrer des angeklagten Fahrers vernommen worden, ein halbes Jahr später erst der Einsatzleiter.
Dieser habe schriftlich beteuert, keine Alkoholisierung des Fahrers bemerkt zu haben. Er habe bekundet, den wegen fahrlässiger Tötung angeklagten Kollegen direkt nach dem Unfall ins Krankenhaus geschickt zu haben. "Das waren zwei klare Lügen und eine Verdeckung von Straftaten schwersten Ausmaßes", sagt Nebenklageanwalt Hardt. Denn sowohl Fahrer als auch Beifahrer hätten noch bis über 40 Minuten nach dem Unfall scheinbar unbemerkt im Rettungswagen der Sanitäter gesessen.
Später wurden den Anwälten die Blutalkoholwerte des angeklagten Krimialkommissars zugespielt. Danach waren in der Charité 1,24 Promille Alkohol im Blut des Polizisten festgestellt worden. Die Ergebnisse der Blutabnahme im Krankenhaus wurden allerdings erst ein Jahr nach dem Unfall bekannt.
Angetrunken oder nicht: Alkoholtest wird im Prozess nicht verwertet
Sie hätten mehrfach die Beschlagnahme der Patientenakte des Polizisten bei der Staatsanwaltschaft beantragt. Diese habe argumentiert, dass das "wegen der ärztlichen Schweigepflicht nicht möglich" sei, so die Anwälte der Familie Fabiens. Nach der Beschlagnahme des Alkoholtests wurde schließlich bekannt, dass das sonst übliche Prozedere der Beweissicherung in diesem Fall missachtet wurde: Statt wie vorgeschrieben zwei Proben zu nehmen, wurde dem Angeklagten im Krankenhaus nur ein einziges Mal Blut abgenommen. Später soll die Blutprobe vernichtet worden sein – und wurde damit auch als Beweismittel vor Gericht wertlos, so jedenfalls entschied das Schöffengericht des Amtsgerichts Tiergarten, das über die juristische Schuld oder Unschuld des angeklagten Polizisten jetzt zu urteilen hat.
Im Nachhinein sehen sich Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft durch das Gericht bestätigt, bei der Beschlagnahme der Blutprobe des Polizeibeamten so zögerlich gewesen zu sein. Dass sie es nach über einem Jahr doch taten, sahen Richter später als "rechtswidrig" an. Durch das Einleiten anderer Ermittlungsverfahren durch die Berliner Staatsanwaltschaft seien Umstände konstruiert worden, um das eigentliche Beschlagnahmeverbot der Patientenakte zu umgehen, hieß es.
Eltern Fabiens: Glauben an den Rechtsstaat verloren
"Es gibt keine Vertuschung", hatte stellvertretend für den Chefermittler der Berliner Staatsanwaltschaft – in diesem Fall deren Pressesprecher Martin Steltner – immer wieder beteuert. Auch der in dieser Sache ermittelnde und inzwischen pensionierte Oberstaatsanwalt hatte gegenüber dem rbb stets beteuert, nur gründlich und streng rechtsstaatlich zu ermitteln. Man gehe mit größter Sorgfalt vor. Allerdings hatte die Staatsanwaltschaft wohl niemals den direkten Kontakt zu den hinterbliebenen Eltern der bei dem tragischen Unglücksfall getöteten Fabien gesucht, selbst nicht nach dem Vermittlungsversuch eines Journalisten im Hintergrund.
Die Mutter Fabiens, Britta Martini, schüttelt bis heute hilflos und tieftraurig den Kopf über das zögerliche Prozedere bei den Ermittlungen und im Umgang mit ihnen: "Die müssen doch verstehen, dass wir einen Abschluss finden wollen.“ Ihr Mann, Fabiens Vater Christian Martini sagt bitter: "Ich glaube an diesen Staat nicht mehr! Die wollten von Anfang an eine Menge vertuschen."
Auch knapp drei Jahre nach dem gewaltsamen Tod Fabiens geht Christian Martini noch jeden zweiten Tag zum Mahnmal am Straßenrand an der Grunerstraße, bringt frische Blumen für seine Tochter mit und sorgt dafür, dass die Grabkerzen brennen. "Ich bin es ihr schuldig, dass ich für sie weiterkämpfe", sagt der Gerüstbauer und weint.
Fünf Verhandlungstage bis Mitte November 2020 sind geplant gegen den 53-jährigen Hauptkommissar. Die Eltern Fabiens treten im Prozess als Nebenkläger auf.