Interview | Transgender-Kommandeurin Anastasia Biefang - "Vorurteile haben mich angespornt"

Anastasia Biefang leitete als erste transsexuelle Soldatin ein Bataillon im märkischen Storkow. Ihre nächste Station führt sie als Referatsleiterin nach Bonn. Im Interview spricht sie über den langen Weg zu ihrem Coming-out und Aufklärungsarbeit bei der Bundeswehr.
rbb: Frau Biefang, als Sie vor drei Jahren als Bataillonskommandeurin nach Storkow kamen, gab es durchaus Vorurteile. Eine Frau an der Spitze - noch dazu eine Frau, die früher ein Mann war. Sie sagten einmal, Sie würden einfach keine Kommentare mehr zum Beispiel in sozialen Medien lesen und sich ein hartes Fell zulegen. Haben Sie das in Storkow gebraucht?
Anastasia Biefang: Es gab Tage, da brauchte ich ein dickes Fell. Nicht in Storkow, sondern wenn ich doch mal die Facebook-Kommentare gelesen habe. Gegenüber meinen Soldatinnen und Soldaten brauchte ich kein dickes Fell. Die sind mir sehr offen, sehr respektvoll und auch sehr wertschätzend von Tag eins gegenübergetreten. Ich glaube, die haben auch gemerkt, da kommt jemand mit 23 Dienstjahren Erfahrung. Man fällt ja nicht einfach so auf den Dienstposten der Kommandeurin oder des Kommandeurs. Da sollte man schon darauf vertrauen, dass die Personalauswahl auch die richtige ist. Aber es waren doch eher die Begleitumstände, wenn man mal in die Sozialen Medien schaute. Es gab sehr viele Vorurteile, dass ich unfähig sei, den Verband zu führen. Das hab ich einfach nicht verstanden. Das spornt aber auch an zu beweisen, dass es anders ist.
Gab es bei den Soldaten vielleicht auch Fragen nach Ihrer Geschichte?
Meine Soldatinnen und Soldaten hätten mich alles fragen können, wenn sie gewollt hätten. Jetzt weiß ich aber nicht, ob Sie Ihren Chef oder Ihre Chefin auch zu ihren persönlichen Leben fragen. Es gibt Menschen, mit denen ich im Verband eine andere Nähe hatte als mit anderen. Und da gab es schon Fragen. Da war es mir einfach nur wichtig zu zeigen, dass ich einfach offen bin und diese Offenheit auch kommuniziere, dass man fragen kann. Mir war es wichtig, dass es keine Scheu oder eine große Überwindung gibt.
Wann und wie haben Sie gemerkt, dass bei Ihnen etwas anders ist als bei anderen Menschen?
Ich glaube, mit 16 oder 17 Jahren fing das Ganze an. Die erste Frage war, meine sexuelle Orientierung zu klären. Und dann habe ich einfach gemerkt, dass da noch mehr ist. Heute würde ich sagen, dass ich meine Geschlechtsidentität hinterfragt habe. Bis zu meinem etwa 40. Lebensjahr habe ich gebraucht, mir einzugestehen oder auch zu akzeptieren, dass ich eine Frau bin, auch wenn das so von außen all die Jahre nicht sichtbar war. Das ist ein sehr langer Prozess gewesen, 23 Jahre.
Sie wirken heute entspannt, selbstbewusst und stehen durchaus als Vertreterin für eine offene, vielfältige Bundeswehr. Ich kann mir vorstellen, dass dies nicht immer so war. Sie sind als Sohn eines Soldaten in die Bundeswehr eingetreten, haben dann zunächst als Mann 23 Jahre Karriere im Offiziersdienst gemacht und Pädagogik studiert. Wie schwierig fiel es Ihnen, sich gerade in diesem Umfeld zu öffnen und sich zu Ihrem Selbst zu bekennen?
Es fiel mir tatsächlich sehr schwer. Ich hatte nie gewusst, wie die Bundeswehr tatsächlich mit mir umgehen würde, wenn ich mich oute. Ich hatte mehrmals den Moment in meiner beruflichen Zeit gehabt, das erste Mal zwischen 2007 und 2008, wo ich dachte, ich muss den Schritt gehen. 2015 bin ich ihn endlich gegangen. Kameraden, die das von mir wussten, haben auch gesagt, es wäre vielleicht nicht der karriereförderndste Schritt. Und wie soll das Ganze hier funktionieren? Die Entscheidung, mein Coming-out zu haben, war nicht getragen im Sinne von, das wird schon alles gut gehen, sondern davon, dass ich das für mich machen muss. Und dann sehe ich erst einmal weiter. Ich bin froh, dass es dann sehr positiv lief und dafür bin ich sehr dankbar.
Glauben Sie, dass Ihre Veränderung vom Mann zur Frau Einfluss auf Ihre Karriere hatte?
Das ist eine interessante Frage. Nein, glaube ich nicht. Warum? Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Ich bin mir auch sicher, dass für die Auswahl für den Dienstposten mehr die Qualifikation zählt als eine Geschlechtsangleichung. Ich glaube, die wird in so einer Auswahlkonferenz auch gar nicht gestellt. Es zählt einfach nur Eignung, Leistung und Befähigung.
Das heißt, Sie fühlten sich beim Militär durchaus ernst genommen?
Ich fühlte mich in meinen ganzen Dienstjahren militärisch ernst genommen, allen 26 bis jetzt.
Wie war das, als Sie darüber sprachen, dass Sie in Zukunft als Frau bei der Bundeswehr arbeiten werden?
Mein Vorgesetzter damals im Ministerium hat das Ganze sehr unterstützt, mein Abteilungsleiter entsprechend auch. Es war von Anfang an klar, dass man diesen Weg der Transition begleitet und auch so begleitet wird, dass ich mein Umfeld nicht verändern muss. Meine größte Sorge war, dass jemand auf die Idee kommt, mir eine etwas ruhigere Tätigkeit zu suchen. Und mir war es auch wichtig zu zeigen, dass ich beides nebeneinander hinbekomme. Warum denn auch nicht? Ich wusste zwar nicht, was alles auf mich zukommen würde im Detail. Aber ich glaube, mit einem etwas vorausschauenden Plan und mit einer offenen Herangehensweise - von beiden Seiten - habe ich mit meinen Vorgesetzten und mit dem Umfeld der Bundeswehr diese Transition sehr gut gemanagt, sowohl zeitlich als auch emotional. Das ist ja auch wichtig, dass ich immer dienstfähig war.
In den Medien werden Sie auch häufiger als Transgender-Kommandeurin bezeichnet. Wie bewerten Sie das, wenn dieser Begriff verwendet wird?
Mich stört der Begriff überhaupt nicht. Warum? Ich höre trotzdem immer noch, dass viele erstaunt sind, dass so ein Weg bei der Bundeswehr möglich ist. Man muss aber nicht immer nur auf die Bundeswehr gucken, sondern auch insgesamt in Wirtschaftsunternehmen. Da sind solche Schritte eine Seltenheit. "Out an proud" gilt auch für die Transgender-Community. Und das möchte ich auch gerne forcieren und zeigen, dass das auch geht.
Sie sind immer sehr offen mit Ihrer Situation umgegangen. Es gab sogar einen Dokumentarfilm. Warum zeigen Sie so viel von ihrem Leben? Was wollen Sie damit vielleicht auch erreichen?
Sichtbarkeit. Ich hatte in meinem Leben überhaupt keine Orientierungspunkte in dem Sinne. Oder wenn es etwas war, dann war für mich das Erscheinungsbild von Transsexualität, von Transgender sein, von Transidentität immer eine Sache, die sehr schwierig ist und mit Nachteilen im Leben verbunden ist. Du verlierst deinen Job, verlierst Freunde und Familie, weil keiner damit umgehen kann. Mein Weg zu mir selber war lang. Deshalb habe ich beschlossen, ein Orientierungspunkt zu sein und aufzuklären. Für mich war immer klar, das können wir nur als Community selber machen. Und ich gehöre dazu. Und wenn ich das verlange, muss ich damit anfangen.
Sie sind ehrenamtlich stellvertretende Vorsitzende der Interessenvertretung der lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Angehörigen der Bundeswehr. Gibt es da ausreichende Unterstützung und jetzt auch ein ausreichend offenen Umgang an dieser Stelle?
Ich bin seit fünf Jahren Mitglied bei "QueerBw" und wir werden auch als Netzwerkpartner der Bundeswehr wahrgenommen. Man spricht mit uns auf Augenhöhe und auch im Bereich der Rehabilitierung von homosexuellen Soldaten haben wir diesen Gesetzentwurf, der gerade entsteht, auch eng begleitet und wurden auch gefragt. Und das war auch eins unserer Wesentlichen Eckpfeiler für den Verein, Wir machen auf der einen Seite, als Interessengemeinschaft, Beratung für junge Soldatinnen und Soldaten. Aber wir stehen auch für die Dienststellen der Bundeswehr zur Verfügung, als Ansprechpartner, um Vielfalt in diesen Streitkräften auch zu leben.
Was würden Sie jungen Menschen raten, über die Bundeswehr hinaus, die vor ähnlichen Fragen stehen wie Sie, die mit ihrem weiblichen oder mit ihrem männlichen Leben unglücklich sind?
Finde den Mut und den Weg, zu dir selbst zu stehen. Das ist einfacher gesagt als getan, such dir Hilfe, versteckt dich aber nicht und versuche, so weit wie möglich angstfrei zu sein. Auch wenn das am Anfang vielleicht gar nicht so einfach aussieht. Es gibt ganz viele Stellen, an die man sich wenden kann, innerhalb und außerhalb der Bundeswehr.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Anastasia Biefang führte Michael Nowak, Inforadio.
Der Text ist eine redaktionell bearbeitete und gekürzte Fassung. Das komplette Interview können Sie oben im Audio-Player nachhören.
Sendung: Inforadio, 04.11.2020, 10:45 Uhr