Interview | Journalistinnen recherchieren zu verschwundener Rebecca - "Wir können auch nicht sagen, ob es der Schwager war"

Mi 30.12.20 | 19:28 Uhr
  6
ARCHIV - 28.02.2019, Berlin: Ein junges Mädchen, das mit einer Gruppe Jugendlicher unterwegs ist, klebt in einem Park zwischen den U-Bahnhöfen Johannisthaler Chaussee und Britz-Süd Flugblätter der vermissten Rebecca an einen Laternenpfahl. Foto: Christoph Soeder/dpa
Video: rbb|24 | 30.12.2020 | Material: Archiv, rbb|24 | Bild: dpa

2019 verschwindet die 15-jährige Rebecca aus Berlin-Neukölln spurlos. Die Polizei hält sie für tot. Tatverdächtig ist der Schwager Rebeccas, doch ihm kann nichts bewiesen werden. Zwei Journalistinnen machen sich auf die Suche nach Hinweisen in dem rätselhaften Fall.

Der Fall Rebecca hat im Februar 2019 viele nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland bewegt. Das 15-jährige Mädchen aus Neukölln war am 18. Februar spurlos aus dem Haus ihrer Schwester und ihres Schwagers verschwunden. Die Polizei geht davon aus, dass Rebecca Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist.

Unter Verdacht stand schnell der Schwager. Weil sein Auto am selben Tag auf einer Brandenburger Autobahn registriert wurde und ihn Zeugen in einem Wald dort gesehen haben wollen, wurden wochenlang Wälder und Seen von Polizisten durchkämmt. Doch von dem Mädchen fehlt bis heute jede Spur. Der Schwager wurde auf freien Fuß gesetzt und die Familie von Rebecca zeigt sich von seiner Unschuld überzeugt.

Die Journalistinnen Miriam Arndts und Lena Niethammer haben sich auf Spurensuche begeben und über ein Jahr für ihren investigativen Podcast "Im Dunkeln" recherchiert.

rbb|24: Frau Arndts, Frau Niethammer, hat Sie etwas an dem Fall der verschwundenen Rebecca besonders berührt?

Miriam Arndts: Wenn ein geliebter Mensch von einer Sekunde auf die nächste verschwindet, ist das schrecklich. Ich glaube, mit den Gefühlen und Ängsten, die man da haben kann, können sich viele identifizieren. Bei diesem Fall besonders ist, dass sehr schnell jemand aus der Familie des Mädchens verdächtigt wurde, etwas mit ihrem Verschwinden zu tun zu haben. Das ist ja eine extreme Situation.

Lena Niethammer: Was uns beide sehr berührt hat, ist die persönliche Komponente. Einerseits wollen wir den Fall und die Arbeit der Polizei und der unterschiedlichen Experten wie beispielsweise IT-Forensikern abbilden. [IT-Forensik: methodische Analyse von Daten auf IT-Systemen, um Beweise in gerichtsverwertbarer Form zu sichern, d.Red.] Andererseits wollten wir auch zeigen, was so ein Fall mit allen Beteiligten macht und wie er sie zurücklässt. Beispielsweise mit Rebeccas Freunden, die bis heute hoffen, dass sie wieder auftaucht. Oder was es mit der Schwester eines Tatverdächtigen macht, wenn sie auf einmal von allen Seiten darauf angesprochen wird, dass ihr Bruder angeblich ein Mörder sei. Und auch wie es ist, wenn man diesen Bruder dann in der Untersuchungshaft besuchen muss.

Sie spielen auf den Schwager von Rebecca an. Er wurde ja zweimal festgenommen und die Polizei geht offenbar immer noch davon aus, dass er der Täter im Fall Rebecca ist. Was haben Ihre umfänglichen Recherchen da bisher ergeben. War es der Schwager?

Lena Niethammer: Wir können natürlich nicht sagen, ob es der Schwager war oder nicht. Es gibt viele Indizien, die gegen ihn sprechen. Dass er beispielsweise erzählt hat, er sei an dem Morgen zu Hause gewesen - und er beziehungsweise sein Auto stattdessen auf der Autobahn registriert wurde. Als das klar war, sagte er dann seiner Familie, dass er als Drogenkurier arbeiten würde und bis nach Polen gefahren sei. Aber zu der Zeit wurde sein Auto in einem Wald in Brandenburg gesehen. In unserem Podcast erzählt dann auch noch eine Reiterin, dass sie eine Person, die dieselbe Kappe und dieselben Kleider wie der Schwager trug und sich komisch verhielt, ungefähr zu der Zeit in demselben Wald in Brandenburg gesehen habe. Es spricht also viel gegen ihn, aber es ist bei weitem keine lückenlose Beweiskette. Sonst wäre er vermutlich auch in Haft.

Sie gehen ja wirklich raus, auch in den zuvor genannten Wald. Sie sprechen mit den Menschen, den Verwandten von Rebecca und mit Nachbarn. Daran lassen Sie die Hörer teilhaben. Was Sie da machen, ist ein "True-Crime-Podcast". Haben Sie sich da an Vorbildern orientiert?

Lena Niethammer: Erstmal ist es die journalistische Arbeit, die wir sonst auch machen. Wenn man über Kriminalfälle schreibt, macht man das genauso. Der Podcast bietet jetzt allerdings viel mehr Platz – so können wir noch mehr in die Tiefe gehen. Es gibt gerade im amerikanischen Bereich viele Podcasts, die auch in diese Richtung gehen, die also investigativ sind. Wo selbst recherchiert und den Behörden nochmal auf die Finger geschaut wird. Am bekanntesten ist der True-Crime-Podcast "Serial". Aber "In The Dark" oder "To Live and Die in L.A." entsprechen auch dem Genre unseres Podcasts "Im Dunkeln".

Verbindet sich für Sie mit Ihrem Podcast das Ziel, nicht nur zu unterhalten, sondern auch zur Aufklärung des Falles Rebecca beizutragen?

Lena Niethammer: Unser Ziel ist eigentlich nicht, einfach zu unterhalten. Sondern es war so, dass wir den Fall 2019 intensiv verfolgt haben. Die Polizei hat ja wahnsinnig schnell auf den Schwager von Rebecca gezeigt und gesagt, was sie auch heute noch sagt, dass er der einzige Tatverdächtige ist und es keinerlei Hinweise gäbe, dass es auch irgendwie anders gewesen sein könnte. Sie hätten aber nicht genug Beweise, um ihn festzunehmen. Das hat unsere journalistische Neugierde getriggert. Wir wollten wissen, ob es wirklich gar keine anderen Hinweise gibt. Es ist ja seltsam, wenn man nicht genug Beweise hat, sich aber so sicher ist. Dieses Selbstbewusstsein der Ermittler hat uns überrascht. Und das wollten wir überprüfen.

Sie rufen am Ende Ihres Podcasts in jeder Folge dazu auf, dass sich die Hörer bei Ihnen melden können, wenn sie Hinweise im Fall Rebecca hätten. Kam da schon was?

Lena Niethammer: Wir sind total überrascht von so viel Feedback. Es schreiben uns so viele Leute. Ich habe noch nie so viele Rückmeldungen bekommen. Wir bekommen jeden Tag dutzende Nachrichten. Darunter sind auch viele Hinweise. Es gibt Leute, die glauben, sie hätten Rebecca irgendwo gesehen. Manche haben irgendwo eine Decke gesehen wie die, die mit Rebecca verschwunden ist. Es ist überwältigend, wie viel da kommt. Wir müssen jetzt schauen, was glaubwürdig ist und was nicht. Es melden sich auch Menschen, die Informationen an die Polizei weitergegeben haben und sich nicht so richtig ernst genommen gefühlt haben.

Die Polizei ist das nächste Stichwort. Sind sie mit der Polizei in Verbindung? Geben Sie etwaige Hinweise weiter?

Miriam Arndts: Wir haben natürlich mit der Polizei und der Staatsanwaltschaft gesprochen. Die Ermittler, die direkt mit dem Fall arbeiten, dürfen hierzu keine Interviews geben. Aber wir haben Hintergrundgespräche geführt. Die Polizei hofft zwar weiterhin, den Fall aufzuklären. Dort arbeitet man jetzt aber die letzten Hinweise ab. Es gibt jetzt – anders als am Anfang - keine richtige Kommission mehr, die sich ausschließlich mit Rebecca beschäftigt. Wir haben gehört, dass die Ermittler jetzt mehr oder weniger auf "Kommissar Zufall" warten, der den Fall noch aufklären wird. Wenn wir über den Podcast relevante Hinweise bekommen, ermutigen wir die Leute, sich auf jeden Fall auch bei der Polizei zu melden.

Gibt es irgendwelche Anzeichen dafür, dass Rebecca noch leben könnte? Es gibt ja nicht nur nicht genug Indizien dafür, den Schwager des Mädchens zu verhaften, sondern auch nach wie vor keine Leiche des Mädchens.

Miriam Arndts: Es gibt Zeugen, die Rebecca noch am Tag ihres Verschwindens außerhalb des Hauses ihrer Schwester und ihres Schwagers gesehen haben wollen. Was der Theorie der Ermittler widersprechen würde, die ja davon ausgehen, dass Rebecca im Haus umgekommen ist. Dann gibt es da noch die letzte Nachricht von Rebecca. Es war ein Foto, das sie an dem Morgen, bevor sie verschwunden ist, mit ihrem Handy an eine Freundin geschickt hat. Es war ein "Snap", also ein Foto, das sich löscht, sobald der Empfänger es gesehen hat. Wir konnten es daher nicht sehen, haben es aber beschrieben bekommen. Auf diesem Foto war Rebecca schon komplett angezogen. Sie hatte schon ihre Jacke an und es wurde wohl in einem Flur gemacht. Das deutet darauf hin, dass sie kurz davor war, das Haus zu verlassen.

Das heißt, was den Verbleib des Mädchens betrifft, ist auch für Sie alles offen?

Lena Niethammer: Es ist einfach noch nicht gelöst. Aber je länger man sich mit dem Fall beschäftigt, desto mehr Hinweise findet man gegen den Schwager. Allerdings finden sich genauso auch immer wieder neue Hinweise auf Rebecca, denen vielleicht doch noch nicht genug nachgegangen worden ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

6 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 6.

    Wenn Sie das moralisch so verwerflich finden, warum haben Sie sich das Interview dann angekuckt? Vermutlich habe ich aktuell dasselbe Video des youtubers 'Jarow' gesehen. Ich fand es recht interessant, um z.B. einen Eindruck von der Mutter, aber auch von der etablierten Sensationspresse zu bekommen. So erfährt man gleich am Anfang, dass das Fahndungsfoto, das hier in Kommentar #4 als Lolita-Foto bezeichnet wird, von der Kripo ausgesucht wurde. Das hatte wohl den Grund, dass die Familie kein aktuelles Foto des Kindes mit kurzen Haaren hatte. Dennoch hat es das öffentliche Bild von Rebecca Reusch offenbar klar geprägt, wie auch #4 wieder zeigt. Ich finde es gut und richtig, wenn Journalist*n dieser Oberflächlichkeit etwas entgegensetzen. Und wenn sie für die Öffentlichkeit beleuchten, warum der Fall noch immer ungelöst ist. Wenn sie dafür Zeit investieren, hab ich auch kein Problem damit, wenn sie dafür Geld kriegen. Die Polizei arbeitet m.W. auch nicht ehrenamtlich.

  2. 5.

    Diese Art "Recherche" begrüße ich nicht. Vor einigen Monaten hatte ich ein Youtube-Interview mit Frau Reusch und einem Kriminalfall-Recherche-Youtuber gesehen. Das ganze ist vor allem einträglich. Die bei der Kripo sind nicht dumm. Dass die Journalistinnen irgendwelche rechtsverwertbaren neuen Erkenntnisse bekommen, unwahrscheinlich. Natürlich wird sich ein Fall, der medial bereits hohe Wellen geschlagen hatte, herausgesucht. Aber die hehre Absicht dahinter erkenne ich nicht, Es geht um Reichweite, um Klicks und Sensationsheischerei. Da bin ich strikt dagegen.

  3. 4.

    Was mir von anfang an in den Sinn kam, als ich dieses Lolita-Foto sah, war, dass das Mädel mittlerweile bei irgendeinem osteuropäischen Oligarchen gelandet ist.
    Wäre jedenfalls netter als tot.

    Ok, wilde Spekulation und freies Assoziieren mal beiseite.
    Der Fall macht schon betroffen, genauso, wie das Verschwinden der kleinen Inga Gehricke.
    Bisschen seltsam mutet es aber schon an, dass da zwei Journalistinnen "ermitteln". Beweise irgendwelcher verwertbaren Art für die Polizei scheinen dabei aber bisher noch nicht herausgekommen zu sein.
    Sollte das tatsächlich passieren, so würde immerhin diese Podcast-Geschichte einen positiven Mehrwert haben.

  4. 3.

    Hilfreich wäre, wenn man schon Werbung für den Podcast macht, auch die Kontaktdaten der beiden Journalistinnen anzugeben. Für die, denen noch was einfällt.

    Mir persönlich hat das Gestammel des Schulfreundes gut gefallen.

    Der Hinweis, dass es ein Snap war, den man Stunden vorher aufnehmen und später abschicken kann, war auch spannend.

    Und sich daraus ergebend: wenn ein Schüler "später" hat und EHER aufsteht und ALLES mitnimmt, was man auch nach der Schule hätte holen können, wie auch ein Schlafdeckerl, dann stimmt zu Hause was nicht. Definitiv. In diesem Falle bei der Schwester/dem Schwager. Schaut aus, als ginge man für die 2. Morgenhälfte zu einem anderen Gästesofa...

    Aber: eine Lösung dafür gibt es im Podcast auch nicht.

  5. 2.

    Schade dass der Podcast exklusiv bei dieser unsäglichen Podimo-Plattform erscheint. Gerade wenn man auf Feedback der Hörer hofft finde ich es seltsam, die Zielgruppe auf die paar Leute zu beschränken die auf deren Scam reingefallen sind. Oder es wurde in den ersten 3 öffentlichen Folgen schon alles gesagt, dann ist es natürlich kein Verlust. :) Ansonsten wärs schade drum.

  6. 1.

    Ich dachte immer man sei Unschuldig, bis man Verurteilt ist. Hat man den Schwager Verurteilt? Nein, hat man nicht. Er wurde also nicht mal angeklagt. Unt trotzdem versucht die gesamte Presse ihn zu überführen, veröffentlicht sein Bild usw. Natürlich spricht viel gegen ihn, aber Verurteilen dürfen in diesem Land nur Richter. Keine Medien, keine öffentliche Meinung und auch keine "überzeugten" Polizisten.

Nächster Artikel

Das könnte Sie auch interessieren