Unbegleitete Minderjährige - Dritter Flüchtlingsjunge aus Moria in Berlin vermisst gemeldet

Do 27.10.22 | 21:08 Uhr | Von Roberto Jurkschat
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Berlin Spandau , Evangelisches Johannesstift (Quelle: imago-images/Jürgen Ritter)
Bild: imago-images/Jürgen Ritter

Im vergangenen Frühjahr sind acht unbegleitete Minderjährige aus dem griechischen Camp Moria nach Berlin gekommen – wenige Monate später sind drei von ihnen aus ihren Unterkünften verschwunden. Die Polizei bittet um Hinweise. Von Roberto Jurkschat

Ein unbegleiteter Junge ist am Samstag aus seiner Unterkunft in Berlin-Spandau verschwunden und wird seitdem vermisst. An Nachmittag habe der 13-jährige die Einrichtung Johannesstift in Berlin-Spandau verlassen und sei nicht zurückgekehrt, teilte die Polizei mit.

Nach dem Verschwinden des Jungen hat das Landeskriminalamt der Berliner Polizei eine Öffentlichkeitsfahndung gestartet und bittet um Hinweise: Der Junge ist 1,40 Meter groß und hat dunkle Haare, beim Verlassen der Einrichtung trug er eine schwarzbraune Jacke und schwarze Adidas-Schuhe.

"Er war zuverlässig und kam immer pünktlich nach Hause"

Noch am Samstagvormittag habe der Junge mit Erziehern in der Einrichtung gespielt, sagte Daniel Domrös, Bereichsleiter im Johannesstift, dem rbb. Dass er die Einrichtung verlassen wolle habe er vorher nie angedeutet. Am Nachmittag gegen 14.20 Uhr zeichnet eine Überwachungskamera am Eingang des Geländes auf, wie der 13-Jährige die Einrichtung allein verlässt. Seitdem fehlt von ihm jede Spur und eine Vermutung, wohin der Junge gegangen sein könnte, hat Bereichsleiter Domrös nicht. Der Johannesstift liegt am nordwestlichen Ende Berlins, direkt am Spandauer Forst. Tagsüber fährt vor dem Gelände alle sechs Minuten ein Bus in Richtung Zoologischer Garten.

Beim Verlassen der Einrichtung habe der Junge seinen Rucksack und sein Handy zurückgelassen, sagt Domrös. Im Rucksack habe er auch seine BVG-Karte zurückgelassen. "Wir sind besorgt, weil wir das so nicht kennen. Wir haben andere Kinder und Jugendliche, die immer mal gucken, wo die Grenzen sind, aber er war sehr zuverlässig und kam immer pünktlich nach Hause." Eine Sprecherin der Einrichtung erklärte rbb|24, dass der Junge seit Juli in der Einrichtung wohne. Er spreche gut Deutsch, besuche eine Schule in Spandau und spiele in einem Fußballverein.

Von Moria nach Berlin - und dann verschwunden

Die Senatsjugendverwaltung bestätigte rbb|24 am Mittwoch, dass der 13-Jährige zu den acht Minderjährigen gehört, die über ein Sonderaufnahmeprogramm der Bundesregierung im Frühjahr aus dem zerstörten griechischen Flüchtlingscamp Moria nach Berlin gekommen sind. Dieses Detail ist deshalb auffällig, weil mit ihm bereits der dritte Junge aus dieser Gruppe innerhalb kurzer Zeit als vermisst gemeldet wurde.

Die acht Minderjährigen kamen Anfang Mai in Berlin an und wurden zunächst in der zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für unbegleitete Minderjährige in Wilmersdorf untergebracht. Dort haben Pädagogen der Unterkunft während der Clearingphaser geprüft, ob die Kinder Angehörige in Deutschland haben oder medizinische Versorgung brauchen. Nach zweieinhalb Monaten in Wilmersdorf sind die Kinder und Jugendlichen im Juli in verschiedene Berliner Jugendhilfeeinrichtungen umgezogen - in Einrichtungen, die in der Regel weniger bewacht sind als die Erstaufnahmestelle.

Seit Ende Juli sind drei der acht Kinder aus ihren Unterkünften verschwunden: Ein 13-Jähriger verschwand bereits Ende Juli, ein weiterer Junge, gerade acht Jahre alt, verließ Anfang September seine Unterkunft in Lichtenberg und kehrte nicht zurück. In beiden Fällen blieb die Suche der Polizei nach den Kindern über Wochen ohne Erfolg.

Achtjähriger in Belgien aufgetaucht

Nach Angaben der Polizei gibt es Hinweise, dass die Jungen zu Angehörigen weitergereist sein könnten.

Allerdings hatten die Erstaufnahmestelle in Wilmersdorf und auch die gesetzlichen Vormunde der Kinder aus Afghanistan Erkenntnisse über mögliche Verwandte in Deutschland. Nach Informationen von rbb|24 ist zumindest der achtjährige Junge inzwischen wieder in Belgien aufgetaucht. Dort wurde er unter Vormundschaft gestellt – allerdings nicht von einem Angehörigen, sondern von einem Jugendamt. Er lebt dort nun in einer Pflegefamilie. Wie der Junge von Berlin nach Belgien gekommen ist, ist weiterhin unklar. Von dem 13-Jährigen fehlt weiterhin jede Spur.

Hilfsorganisationen warnen vor Menschenhandel

Dass unbegleitete Flüchtlingskinder aus ihren Heimen verschwinden, kommt in Berlin immer wieder vor. Ende März galten in der Hauptstadt insgesamt 16 unbegleitete Minderjährige als vermisst, davon fünf Kinder und elf Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren [pdf-Download]. In einer Befragung des Bundesinnenministeriums haben die zuständigen Behörden die Weiterreise zu Bekannten oder Angehörigen als Hauptgrund für das Verschwinden benannt, ein anderer Faktor ist demnach die Unzufriedenheit mit der Unterbringung.

Hilfsorganisationen warnen allerdings auch vor Menschenhandel und anderen Straftaten mit Flüchtlingskindern. Aufgrund möglicher Gefahren durch kriminelle Gruppen sprach auch das Deutsche Kinderhilfswerk bereits eine Warnung aus. "Kriminelle Netzwerke üben psychischen oder physischen Druck auf Flüchtlingskinder aus, damit sie die Betreuungseinrichtungen verlassen", betonte der Bundesvorsitzende des Kinderhilfswerks, Holger Hofmann.

Das Verschwinden des Jungen wirft in der Einrichtung Johannisstift einige Fragen auf. Bereichsleiter Daniel Domrös fragt sich vor allem, weshalb er sein Handy in der Unterkunft gelassen hat. "Man kann sich fragen, hat er es vergessen oder wollte er es absichtlich nicht mitnehmen, wegen der Nachvollziehbarkeit."

Die Vermisstenstelle der Berliner Polizei bittet bei ihrer Suche nach dem 13-Jährigen um Hilfe aus der Bevölkerung. Hinweise werden unter der Telefonnummer (030) 4664-912444, per E-Mail an LKA124Hinweise@polizei.berlin.de oder in jeder anderen Polizeidienststelle entgegengenommen.

Sendung: rbb ZIBB, 26.01.2021, 18.30 Uhr


Roberto Jurkschat ist Mitglied des grenzüberschreitenden Journalismusprojekts Lost in Europe, das das Verschwinden von minderjährigen Flüchtlingen in Europa untersucht.

Beitrag von Roberto Jurkschat

6 Kommentare

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  1. 5.

    ich will gerne glauben,das das was die Betreuer überdieses Kind schilderten stimmt. Jedoch wir kennen alle die Geschichten der Menschen die plötzlich ebend noch vorpubertär nun erwachsen sein mussten. Die Bevormundung, das zurückdrängen der erlernten Überlebensstrategie ist nur kurzzetig zu ertragen. Wir kennen alledie Vita der Wolfskinder, Christiane F., Sido oder Juju44. Manches geht gut aus, aber die meisten halt nicht. Auf jeden Sido oder Juju kommen 20-30 völlig gescheitete Existenzen.

  2. 4.

    Was ist eigentlich aus den zehntausenden unbegleiteten Minderjährigen geworden, die ab September 2015 in dieses Land kamen? Ihr Schicksal scheint niemand mehr zu kümmern.

  3. 3.

    Ich kann nur hoffen und wünschen, dass es den Kindern gut geht. Was ist das für eine kranke Welt?
    Alt Westberlinerin, sie haben so recht.

  4. 2.

    Lieber RBB, wichtig wäre u.a., die Persönlichkeit der Jungs besser zu schützen und nicht über die Medien die Details zu den Aufentahltsorten rauzuposaunen. Unterkünfte gerade für unbegleitete Minderjährige sind Schutzräume und eine Veröffentlichung der Adressen durch Sie mehr als fahrlässig, gerade wenn die Befürchung des Menschenhandels schon im Raum steht. Gehen Sie bitte sensibler mit den Daten um --> keine Adressen von Unterkünften veröffentlichen!!!

  5. 1.

    Ich möchte es eigentlich nicht, ich möchte nicht diese Gedanken haben, ich möchte nicht an Manuel Sch. denken, oder an Tristan. Ich möchte das nicht. Aber dennoch muss uns, vor allem, weil Belgien auch genannt wurde, klar sein, dass es dieses Paralleluniversum GIBT. Und dass es Mittel und Wege gibt, Jungen dort rein zu locken.

    Handys sind da sehr störend.
    Mircos Handy fand man damals in irgend einem Straßengraben beim Mähen.

    Ich möchte nicht daran denken. Aber ich muss.

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