Stadtquartier "Schöneberger Linse" - Vollgas am Südkreuz
Zwischen Gasometer und Bahnhof Südkreuz entsteht in Berlin-Tempelhof-Schöneberg das Stadtquartier "Schöneberger Linse" - linsenförmig, daher der Name. Trotz der zentralen Lage war die Bebauung lange nur eine Idee. Jetzt geht es rasant voran. Von Matthias Bartsch
"Dit is doch nich normal!" Martin Wolfs Blick gleitet über den Bahnhofsvorplatz. Er muss beruflich nach Tempelhof und wartet auf den M46er -Bus. Der 60-Jährige kann sich noch gut an die Brache nach der Wiedervereinigung erinnern – der Blick reichte bis an den südlichen Stadtrand, wie Wolf erzählt. Jetzt versperren gleich mehrere Rohbauten den Blick. "Wahnsinn, was sich hier in den letzten Jahren getan hat. Schön sieht anders aus", sagt Wolf. "Aber irgendwie is dit ja ooch Berlin."
Nachhaltige Holz-Hybrid-Konstruktion
Ganz anders dagegen blickt Immobilienmanager Martin Rodeck auf das Baufeld. Der gebürtige Tempelhofer plant mit seinem Unternehmen Edge nachhaltige Gebäude. Am Südkreuz ist der Geschäftsführer verantwortlich für die neue Berliner Vattenfall-Zentrale, die keine 200 Meter entfernt vom Bahnhofseingang bereits im Rohbau steht.
Die beiden siebengeschossigen Häuser sehen auf den Konzept-Visualisierungen spektakulär aus. 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen bald im neuen Stadtquartier arbeiten. Geplant ist eine offene Bauweise mit einem Atrium im Gebäude und einer Sky-Lounge in den beiden oberen Etagen eines Gebäudes.
Schon jetzt kann man hier erkennen, was das Haus so besonders macht. Eine mächtige Holzdecke zieht sich in sechs Metern Höhe über die gesamte Länge des Raums. "Stützen, Balken und Fensterrahmen werden innen sichtbar aus Holz bestehen, dazu kommen 120 Wand- und über 1.000 Deckenelemente", sagt Martin Rodeck über die Holz-Hybrid-Konstruktion. "Beton haben wir nur noch für die Fundamente und den Keller gebraucht."
Im Vergleich zur konventionellen Stahlbetonbauweise reduzieren sich für die Herstellung des Rohbaus die anfallenden CO2-Emmissionen um bis zu 80 Prozent. "Eine sehr klimafreundliche Bauweise", so Rodeck. Durch das Holz verbessere sich außerdem das Raumklima. Die Vattenfall-Zentrale wird ohne Frage ein Highlight der "Schöneberger Linse" werden.
Fraglich bleibt, ob auch die anderen geplanten Büroflächen im Quartier wirklich gebraucht werden. Die Corona-Pandemie führt zu Home-Office-Möglichkeiten, auch die zunehmende Digitalisierung eröffnet neue Wege. Rodeck dagegen zeigt sich zuversichtlich, dass auch künftig Menschen zum Arbeiten zusammenkommen. Es sei eine Herausforderung, das zu planen und zu organisieren, aber am Ende würden Begegnungen weiter wichtig bleiben.
Auch günstige Mieten und buntes Leben
Die Gesamtfläche von 22 Hektar rund um den Bahnhof Südkreuz bietet Potential für bis zu 2.000 Wohnungen. Die Gewobag plant bis Ende 2022 eine Immobilie mit 211 Wohnungen, Gewerbeeinheiten und einer Kita. Die Hälfte der Wohnungen soll bei geförderten Mieten 6,50 Euro pro Quadratmeter kosten, die andere Hälfte um die 10 Euro. Den ersten Spatenstich gab es auch schon für ein Wohn- und Beratungshaus der Schwulenberatung Berlin. Am "Lebensort Vielfalt" sind 70 Wohnungen für die LGBTQIA*-Community geplant. Auf der Warteliste sollen bereits mehrere hundert Interessenten stehen. Kaum zu glauben, dass es so viele Jahre gedauert hat, bis am Südkreuz mit dem Bauen begonnen wurde. Denn die Lage ist nicht nur zentral, sondern auch sehr gut erschlossen. Neben der angrenzenden Stadtautobahn fahren hier die S-Bahn-Züge der Ringbahn und der Nord-Süd-Verbindung. Und der angrenzende Nord-Süd-Grünzug sorgt für Freizeitmöglichkeiten. Er ist auch gleichzeitig Teil des Radfernwegs Berlin-Leipzig.
Ein kleiner Schandfleck gleich neben den Neubauten blieb lange der BSR-Recyclinghof am ehemaligen Tempelhofer Weg. Mittlerweile ist aber auch er Geschichte. Seit dem 31. März geschlossen, wird er demnächst verschwinden. Der Tempelhofer Weg trägt bereits einen neuen Namen. Die Straßenschilder bleiben noch eine Zeit lang montiert, sind allerdings rot durchgestrichen. Der neue Name darüber: Ella-Barowsky-Straße, benannt nach einer ehemaligen Schöneberger Bürgermeisterin. Es sind Schritte, die verdeutlichen wie konsequent die Entwicklung des neuen Stadtquartiers vorangetrieben wird. Am Ende begeisterte sich auch die BSR für die Lage. Sie will ihre Hauptverwaltung von der nicht weit entfernten Ringbahnstraße zum Südkreuz verlegen. Noch gibt es keine konkreten Entwürfe – eine zum Teil orange-farbige Gebäudefassade sei aber durchaus vorstellbar, heißt es.
Sendung: Abendschau, 30.03.2021, 19:30 Uhr