Interview | 75 Jahre TU Berlin - "Lernen ist für Studierende immer auch eine soziale Aktion"

Fr 09.04.21 | 18:32 Uhr
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Eine Simulation einer Notbremsanwendung an der TU-Berlin (Quelle: dpa/Christoph Soeder)
Audio: rbb 88.8 | 9.4.2021 | Interview mit Christian Thomsen | Bild: dpa/Christoph Soeder

Vor 75 Jahren wurde die Technische Universität Berlin eröffnet, seit gut zwei Jahren ist sie Exzellenzuniversität mit ehrgeizigen Projekten. TU-Präsident Christian Thomsen spricht über Klimaforschung, verwaiste Hörsäle und eine Institution im Wandel der Zeit.

rbb: Professor Thomsen, wie sieht es im Moment aus in der Technischen Universität – leere Gänge, verwaiste Hörsäle?

Christian Thomsen: Leere Gänge, ja. Das ist ziemlich bedauerlich, weil wir vor der Pandemie gewohnt waren, vollen Betrieb mit vielen Menschen zu haben. Aber im Moment geht es nicht anders. Wir sind in einem Präsenznotbetrieb: Nur Dinge, die absolut unausweichlich passieren müssen, passieren.

Die Feierstimmung ist wahrscheinlich auch nicht so riesig. Was würden Sie sagen: Was waren die Höhepunkte der letzten Jahrzehnte?

Wenn ich mit der kürzeren Vergangenheit anfangen darf, ist ein Höhepunkt, dass wir es geschafft haben, in der Pandemie so zu agieren, dass die Lehre vernünftig weitergehen kann, wenn auch digital. Aber im Prinzip hat es gut geklappt. Wenn ich etwas weiter zurückgehe, dann ist es die Tatsache, dass wir den Exzellenz-Status errungen haben in der Berlin University Alliance. Das war erstmalig für die TU Berlin. Und da sind wir total stolz drauf.

Nochmals Glückwunsch! Wissenschaftsforschung am Standort Berlin ist vielen Berlinern vielleicht gar nicht so präsent, ist aber ein wichtiges Thema. Was sind Ihre Projekte, die in unsere Leben am meisten hineinspielen?

Es gibt eine Reihe von Projekten, zurzeit sind es zwei, die ich vordergründig nennen würde. Das eine ist künstliche Intelligenz und deren Entwicklung in quasi alle Lebensbereiche. Das zweite ist der Klimawandel, an dessen Abschwächung oder Begleitung wir gemeinsam mit anderen Institutionen im Berliner Raum arbeiten.

Worum genau geht es im Bereich der künstlichen Intelligenz?

Künstliche Intelligenz wird in vielen Bereichen angewandt, in der Medizin zum Beispiel. Die Analyse von Hunderten oder Tausenden von Bildern stößt etwa mithilfe künstlicher Intelligenz auf sehr viel bessere, zielführende, schnellere Diagnosen, als wenn Menschen diese Beobachtung machen. Letztlich wird es aber immer der Mensch überprüfen. Das ist klar.

Was tut die TU beim Klimawandel, um das Problem in den Griff zu bekommen?

Es gibt zwei Ansätze. Das eine ist der Campus-Ansatz, also unsere Gebäude, Klimatechnik, Heizung so zu modernisieren, dass wir vielleicht in 2030 oder 2040 klimaneutral mit unserem Campus in Berlin sind. Das hat zwar noch keine Klimaauswirkungen, aber es hat Vorbildcharakter: Wenn wir das schaffen mit unseren 150 Gebäuden, dann kann es vielleicht auch ganz Berlin schaffen. Das Zweite ist, dass wir im Prozess sind, ein Klimazentrum zu gründen, wo wir alle Wissenschaftler*innen, die in Berlin, Potsdam oder in Brandenburg tätig sind, zusammenbinden. Ziel ist ein großes Netzwerk, das an verschiedenen Themen der Klimaforschung wissenschaftlich arbeitet, und auch Politikberatung beinhaltet.

Wird in der Berliner Politik aktuell genug über dieses Thema geredet?

Das würden wir so sehen. Wir würden hoffen, dass wir das vielleicht auch an der einen oder anderen Stelle angeschoben haben. Ich nenne als Beispiel den Kollegen Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Sprecher dieser Klima-Initiative, der schon in den vergangenen Jahren die Bundeskanzlerin beraten hat bei der Frage, wie man etwa mit der Klimasteuer umgeht.

Gibt es irgendetwas, was in unserem Alltag eine Rolle spielt und bei dem Sie sagen: Ohne uns als TU hätte es das nicht gegeben?

Ganz spontan würde mir in der Pandemie-Situation die Frage einfallen: Wie viele Menschen können einigermaßen gefahrlos in einem Raum sitzen, ohne sich anzustecken? Dafür gibt es Modellierungen von der TU, mit Simulationen und Berechnungen, die Einfluss darauf haben, ob zum Beispiel Schulen und Kinos aufhaben oder nicht oder U-Bahnen benutzbar sind oder eher nicht.

Wenn diese Pandemie hoffentlich irgendwann vorbei ist, wird dann alles so sein wie vorher? Oder wird sich etwas verändert haben?

Ich denke, es wird sich etwas verändern. Es gibt Konzepte, die sich einfach überholt haben. Und es gibt Ideen, die sich in der Pandemiephase jetzt entwickelt haben. Ich denke, wir werden die digitalen Veranstaltungen, die Kacheln, die wir vor uns haben, auch weiter behalten etwa bei Kongressen. Man wird nicht mehr so viel Reisen, um einen kleineren Carbon-Footprint zu haben. Man wird vielleicht Vorlesungen wie jetzt in der asynchronen Form führen, also sprich jeder kann es sich runterladen, wann er oder sie Zeit hat. Das wird bleiben.

Was aber sicher zurückkommen wird, sind die persönliche Wechselwirkungen. Denn Lernen ist für Studierende immer auch eine soziale Aktion. Man kann nicht nur alleine lernen. Man muss sich austauschen. Das wird wiederkommen in persönlicher Form. Und es wird Lerngruppen und Tutorien geben, wo man sich streitet, wo man über Sachen spricht. Das muss es geben für die Universität.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mit Christian Thomsen sprach Ingo Hoppe für rbb 88.8. Dieser Beitrag ist eine gekürzte und redaktionell bearbeitete Version. Das Originalinterview können Sie mit Klick auf das Audiosymbol im Titelbild nachhören.

1 Kommentar

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  1. 1.

    In der Abendschau wurde gerade ein Versuch in der Aerosolforschung gezeigt. Da frage ich mich: Warum werden diese Erkenntnisse nicht in der Praxis angewendet. Beispielsweise für wirksame, alltagstaugliche Schutzmasken. Es könnten viele Infektionen verhindert und viele Todesfälle vermieden werden, wenn die Aerosole beim Ausatmen gleich nach unten gelenkt werden. Allerdings sind die begrenzt wirksamen Krankenhausmasken das bessere Geschäft.

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