Müll-Vermeidung - Warum es noch viel mehr Mehrweg-Produkte geben müsste

Überall liegt Müll. Längst nicht mehr nur in den Straßen, sondern auch in den Parks und Wäldern. Kein Wunder: unser Müll-Output hat sich in den letzten 20 Jahren pro Kopf verdoppelt.Ein Experte sieht Lösungen vor allem bei mehr Informationen und mehr Mehrweg.
rbb|24: Herr Wilts: Ist die Müll- Situation inklusive Müll-Trennung in Deutschland durch Corona an ihre Grenzen gekommen?
Henning Wilts: Die Situation hat sich mit Sicherheit in vielen Bereichen verschärft. Es gab mehr Abfall durch Corona, denn die Menschen sind mehr zuhause, sie Essen weniger außerhalb und verursachen unter anderem so einfach mehr Müll. Wir haben dann in Deutschland anfangs aus hygienischen Gründen Schwierigkeiten gehabt mit der Sortierung von Müll. Die Leute sind noch vorsichtiger damit geworden, sich zu entscheiden, was in welche Tonne gehört. Also haben sie noch mehr in den Restmüll getan.
Wirklich an die Grenzen gebracht hat uns das in Deutschland nicht. Ich betreue ja auch internationale Projekte, wo in den Ländern eine ganz andere Abfallstruktur herrscht. Da gibt es vielfach einen informellen Sektor in Sachen Müllarbeit. Und dort hat es sie wirklich an Grenzen gebracht. Aber bei uns haben wir das ganz gut in den Griff bekommen.
Was genau meinen Sie mit den hygienischen Problemen?
Viele Leute waren sich nicht sicher, wo sie Müll, den sie angefasst haben, entsorgen. Und ob sie wollen, dass das ins Recycling geht. Deshalb wurden sehr viel mehr Verpackungen und Hygieneartikel in den Restmüll geworfen, die in den gelben Sack oder die Wertstofftonne gehört hätten.
In den anderen Ländern, die ich ansprach, arbeiten hundert Menschen dicht gedrängt und ohne Masken in Hallen und sortieren Müll von Hand. Da gab es riesige Corona-Hotspots. Bei uns haben die Müllunternehmen schon auch sehr geächzt. Sie konnten ja auch den Betrieb nicht einstellen. Alles musste weiterlaufen und die Unternehmen mussten zusehen, wie sie ihre Mitarbeiter schützen. Im und am Müllauto arbeiten die Leute dicht an dicht. Da sitzen drei vorne, die immer rein und raus springen. Diese Mitarbeiter zu schützen war ein riesiger organisatorischer Aufwand.
Wie entsorgt man diese ganzen Verpackungen (Kaffeebecher, Essensbehälter – aber auch Masken und Tests), die seit einem Jahr anfallen richtig – muss man das alles auseinanderzupfen?
Das ist zwar kein spezifisches Corona-Problem, aber eines, wo wir in Deutschland noch viel besser machen können. Eigentlich haben wir das System, dass sich danach sortiert, was eine Verpackung ist und was keine ist. Ein To-Go-Kaffeebecher ist ganz klar keine Verpackung und würde in den Restmüll gehören. Ebenfalls die medizinischen Dinge. All das gehört in die schwarze Tonne. Dafür zahlen wir und das wird dann abgeholt.
Das funktioniert mit den Verpackungen anders. Dafür muss jeder, der eine solche Verpackung auf den Markt bringt, schon vorab zahlen. Wir Verbraucher tun den Müll dann in den gelben Sack und die Entsorgung ist für uns kostenlos. Aber viele Verpackungen kann man eigentlich gar nicht recyceln, weil sie aus vielen unterschiedlichen Materialien sind. Manche Verbraucher denken sich das schon und schmeißen die in den Restmüll. Andererseits gibt es Dinge wie beispielsweise eine alte Bratpfanne, die keine Verpackung sind. Sowas packen viele Leute in die gelbe Tonne. Dafür gibt es den Begriff des "intelligenten Fehl Fehlwurfs" - die Leute sind offensichtlich schlauer als das Gesetz. Das war zwar nie so gedacht - aber diese Metallpfanne wird in der Sortieranlage herausgefischt. Sie lässt sich super recyceln und es spart unendlich viel Energie ein. Genau so sollte es eigentlich sein.
Alles, was in der schwarzen Tonne landet, geht in den allermeisten Fällen in Deutschland, direkt in die Verbrennungsanlage. Was da landet, wird in der Regel auch nicht mehr recycelt.
Jetzt soll ja 2023 eine Mehrweg-Pflicht für gastronomische Betriebe kommen. Aber ist das genug? Warum gibt es die nicht einfach auf alles, auch für Beispielsweise Gurkengläser oder Weinflaschen?
Diese Entscheidung ist mit Sicherheit ein Schritt in die richtige Richtung, die im Kern darauf abzielt, die Umweltverschmutzung besser in den Griff zu bekommen. Das könnte mit dem neuen Gesetz auch ganz gut klappen. Aber es ändert gar nichts an den riesigen Mengen von Abfall, die wir verursachen. Der Plastikmüll, den wir produzieren, hat sich pro Kopf in den letzten 20 Jahren verdoppelt.
Es würde aus ökologischer Sicht Sinn machen, noch in vielen anderen Bereichen auf Mehrweg zu setzen. Beispielsweise bei Getränkeverpackungen. Da steht im Gesetz sogar das Ziel von 70 Prozent. In der Realität ist das aber jährlich rücklaufend. Da liegen wir derzeit in etwa bei 40 Prozent. Das wären eigentlich die viel größeren Hebel.
Es gibt Milliarden an Flaschen, über die wir da reden. Teils hat es da schonmal funktionierende Systeme gegeben. Aber wenn es dann doch wieder individuelle Bierflaschen gibt oder die Alu-Dosen zurückkehren, ist das wirklich eine Fehlentwicklung.
Ist Bio-Plastik eigentlich eine Lösung? Und wo wird das überhaupt entsorgt?
Bio-Plastik ist ein schwieriges Thema. Damit wird der Verbraucher häufig allein gelassen. Wenn auf einer Verpackung drauf steht, dass es aus Bio-Plastik ist, kann es aus sehr unterschiedlichen Dingen hergestellt sein. Aus Lebensmitteln beispielsweise wie Mais. Aber das kann ja nicht das Ziel sein, dass dann irgendwo in Brasilien noch mehr Regenwald gerodet wird, um da noch mehr Soja anzubauen oder Mais. Da ist die Ökobilanz des Plastiks kaum besser, als wenn es mithilfe von Erdöl hergestellt worden wäre. Es gibt auch Bio-Plastik aus landwirtschaftlichen Resten oder Algen. Das ist dann schon besser als echtes neues Plastik – aber nicht unbedingt viel besser als recyceltes Plastik.
Die Idee ist also schon gut. Aber sie sollte uns nicht dazu verführen, weiterhin solche riesigen Mengen an Verpackungsabfällen zu produzieren. Bio heißt in dem Fall nicht, dass es die Umwelt nicht auch belastet.
Und dann ist da noch die Sache mit der Entsorgung. Bio-Plastik könnte man eigentlich gut recyceln. Eigentlich. Doch wenn es im Bio-Abfall landet, funktioniert das noch überhaupt nicht. Es landet dann mit den anderen Dingen zusammen in einer Vergärungsanlage. Doch es braucht doppelt so lange um zu vergären. Viele der Abfallunternehmen müssen dann nach etwa drei Wochen, wenn der andere Müll längst verrottet ist, diese Bio-Plastik-Fetzen per Hand herausfischen. Und sie separat verbrennen.
Bio-Plastik gehört also in die Restmülltonne? Dann ist es doch eine Mogelpackung?
Es gehört in die schwarze Tonne. Und die Idee ist schon interessant. Aber es müsste jemand diese Bio-Plastik-Sachen wieder aus dem Abfall herausholen und recyceln. Dafür ist die Anlagentechnik zu teuer und die Mengen derzeit nicht groß genug. Solange das aber nicht funktioniert, ist es tatsächlich eine Mogelpackung. Denn den Leuten wird ja beim Einkauf auch nicht erklärt, was das genau bedeutet.
Insgesamt scheint die Situation für viele Verbraucher ja verwirrend zu sein.
Ja, in jedem Supermarkt gibt es "kreislauffähige" oder "recycelbare" oder "wiederverwendbare" Produkte. Damit sind die Kunden völlig überfordert. Sie wissen einfach nicht mehr, wer da was Sinnvolles und Gutes macht und wer nur "greenwashing" betreibt. Da sollte die Politik klare Kriterien aufstellen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: Radioeins, 07.05.2021, 09:03 Uhr