Klage am Potsdamer Arbeitsgericht - Mutmaßliche Oberlinhaus-Täterin wehrt sich gegen Kündigung

Eine Pflegehelferin soll Ende April im Potsdamer Oberlinhaus vier Menschen getötet und eine Frau lebensgefährlich verletzt haben. Gegen ihre Kündigung klagt die 52-Jährige. Zum Start des Prozesses am Donnerstag gelten strenge Sicherheitsregeln. Von Lisa Steger
Am Abend des 29. April 2021 erhält die Polizei in Potsdam einen Notruf: Im Thusnelda-von-Saldern-Haus, einem Wohnheim für Menschen mit Behinderungen, sei eine Bluttat verübt worden. Die Beamten finden zwei Bewohnerinnen und zwei Bewohner tot vor. Eine weitere Bewohnerin ist lebensgefährlich verletzt und muss ins Krankenhaus.
Dringend tatverdächtig ist eine 52 Jahre alte Pflegehelferin. Sie ist aktuell in der Gerichtspsychiatrie untergebracht.
Das Haus hatte ihr nach der Tat die außerordentliche Kündigung ausgesprochen und hilfsweise eine ordentliche Kündigung. Dagegen wehrt sich die Frau. Am Donnerstag verhandelt nun das Potsdamer Arbeitsgericht eine Klage der Verdächtigen, die sich damit gegen ihre Kündigung wehrt.
Anwalt erhebt Vorwürfe gegen Arbeitgeber
Rechtsanwalt Henry Timm betont auf rbb-Anfrage, dass seine Mandantin 32 Jahre lang für das Oberlinhaus gearbeitet habe. Zudem gebe es "mögliche formelle Gründe für die Unwirksamkeit der Kündigungen": Das Oberlinhaus habe mehrere fristlose Kündigungen ausgesprochen, eine davon am 19. Mai. Das sei eventuell zu spät, moniert Timm.
Hintergrund: Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) muss die fristlose Kündigung innerhalb von zwei Wochen stattfinden, nachdem die Tatsachen bekannt geworden sind, die eine weitere Zusammenarbeit nach Ansicht des Arbeitgebers unzumutbar machen.
Darüber hinaus habe das Oberlinhaus möglicherweise "seine Fürsorgepflichten nicht in dem Maße erfüllt", so Anwalt Timm: "Der Arbeitgeber muss sorgen, dass bei der Arbeitsorganisation das Personal nicht dauerhaft überlastet ist."
Welchen Sinn eine Kündigungsschutzklage angesichts einer zu erwartenden sehr langen Haft oder Unterbringung in der Psychiatrie hat, dazu wollte sich der Anwalt nicht äußern: "Wir sollten dem Ermittlungsverfahren und der Beweisaufnahme nicht vorgreifen", erklärt Henry Timm.
Eine Sprecherin des Oberlinhauses äußerte sich auf rbb-Anfrage vorerst nicht, da es sich um ein laufendes Verfahren handele.
Arbeitsgericht musste Klage annehmen
Die "Oberlin Lebenswelten GmbH" habe der Pflegehelferin fristlos und zudem ordentlich gekündigt, teilte Robert Crumbach, Sprecher des Arbeitsgerichts Potsdam, auf rbb-Anfrage mit. Die 52-Jährige klagt gegen beides. "Wir müssen selbstverständlich jede Klage bearbeiten", so Crumbach.
Für den Donnerstag (10.6.) ist ein Gütetermin angesetzt, ein Urteil ist nicht zu erwarten. Wenn eine Einigung scheitere, so der Sprecher, müsse die Vorsitzende Richterin ein Urteil verkünden, aber diese Verhandlung werde erst in etwa drei Monaten stattfinden.
Die Vorsitzende hat für den Gütetermin strenge Sicherheitsmaßnahmen angeordnet. Die Zuhörer werden am Eingang auf Waffen kontrolliert; "Missfallens- oder Beifallsbekundungen und ähnliches sind untersagt", heißt es in einer Verfügung. Zuhörer, die dagegen verstoßen, müssen mit einer Ordnungsstrafe rechnen.
Beschuldigte in der forensischen Psychiatrie
Es ist allerdings nicht damit zu rechnen, dass die Pflegehelferin, die vier Menschenleben auf dem Gewissen haben soll, selbst erscheint.
Am Abend des 29. April hatte die Polizei sie zu zuhause festgenommen; sie soll die Taten ihrem Mann gestanden haben. Dieser, so heißt es, habe die Polizei verständigt.
Am folgenden Tag schickte das Amtsgericht Potsdam die Mitarbeiterin in die Gerichtspsychiatrie. Es gebe Anhaltspunkte, dass sie zum Tatzeitpunkt vermindert schuldfähig oder schuldunfähig gewesen sein könnte, so die Begründung. In der Klinik ist sie auch weiterhin untergebracht. "Die psychiatrische Untersuchung dauert an", sagte Markus Nolte, der Sprecher der Potsdamer Staatsanwaltschaft, auf rbb-Anfrage.
Die Taten hatten bundesweite Anteilnahme ausgelöst. So auch in der Brandenburger Landesregierung. Es sei bedrückend, dass gerade diejenigen, die auf Schutz besonders angewiesen waren, zu Opfern geworden seien, erklärte etwa Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Über viele Tage lang versammelten sich vor dem Wohnheim Menschen zum stillen Gedenken, legten Blumen ab und stellten Kerzen auf.
Das Oberlinhaus genoss bis dahin einen guten Ruf. Von Straftaten war nie etwas bekannt geworden.
Sendung: Inforadio, 10.06.2021, 9 Uhr