Berlin und Brandenburg - Deutlich mehr Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung

Mo 19.07.21 | 21:15 Uhr
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Symbolbild: Ein Kind schaukelt vor einem Hochhaus (Bild: dpa/Rolf Vennenbernd)
Bild: dpa/Rolf Vennenbernd

Körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt sowie Vernachlässigungen: Im vergangenen Jahr wurden deutlich mehr Verfahren gegen Eltern und Erziehungsberechtigte eingeleitet. Besonders stark war der Anstieg in Brandenburg.

In Berlin und Brandenburg sind im vergangenen Jahr rund 26.600 Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung geführt worden. In der Hauptstadt sei die Zahl im Vergleich zum Vorjahr damit um acht, in Brandenburg sogar um 18 Prozent gestiegen, teilte das Amt für Statistik am Montag mit. 85 Prozent der betroffenen Kinder waren in Brandenburg jünger als 14 Jahre, in Berlin rund 80 Prozent.

Vernachlässigungen und Misshandlungen festgestellt

In Berlin sei in fast jedem zweiten der rund 18.500 Fälle eine latente oder gar akute Gefährdung der jeweiligen Kinder festgestellt worden. Demnach waren in 19 Prozent der Fälle bereits erhebliche Schädigungen des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls eingetreten oder zumindest mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten gewesen. Dabei habe es sich vor allem um Vernachlässigungen, aber auch körperliche und psychische Misshandlungen gehandelt.

In drei Prozent der entsprechenden Fälle hätten Verfahren wegen sexueller Gewalt eingeleitet werden müssen. Im überwiegenden Teil der angestoßenen Verfahren (56 Prozent) habe man keine Gefährdung der jeweiligen Kinder, jedoch oftmals Unterstützungsbedarf festgestellt.

Von den 8.075 in Brandenburg gelaufenen Verfahren ergaben 38 Prozent eine akute oder latente Gefahr für die Kinder. Wie in Berlin wurden die Betroffenen dabei vor allem vernachlässigt. Auch körperliche und psychische Misshandlungen (595) seien festgestellt worden. In 161 Fällen kamen die Jugendämter zu der Einschätzung, dass die Kinder durch sexuelle Gewalt gefährdet sind.

Zahlen bestätigen Befürchtungen

Diese Entwicklung war bereits zu Beginn der Corona-Krise befürchtet worden. Psychologinnen und Psychologen warnten vor Ausnahmesituationen in vielen Familien. Bereits Mitte April 2020, wenige Wochen nach dem ersten Lockdown, hatte die Berliner Senatsverwaltung eine Plakatkampagne gestartet, um für ein Sorgentelefon bei Krisen und Konflikten in Familien zu werben.

Im Juli wurde dann klar, dass es während des Lockdowns eine deutliche Zunahme an häuslicher Gewalt gegeben habe. Mit dem zweiten Lockdown ab November verzeichnete die Gewaltschutzambulanz an der Berliner Charité ebenfalls eine höhere Zahl an Gewaltopfern. Betroffen waren vor allem Frauen und Kinder.

Sendung: Abendschau, 19.07.2021, 19.30 Uhr

4 Kommentare

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  1. 4.

    Das, lieber Karsten, ist sehr drastisch formuliert - aber NICHT falsch. Da ich selbst Lehrer bin, konnte, durfte und MUSSTE ich es von Anfang an miterleben.
    Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass es den Obrigkeiten egal war - sie (die Obrigkeiten) haben allerdings sehr stur und nur in eine Richtung gedacht - zumindest nach meiner Wahrnehmung.
    Als Beispiel nenne ich nur die Testpflicht, bei welcher kein Weg dahin führte, dass die Eltern die Kinder zu Hause selbst testen. Die Eltern wurden schlicht für unmündig erklärt - die Folge war, dass die Kinder, die das Testen in der Schule nicht wollten, dann eben nicht in die Schule durften. Und DAS war und ist sträflich. Es geht schlicht nicht an, dass den Kindern der Schulbesuch verweigert wird.
    Aber danach fragte niemand - insofern ist an dem Wörtchen "egal" schon auch ein Funken Wahrheit.
    In meiner eigenen Klasse bspw. waren 4 Kinder, die ab Mitte April (Beginn der Testungen) bis zu den Sommerferien nicht in der Schule waren.
    Hier hat sich der Staat in der Tat schuldig gemacht - das kann und darf man nicht verschweigen ...

  2. 3.

    Guten Morgen Berlin. Ich arbeite nun seit 30 Jahren in der Jugendhilfe. Bereits lange vor Corona waren die Zustände in der Berliner Jugendhilfe und in den Jugendämtern bereits extrem kritisch. Schon vor Jahren sind die MitarbeiterInnen der Jugendämter auf die Strasse gegangen und haben demonstriert weil sie auf Grund der politischen Sparmaßnahmen und großen Lücken in der Personaldecke befürchteten ihren Job zu Lasten des Kindeswohls nicht mehr entsprechend ausüben zu können. Die grottenschlechte Politik der letzten 20Jahre z.B. unter Herrn Zöllner und Frau Scheeres (SPD) und im Anschluss die Pandemie mit einem schlechten Krisenmanagement seitens Frau Scheeres haben der Situation dann den Rest gegeben. Berlin entwickelt sich unter RRG in großen Schritten zu einer kinderfeindlichen Stadt. Schämt Euch.

  3. 2.

    Ich glaube nicht, dass es "denen" egal war oder ist. Ich glaube auch nicht, dass die Entscheidungen zu Schulschließungen leichtfertig getroffen wurden.
    Die Plakatkampagne mit Informationen zu Hilfsangeboten lief ja in Berlin nicht, weil's niemanden kümmert. Das war doch ein Appell, aufmerksam zu sein und zu helfen. Und die Anzeigen kamen auch von Menschen, die das kümmert - die kommen ja nicht von den vernachlässigenden oder misshandelnden Erziehungsberechtigten oder Partnern selbst - sondern z.B. von Nachbarn (die im Home-Office doch auch mehr mitbekommen als sonst), von Lehrkräften (wenn sie ihre Schüler:innen nicht erreichen konnten) und so fort. Ich denke, es gab beides: Eine Zunahme an Gewalt und Vernachlässigung durch die prekäre Situation - aber auch eine erhöhte Aufmerksamkeit und (leider in manchen Fällen auch erst als Folge von Eskalation in den Familien) mehr Bereitschaft einzuschreiten oder Hilfe zu suchen. Das macht es allerdings nicht weniger bitter für die Betroffenen.

  4. 1.

    "Diese Entwicklung war bereits zu Beginn der Corona-Krise befürchtet worden." Richtig. Und während den Lockdowns haben sich diese Befürchtungen auch bestätigt. Das war aber den meißten egal. Es wurde nur wenig darüber gesprochen. Auch hier in den Artikeln und Kommentaren wurde weiterhin von vielen Leuten, darunter Eltern und Lehrer, längere Schulschließungen verlangt. Diese Leute haben sich meiner Meinung nach mitschuldig gemacht und brauchen jetzt auch kein Mitleid heucheln. Besseren Wissens haben die Verantwortlichen die Opfer immer länger ihren Peinigern schutzlos überlassen. Es war euch einfach egal! Schämt euch!

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