Sicherheit queerer Menschen in Berlin - "In manchen Bezirken überlegen wir uns genau, ob wir Händchen halten"
Homo-, bi- und transsexuelle Menschen werden heute häufiger akzeptiert als früher. Doch wie sicher fühlen sich die queere Menschen in Berlin tatsächlich? Auch 52 Jahre nach den Protesten in der Christopher Street in New York leben viele mit Angst. Von Marcus Latton
Heterosexuelle Pärchen müssen sich in der Regel keine Gedanken darüber machen, Opfer von körperlichen Angriffen zu werden, wenn sie Händchen haltend und küssend durch die Straßen gehen. Doch für Menschen, deren sexuelle Identität nicht der Norm entspricht, ist das anders.
Beleidigungen, Schläge, Belästigungen: Für Menschen aus der LGBTIQ+-Community bleiben solche Attacken ein permanentes Risiko - selbst in Berlin mit seiner aktiven Schwulen- und Lesbenszene. Das Berliner Anti-Gewalt Projekt Maneo etwa registrierte für das vergangene Jahr 560 homophobe und transfeindliche Attacken. Die Dunkelziffer könnte nach Ansicht der Organisation viel höher liegen.
Wir haben drei Menschen aus der LGBT-Szene gefragt, wie sicher sie sich in Berlin fühlen und wie sie Hate Speech in den sozialen Medien erleben.
Frank Wilde, Kostümbildner
"Ich gehe Hand in Hand auf die Straße - auch wenn ich weiß, dass das für zwei Männer unter Umständen gefährlich ist. Ich habe tatsächlich ein relativ hohes Sicherheitsgefühl - aber nur was mich persönlich betrifft und auch nur in meiner Bubble, aus der ich mich nicht so viel herausbewege.
Ich weiß aber, dass dieses Sicherheitsgefühl trügen kann und sehr fragil ist. Ich kenne viele Leute, die bedroht und auch zusammengeschlagen wurden. Auch wenn ich keine Orte meide, gibt es Gegenden, von denen ich weiß, dass sie schwierig sind.
Natürlich ist das Internet eine Einladung für alle diejenigen, die ihr kleines bitteres Leben aufpolieren wollen. Sie machen andere Leute schlecht, um sich selbst ein bisschen besser zu fühlen, indem sie sie beleidigen oder ihnen sogar Mord androhen. Das habe ich selber auch schon erlebt.
Die gesellschaftliche Akzeptanz für die LGBT-Community beginnt zuerst in der Familie. Ich glaube, eigentlich gehört ein schwuler Sohn oder eine lesbische Tochter in jede Familie. Anders bekommen es die Leute nicht mit."
Mara Geri, SPD-Politikerin
"Für mich persönlich, aber auch für die ganze queere Community in Berlin, schwingt immer ein bisschen Angst mit, wenn man rausgeht, weil die Übergriffe einfach zugenommen haben in den letzten Jahren. Man liest jede Woche von neuen Angriffen und man geht raus mit einem mulmigen Gefühl - und mit der Angst, dass immer etwas passieren könnte.
Es gibt natürlich die Kriminalitätsschwerpunkte - Kottbusser Tor oder Alexanderplatz - da überlegt man ganz genau, ob man dort alleine hingeht. Ich versuche, trotzdem überall hinzugehen und mich nicht einschüchtern zu lassen. Aber man ist in Habachtstellung und schaut, wie man sich bewegt und zu welcher Uhrzeit.
Ich werde im Internet täglich angeschrieben. Hate Speech erfahre ich immer mehr, und dass andere mir das Frausein und das Menschliche absprechen wollen.
Man muss immer wissen, dass wir im Schnitt einmal am Tag in Berlin angegriffen werden. Das ist für uns ein Riesenproblem. Wir können nicht frei, wir können nicht in Ruhe leben, wir müssen uns immer verteidigen. Da möchten wir ein bisschen mehr Respekt haben, wir möchten akzeptiert werden, und einfach ein Teil dieser Gesellschaft sein – wie alle anderen auch."
Mehmed König, Aktivist
"Ich komme aus einem Ort in Bayern. Da konnte ich meine Homosexualität nicht so wirklich ausleben und zu ihr stehen. Daher war es für mich ein tolles, freies Gefühl, als ich nach Berlin gekommen bin - aber für mein Empfinden hat sich die Sicherheitslage ein wenig verschlechtert.
Grundsätzlich, würde ich sagen, fühle ich mich ganz wohl hier. Ich kann aber sagen, dass ich mich in manchen Bezirken, in manchen Gegenden, eher unwohl fühle. Wenn ich beispielsweise mit meinem Mann unterwegs bin, entscheiden wir je nach Bezirk oder je nach Gegend, ob wir Händchen haltend miteinander laufen oder ob wir es nicht tun.
Auf meinem Instagram-Account schicken mir viele Menschen Nachrichten oder schreiben in Kommentaren öffentlich ihre teilweise sehr diskriminierende Meinung gegenüber queeren Menschen. Das habe ich schon sehr oft erlebt.
Was ich mir vom Rest der Gesellschaft wünschen würde: Aufstehen, laut sein, den Menschen beistehen - egal ob zu Hause, in der Familie oder draußen, wenn man Diskriminierung erfährt. Das ist unheimlich wichtig."