"Schwammstadt" - Wie groß die Hochwassergefahr in Berlin ist

Vollgelaufene Tunnel und Keller, überflutete Straßen - das kommt in der versiegelten Großstadt Berlin nach Starkregen durchaus vor. Doch ein Hochwasser ähnlich wie im Westen Deutschlands ist bei Havel und Spree kaum möglich. Von Katrin Veuskens
Die Folgen der Unwetterkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sind dramatisch: Mehr als 160 Menschen sind tot, viele verletzt. Enorme Sachschäden sind entstanden, Häuser wurden zerstört, ganze Gemeinden von der Umwelt abgeschnitten. Menschen stehen vor dem Nichts.
Viele Brandenburger können in etwa nachvollziehen, welche Auswirkungen so eine Naturkatastrophe haben kann. Das Oder-Hochwasser 1997, die Fluten 2002 und 2013 an der Elbe oder das Hochwasser an der Schwarzen Elster 2010 sind den meisten noch präsent. Aber anders als im bergigen Westen und Süden des Landes fließen die Wassermassen im märkischen Flachland nicht in Sturzfluten ab, das Wasser bleibt lange stehen.
Starkregen meist sehr lokal
Und in Berlin? Vollgelaufene Tunnel und Keller, Wasser, das in den Straßen so hoch steht, dass es in den BVG-Bus schwappt – das hat man in der Hauptstadt schon öfter erlebt. Berlin und seine direkten Nachbargemeinden wurden zuletzt im Juli 2016, Juni und Juli 2017 sowie Juli 2018 von Starkregenereignissen getroffen, wie die Senatsumweltverwaltung auf Anfrage von rbb|24 am Dienstag mitteilte. Zuletzt fegte Ende Juni Tief "Xero" mit viel Regen über die Region hinweg, traf aber hauptsächlich Brandenburg.
Oft sind die heftigen Niederschläge aber örtlich eng begrenzt: Auch wenn Meteorologen vorhersagen können, dass es Starkregen geben wird, ist kaum vorhersagbar, wo genau es passiert. Während in einem Bezirk die Feuerwehr den Notstand ausruft, bleibt es in einem anderen trocken.
Und Spree und Havel können zwar durch langanhaltenden Regen in Brandenburg, Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern anschwellen. Aber mit einer ähnlichen "Hochwasserdramatik" wie in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz oder Bayern ist "aufgrund der topographischen Lage im Norddeutschen Flachland" nicht zu rechnen, schätzt die Berliner Umweltverwaltung ein.
Der Spreewald schützt Berlin
Das hat verschiedene Gründe. Einer davon ist der Spreewald. "Der Schwamm von Berlin" titelte die "Morgenpost" schon im Jahr des Elbe-Hochwassers 2002. Und das trifft es gut: Die Verästelungen, die Fließe, mit einer Gesamtlänge von fast 1.000 Kilometern und die Auwälder nehmen sehr viel Wasser auf. Doch der Spreewald ist auf dem Weg nach Berlin nicht der einzige "Schwamm". Auch zahlreiche Seen und das eine oder andere Flussdelta können als Puffer bei einem möglichen Hochwasser wirken.
Zudem fließt die Spree mangels Gefälle sehr langsam. Hochwasserwellen laufen hier wie auch an der Havel vergleichsweise flach ab, halten sich aber länger. Durch die langsame Fließgeschwindigkeit habe man lange Vorwarnzeiten, so die Umweltverwaltung. Ein Hochwassermeldesystem sei etabliert. Zudem können Zu- und Abfluss des Spreewassers in Berlin mit mehreren Schleusen kontrolliert werden.

Ein Prozent der Landesfläche gilt als potenziell gefährdet
Auch die anderen Berliner Flüsse haben nicht das Potential für eine Flutwelle, Überschwemmungen sind aber sehr wohl möglich. So listet ein Papier zum Hochwasserrisikomanagement der Senatsumweltverwaltung Müggelspree, Erpe, Gosener Gewässer, Panke, Tegeler Fließ, Untere Spree und Untere Havel als Gewässer mit "potenziellen, signifikanten Hochwasserrisiko" auf.
In solchen potenziellen Überschwemmungsgebieten gilt nach Angaben der Umweltverwaltung grundsätzlich Bauverbot. In Berlin sind demnach davon insgesamt acht Quadratkilometer betroffen, etwa ein Prozent der Landesfläche - hauptsächlich an der Müggelspree im Südosten und an der Havel in Spandau.
Doch bei Starkregen in Berlin selbst kommt es immer wieder zu Überschwemmungen im Stadtgebiet - oft aber nur örtlich begrenzt. So zum Beispiel im Sommer 2016, als der Gleimtunnel am Mauerpark geflutet war und Regenwasser wie ein Wasserfall in verschiedene U-Bahnhöfe lief. Das Problem bei Starkregen sind in Berlin die versiegelten Flächen. Das Wasser kann nicht versickern, sondern fließt in die Kanalisation. Für solche Wassermassen ist das teilweise über 100 Jahre alte Kanalnetz aber nicht ausgelegt.
Berlin soll "Schwammstadt" werden - und eine Riesen-Regentonne bekommen
Berlin versucht nun zu erreichen, dass das Regenwasser – zumindest teilweise - erst gar nicht in die Kanalisation gelangt: mit dezentralen "Regenwasserbewirtschaftungsmaßnahmen". Berlin soll zur "Schwammstadt" werden, so die Umweltverwaltung. Ein Baustein: Begrünte Dächer sollen möglichst viel Regenwasser speichern. Dafür gibt es auch ein Förderprogramm. Ein anderer Weg ist beispielhaft in Adlershof zu sehen. Dort versickert das Wasser in Mulden und kleinen Speichern, sogenannte Rigolen, zwischen Gehweg und Straße. Zudem lässt die Umweltverwaltung prüfen, welche bislang noch zubetonierten oder anders versiegelten Flächen wieder entsiegelt werden können.
Daneben sollen auch unterirdische Staubecken viel Regenwasser beziehungsweise Mischwasser - also Schmutz- und Regenwasser - aufnehmen. So ist beispielsweise seit 2020 unter dem Mauerpark ein Stauraumkanal in Betrieb. Und neben dem Gebäude des Bundesnachrichtendiensts (BND) in Mitte wird aktuell eine "Riesen-Regentonne", so die Berliner Wasserbetriebe, mit knapp 17.000 Kubikmetern Fassungsvermögen gebaut. Sie sei das mit Abstand größte Einzelprojekt und zugleich "der krönende Abschluss" des seit Jahrzehnten laufenden sogenannten Stauraumprogramms für Gewässerqualität mit insgesamt 300.000 Kubikmetern Speichervermögen. 2026 soll das Projekt fertig sein.
Doch diese Speicher sind nicht nur dafür gedacht, Überschwemmungen bei Starkregen zu vermeiden. Sie sollen das Wasser auch für trockene Zeiten vorhalten. Denn lange Dürreperioden wie in den letzten Jahren sind die andere Seite der Extremwetter, die der Klimawandel verursacht.