Hohe Kosten - langsamer Fortschritt - Berlin sucht nach einer Zukunft für das Flughafengebäude von Tempelhof

Am Flughafen Tempelhof steigt seit 15 Jahren nichts mehr auf. Das Gebäude ist riesig und immer wieder gibt es neue Ideen: Laufsteg, Filmkulisse, Unterkunft für Geflüchtete und zuletzt Impfzentrum. Doch was wird daraus langfristig? Von Sabrina Wendling
Ständig produziert das Tempelhofer Feld Schlagzeilen. Seit dem Volksentscheid 2014 gegen eine Randbebauung sind der Umgang mit Rasen und Rollfeld Lieblings-Streitthema zwischen Aktivisten und verschiedenen Parteien. Stiller ist es um die Nutzung des Flughafengebäudes. Hier wurde zwar ein Konzept beschlossen, aber bislang nur wenig umgesetzt.
Zweifellos kam der Leerstand in dem Mammutkomplex in vielen Notlagen wie gerufen: Etwa als viel Platz für Geflüchtete händeringend gesucht wurde. Oder jetzt zur Unterstützung bei den Corona-Impfungen. Aber wo soll es mit dem Flughafengebäude langfristig hingehen?
Experimentierort für Kultur - für die Opposition zu schwammig
Den Wandel verwaltet seit zehn Jahren die Tempelhof Projekt GmbH im Auftrag des Landes Berlin. Auf der Seite der GmbH liest sich die Perspektive für das Flughafengebäude so: "Der Flughafen Tempelhof soll in den kommenden Jahren zu einem Experimentierort und neuem Stadtquartier für Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft werden." So hat der Senat das Leitbild, die sogenannte "Vision 2030+" beschlossen. Soweit, so unspezifisch.
Ging das nicht ein bisschen konkreter? Fragt man die Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus, so lautet die Antwort sinngemäß: Die rot-rot-grüne Koalition wisse selbst nicht, wo es hingehen soll, und genau das zeige sich im schwammigen Konzept. Genau deshalb gehe es hier auch nicht voran, so der Schluss.

Erneuerung als "Generationenprojekt"
Am Anfang steht der millionenschwere Sanierungsstau. Jahrzehntelang wurde nicht ins Gebäude investiert. Und jetzt würden die Mittel für das Mammutprojekt vom Senat immer nur scheibchenweise zur Verfügung gestellt, kritisiert der Generalsekretär der CDU, Stefan Evers: "Das hat zu dem Gemischtwarenladen geführt, den wir in den vergangenen Jahren im Flughafengebäude gesehen haben." Damit meint Evers den bunten Mix aus Berliner Polizei, Kindergarten, Zentralem Fundbüro, Verkehrslenkung und Tanzschule – um nur ein paar der etwa 70 Unternehmen zu nennen, die zu den Mietern des Flughafengebäudes gehören.
Wegen der Baumängel können keine neuen Mieter mehr aufgenommen werden. Das Gebäude muss dringend saniert werden. "Dringend" bedeutet in diesem Fall aber noch lange nicht schnell.
Der Aufwand ist so enorm, dass die Tempelhof Projekt GmbH von einem "Generationenprojekt" spricht. "Wir werden sicherlich 15 bis 20 Jahre brauchen", sagt die Sprecherin der Tempelhof Projekt GmbH, Irina Dähne. So müssten Schadstoffe aus der Gebäudesubstanz entfernt werden, Tragwerk und Fassaden saniert und der Brandschutz erneuert werden. Auch eine umfassende energetische Sanierung mit Photovoltaikanlage und neuen Technologien zur Energiespeicherung seien geplant. Perspektivisch soll das Flughafengebäude klimaneutral werden - wie ganz Berlin.

Hangars für Kultur und Museen
Nur langsam, sehr langsam geht es hier voran. Das konkreteste Beispiel für die Umgestaltung ist der Tower des Flughafengebäudes, also der Ort, an dem zu aktiven Flughafenzeiten die Fluglotsen alles im Blick hatten. Er wird gerade für um die 30 Millionen Euro aufwändig saniert und umgestaltet. Bis Ende 2022 soll dieser Gebäudeteil saniert sein. Geplant ist eine Dachterrasse in 30 Metern Höhe, die für alle zugänglich sein soll und einen schönen Blick aufs Feld bietet.
Für die Hangars sind die Pläne zweigeteilt, also für die Gebäudeteile links und rechts der Haupthalle. Die eine Seite (Hangars 5, 6 und 7) soll fest vermietet werden, die andere (Hangars 1bis 4) soll nur temporär genutzt werden.
Flexible Nutzung ermöglichen
Zu den festen Mietern soll etwa die Deutsche Film- und Fernsehakademie gehören. Deren Hangar 5 muss aber noch saniert werden, daher wird 2030 als realistisches Einzugsszenario gehandelt. Mit dem Technikmuseum gibt es eine Kooperationsvereinbarung über einen Einzug in Hangar 6. Drei historische Flugmaschinen sind auch bereits auf dem Flughafengelände geparkt, ein Umzugstermin ist allerdings noch offen. Und für das Alliiertenmuseum ist der Hangar 7 vorgesehen. Allerdings hat der Bund noch nicht die Finanzierung geklärt und so ist hier der Einzugstermin noch offen.
Die andere Seite soll lediglich temporär beispielsweise für Messen, Firmenveranstaltungen und Konzerte genutzt werden. Verträge über eine Zehn-Jahre-Nutzung wie es bei der Modemesse "Bread and Butter" der Fall war, sind ausdrücklich nicht mehr erwünscht.
Kritik: Regierung fehlt Nutzungskonzept
Flexibilität und Unfertigkeit sind sozusagen der Markenkern der Perspektive für das Flughafengebäude. Immer in Veränderung, niemals fertig. Je nachdem, wen man fragt, wird in dieser Perspektive auch Perspektivlosigkeit gesehen. Ein Makel wird demzufolge als Konzept verkauft. "Dem Gebäude fehlt in der Nutzung einfach die Signatur", sagt Stefan Evers von der CDU.
Im vergangenen April hat die FDP im Abgeordnetenhaus gefordert, die Tempelhof Projekt GmbH aufzulösen, weil sie nicht zu einer Beschleunigung der Entwicklung beigetragen habe. Dafür verantwortlich sieht die FDP die Entscheidungsschwäche der Regierungskoalition. "Rot-Rot-Grün hat einfach fünf Jahre lang nicht entschieden, wie die Nutzung im Flughafengebäude aussehen soll, weil sich die Fraktionen nicht einig sind, wieviel Raum sie Kunst und Kultur beziehungsweise der Verwaltung geben wollen“, sagt Sibylle Meister. "Wenn die Regierung kein Nutzungskonzept vorgibt, kann die Tempelhof Projekt GmbH auch nichts entwickeln."
CDU: Private Investoren zulassen
FDP und CDU stehen zwar hinter dem Vorhaben, aus dem Flughafengebäude einen Ort für Kunst und Kultur zu machen. Allerdings geben beide Fraktionen zu bedenken, dass davon kaum Einnahmen für die aufwändige Sanierung des Komplexes zu erwarten seien. Generalsekretär Stefan Evers von der CDU fordert, der Senat müsse endlich seine Scheuklappen ablegen und auch mit privaten Geldgebern – zum Beispiel einem Pensionsfonds – zusammenarbeiten. Wenn ansonsten das Geld nicht reiche, müsse man über eine Mischfinanzierung nachdenken, findet Evers.
Insgesamt wird die Sanierung des gigantisch großen Gebäudes laut der Tempelhof Projekt GmbH in die Milliarden gehen, weil einfach alles angefasst werden muss. Die Sanierung der Hangars werde allein 132 Millionen Euro verschlingen. Die Kompletterneuerung der Technischen Infrastruktur (Photovoltaik, Biogas, Oköstrom) wird mit 130 Mio. Euro angegeben.
Konkrete Aussichten fürs Dach
Für den Doppelhaushalt 2022/23 hat der Senat zwölf Mio. Euro pro Jahr für die Sanierung freigegeben. Zusätzlich wurden rund 117 Mio. Euro aus dem "Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt" zur Verfügung gestellt. Und doch klafft eine gewaltige Lücke zwischen Sanierungsbedarf und Einnahmen. Um voranzukommen muss die Tempelhof Projekt GmbH laufend Fördermittel akquirieren.
Wenn der Fluglotsen-Tower Ende 2022 fertig und dessen Dachterrasse für alle zugänglich ist, soll es dort oben noch weitergehen. Vermutlich drei Jahre später, 2025, sollen Besucher auf dem Dach weiterlaufen können – und zwar ungefähr bis zur Mitte, wenn alles nach Plan läuft. Perspektivisch soll das ganze Dach nach der Sanierung begehbar werden über die vollen 1,2 Kilometer Gebäudelänge. Zu sehen gibt es dann eine sogenannte "Geschichtsgalerie" mit Informationen zur Historie und zur Nutzung des Flughafens Tempelhof.
Irgendwann werden den Besuchern dort oben dann auch die versprochenen Photovoltaikanlagen begegnen, mit denen sich das Gebäude weitgehend selbst versorgen soll. Stand jetzt sollen diese Arbeiten 2028 abgeschlossen sein.
Sendung: Inforadio, 09.07.2021, 09.20 Uhr