Reportage | Geflüchete in Athen - "Die Situation ist katastrophal"

Allein im Großraum Athen campieren seit Wochen etwa 40.000 obdachlose Flüchtlinge auf Straßen, Plätzen und Lagern. Mitglieder des Bad Freienwalder Vereins "Wir packen’s an" sind nach Griechenland gereist, um zu helfen. Michael Lietz hat sie begleitet.
Der Ferienflieger, in dem Andreas Steinert vom Bad Freienwalder Verein "Wir packen's an" nach Athen fliegt, ist fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Sommerzeit ist Reisezeit, auch wenn Corona am Mittelmeer gerade wieder durch die Decke geht. Griechenland meldet an diesem Montag eine Inzidenz jenseits der 170. Das Land mit den malerischen weiß-blauen Häuschen und den unendlich vielen Inseln gilt nun als Risikogebiet. Verderben lassen wollen sich die Ferienflieger ihre Auszeit dennoch nicht.
Doch was für die einen das Land ihrer Träume ist, ist für Zigtausende andere das Land ihrer Albträume geworden. Allein im Großraum Athen campieren seit vielen Wochen etwa 40.000 obdachlose Flüchtlinge auf Straßen, Plätzen, in leerstehenden Häusern und Lagern. Fernab jedweder Grundversorgung, ohne medizinische Hilfe, ohne Essen und Hygiene scheinen ihre Schicksale vergessen und aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden.

Den Kindern geht es besonders schlecht
Am nächsten Morgen ist Mimi da, Miriam Khammas, ebenfalls Mitglied im Verein "Wir packen’s an". Letzte Woche war sie auf Lesbos, wo ihr Verein die Aktion von "Rote Nasen Deutschland" unterstützt hat. Diese Initiative will kranken Menschen mit speziell ausgebildeten Clowns wieder Hoffnung und Lebensmut schenken. Gemeinsam mit Partnern vor Ort haben die Brandenburger es geschafft, ins Lager zu kommen und Veranstaltungen für die Kinder der Geflüchteten zu organisieren.
Denen geht es besonders schlecht, hat Mimi festgestellt. "Wenn man bedenkt, dass Kinder hier Suizidgedanken geäußert haben, weiß man, wie katastrophal die Situation ist", sagt sie. Deshalb haben sie die psychologische Hilfe der "Nasen" unterstützt. Drei Veranstaltungen, drei Mal endlich wieder lachende Kinderaugen, drei Mal haben sie so ein klein wenig Hoffnung vermittelt.
Auffallend sei die Ruhe im Lager gewesen, sagt Mimi. "Obwohl immer noch Tausende Menschen da sind. Viele liegen apathisch in den Zelten, in denen bis zu 200 Personen campieren."
Viele Geflüchtete sind auf sich allein gestellt
Viele wählen derzeit aus Afghanistan den riskanten Weg von der türkischen Küste nach Lesbos. Syrer kommen nur noch wenige, seitdem die Türkei als sicheres Herkunftsland eingestuft wurde. Bis zur Klärung ihres Asylstatus bleiben sie auf den Inseln, dann werden sie aufs Festland gebracht "und im Großraum Athen auf die Straße gekippt", berichtet Andreas Steinert.
Steinert sagt, er wisse, dass viele Geflüchtete von nun an völlig auf sich allein gestellt sind. Viele landen direkt in der Obdachlosigkeit, kampieren auf Plätzen und Straßen in den Vororten und sind für Hilfsorganisationen nicht mehr erreichbar. Es gibt keine medizinische Versorgung, Krätze breitet sich aus, von Corona ganz zu schweigen, es gibt kein sauberes Wasser, keine Chance, sich zu waschen. Wer Glück hat, bekommt einen Pappkarton als Dach über dem Kopf.
Zelte stehen in der prallen Sonne im Flüchtlingscamp
Wer noch mehr Glück hat, kommt in eines der vielen Flüchtlingscamps. Im Norden, mitten in einem Industriegebiet, liegt eines dieser Camps. Hier wollen die Brandenburger am Nachmittag ihren Partner Omar vom Verein "Refugee 4 Refugees" treffen. Omar hält mit seinem Moped vor dem Haupteingang. Ein Schild weist darauf hin, dass hier Geflüchtete leben. Jemand hat "Not to the EU-Greece-Turkey Agreement" aufgesprüht. Nur weil die Campverwalter Omar kennen und schätzen, öffnen sich für Mimi und Andreas die Tore. Sie werden herumgeführt, dürfen sich alles ansehen, geduldig werden ihnen Fragen beantwortet.
Es gibt Kontakte zu Hilfsorganisationen. Man bespricht sich, wie künftig auch hier geholfen werden kann. Eine Vorzeigecamp offenbar, bei flüchtigem Hinsehen. Doch nicht erst beim zweiten Blick fallen die grauen Zelte auf, auf Paletten gestellt, um bei Regen nicht gleich abzusaufen. In der prallen Sommerhitze stehen die Zelte, apathisch liegen darin Menschen unterschiedlichster Nationen.
"Es ist extrem heiß in den Zelten, es gibt keine Klimaanlage", erzählt Sayed aus Afghanistan, der seit sechs Monaten in dem Camp lebt. Gol, der ebenfalls aus Afghanistan kommt, ergänzt: "Nicht mal Strom haben wir. Und die Hilfe der Behörden wird immer weiter heruntergefahren." Ein weiterer Geflüchteter, Mohsen, beobachtet, dass die Brandenburger mit den Leuten reden, und mischt sich ein.
Auf Deutsch erzählt er, dass er schon in Aschaffenburg und München gewesen sei. Dann sei er abgeschoben worden nach Afghanistan. Was er da erlebt habe, wolle er lieber nicht erzählen. Nur so viel: dass er sich lieber gleich wieder auf den Weg gemacht habe. Nun sitzt er in Athen fest, getrennt von Eltern, Frau und Kind, die alle in Deutschland sind. "Hier im Lager gibt es Kriminalität. Und was kann man machen? Nix."
Immerhin hat dem jungen Mann mit den pechschwarzen Haaren heute mal jemand zugehört. Das ist manchmal genauso wichtig.
Sendung: Brandenburg Aktuell, 20.07.2021, 19:30 Uhr