Interview l Juristin über Vormundschaft - "Einen Fall Britney Spears könnte es bei uns nicht geben"

US-Popstar Britney Spears steht unter Vormundschaft - und darf nicht einmal über eine mögliche Schwangerschaft bestimmen. Die Juristin Dagmar Zorn erklärt, warum das in Deutschland nicht möglich wäre - und wie Vormundschaft hier geregelt ist.
Dagmar Zorn arbeitet als Dozentin für Rechtspflege an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin - auch in dem Moment, als die Interviewanfrage von rbbl24 sie erreicht. Sie nutzt eine Pause in ihrer Vorlesung für einen Rückruf.
rbbl24: Frau Zorn, in den USA hat die Sängerin Britney Spears einen Vormund bekommen, seitdem darf sie nicht bestimmen, ob sie schwanger wird oder wie sie ihren Beruf ausübt. In Deutschland gibt es doch so etwas ähnliches wie eine Vormundschaft, hier heißt es aber rechtliche Betreuung...
Dagmar Zorn: Das stimmt, in Deutschland wurde im Jahr 1992 die Vormundschaft für Erwachsene von der rechtlichen Betreuung abgelöst. Allerdings muss sich eine solche Betreuung sehr stark an den Interessen der betreuten Person orientieren. Derzeit wird dieser Teil des Gesetzes reformiert. Die Reform orientiert sich an der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen und stärkt noch einmal die Rechte der Betreuten. Dadurch wird der Betreute noch stärker als bislang in den Mittelpunkt gestellt. Das Konzept, um das es dabei geht, heißt unterstützte Entscheidungsfindung.
Was hat es mit dem neuen Konzept auf sich?
Die Reform tritt 2023 in Kraft und ab dann müssen alle Entscheidungen, die irgendwie von der betreuten Person getroffen werden können, auch von ihr getroffen werden. Das heißt, dass der Betreuer den Menschen in seiner Selbständigkeit und im eigenen Entscheiden noch stärker als bisher unterstützen muss.

Wann und wie darf bestimmt werden, dass Menschen einen Teil ihrer Autonomie abgeben müssen?
Der Gesetzgeber sagt, dass in Deutschland ein Volljähriger, der aufgrund einer körperlichen Behinderung oder einer Krankheit außer Stande ist, seine Angelegenheiten selbst wahrzunehmen, einen Betreuer bekommt. Angenommen, ich wäre dement und könnte meine Vermögensangelegenheiten nicht mehr selbst besorgen: Dann bekäme ich dafür einen Betreuer. Es sei denn, ich habe selbst für diesen Fall Vorsorge getroffen und einem Dritten für den Fall einer Erkrankung eine Vollmacht erteilt. Wenn dem nicht so ist, dann steht der Staat Gewehr bei Fuß und ordnet eine Betreuung an.
Aber wer entscheidet, dass eine Person ihre Angelegenheiten nicht mehr alleine regeln kann?
Das wird tatsächlich in einem ganz förmlichen Verfahren überprüft. Meistens wird einem Betreuungsgericht von außen durch Angehörige, Nachbarn oder Mitarbeiter in Pflegeeinrichtungen die Information herangetragen, dass eine Person jemanden braucht, der ihre Angelegenheiten wahrnimmt, weil sie dazu nicht mehr selbst in der Lage ist. Dann geht ein betreuungsgerichtliches Verfahren los. Am Ende kann eine Betreuung angeordnet werden, die dann allerspätestens nach sieben Jahren wieder auf den Prüfstand kommt und das ganze Verfahren wieder von vorne beginnt.
In der Regel werden Sachverständige dann mit einem Gutachten beauftragt, in dem sie eine entsprechende Betreuung für notwendig erachten. Wie läuft das ab?
Es sind meistens Sachverständige aus dem medizinischen Bereich, die sich einen persönlichen Eindruck von der betroffenen Person verschaffen. Die Ansehung der Person ist vorgeschrieben. Es geht dann um eine fachliche Prüfung. Was kann die Person nicht mehr? Warum kann sie das nicht mehr? Wenn dann festgestellt wird, dass die Person bestimmte Dinge nicht mehr regeln kann, wird geprüft: Hat sie für diesen Fall Vorsorge getroffen?
Was dürfen rechtliche Betreuer anstelle der betreuten Person zum Beispiel entscheiden?
Es kann passieren, dass eine Person mal freiheitsentziehend untergrebracht wird, zum Beispiel in einer psychiatrischen Station, wenn etwa das Risiko einer Selbst- oder einer Fremdgefährdung besteht. Es gibt aber in der Praxis auch sehr oft Wohnungsangelegenheiten, die Menschen nicht selbst wahrnehmen können. In solchen Fällen dürfen Betreuer, nach einer entsprechenden gerichtlichen Prüfung und Genehmigung, auch eine Wohnung aus dem Besitz der betreuten Person verkaufen.
Das sind weitreichende Entscheidungen. Welche formalen Anforderungen gibt es an die Ausbildung eines rechtlichen Betreuers?
Das ist derzeit nicht geregelt und genau diesen Punkt wollen wir nun in einer Arbeitsgruppe im Bundesministerium für Justiz erstmals formulieren. Es geht darum, Anforderungen festzulegen für die Menschen, die rechtliche Betreuung berufsmäßig machen. Der Gesetzgeber geht immer noch davon aus, dass ehrenamtliche Betreuer diese Aufgaben wahrnehmen, häufig sind das Angehörige. In den vergangenen Jahren war es aber insgesamt immer häufiger so, dass sich keine Angehörigen gefunden haben. Deshalb sind die Berufsbetreuer auf dem Vormarsch. Und für die brauchen wir Mindestanforderungen.
Wie häufig kommt es vor, dass wichtige Entscheidungen gegen den Willen der Betreuten getroffen werden?
So etwas kann vorkommen, aber ich muss mich als Betreuer oder Betreuerin immer an dem Willen der Betreuten orientieren. Wenn jemand einen Ferrari kaufen will und dafür das Geld hat, dann darf ich mich dem nicht in den Weg stellen, nur weil ich solche Autos nicht mag. Betreuer dürfen ihre eigene Auffassung nur dann anstelle von der des Betreuten rücken, wenn das zum Schutz der betreuten Person tatsächlich erforderlich ist.
Und es ist Aufgabe des Gerichtes, mindestens einmal pro Jahr zu überprüfen, ob der Betreuer auch diesen Pflichten nachkommt und nicht unzulässig gegen den Willen der betreuten Person agiert. Abgesehen von der jährlichen Berichtspflicht, die für jeden Betreuer besteht, kann ein Gericht sich auch immer selbst an die Betreuer wenden, um zu erfahren, was in dieser oder jener Angelegenheit passiert ist.
Aber wenn der Betreuer oder die Betreuerin den Bericht über die eigene Tätigkeit selbst verfasst, dann ist doch leicht denkbar, dass er oder sie bestimmte Konflikte in diesem Bericht ausspart.
Das ist schon richtig. Aber ich habe als Gericht jederzeit die Möglichkeit, den Betroffenen selbst mal zu fragen. Und davon machen die Gerichte, soweit mir das bekannt ist, immer häufiger Gebrauch.
Dann würden Sie es für unmöglich halten, dass ein Gericht in Deutschland so stark in das Privatleben eingreift wie die US-Justiz im Fall Britney Spears?
Einen Fall Britney Spears könnte es bei uns nicht geben. Eine Eheschließung zum Beispiel hat mit dem Betreuer nichts zu tun. Wenn der Betreute ehefähig ist, kann er jederzeit heiraten. Umgekehrt ist es mit der Scheidung genauso.
Ein anderes Beispiel ist der Eingriff ins Wahlrecht. Die Anordnung der Betreuung hatte früher mal Auswirkungen auf das Wahlrecht. Da wurde im Wahlbuch eingetragen, dass diese Person einen Betreuer für alle Angelegenheiten hat, und damit war diese Person weder aktiv noch passiv wahlberechtigt. Das ist alles abgeschafft worden. Auch Testamente oder Erbverträge kann der Betreute schließen oder errichten, wenn er geschäftsberechtigt ist.
Es kann allerdings passieren, dass die betreute Person Kinder hat - und wenn der Betreuer der Meinung ist, dass diese Person ihre Aufgaben als Erziehungsberechtigter nicht ausführen kann, dann kann es einen Hinweis an ein Familiengericht geben mit der Bitte, das Sorgerecht zu überprüfen. In diesem Punkt gibt es tatsächlich immer wieder Konflikte.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Roberto Jurkschat.