Interview | "Now" von Jim Rakete - "Man muss schlechte Gewohnheiten durch gute ersetzen"

Der Fotograf Jim Rakete ist neue Wege gegangen. Mit "Now" hat der Berliner seinen ersten Dokumentarfilm über junge Klimaschutz-Aktivisten gemacht. Wie es zu der Idee kam und wie sich sein Umweltbewusstein verändert hat, erzählt er im Interview.
rbb: Jim Rakete, der Filmstart von "Now" hat sich mehrfach aus bekannten Gründen verzögert. Jetzt findet nun endlich die Premiere statt. Und das zu einer Zeit, wo die Klima-Katastrophe für jeden und jede spürbar und sichtbar geworden ist. Dieser Zeitpunkt dürfte dem Film noch mehr Nachdruck verleihen, oder?
Jim Rakete: Ich entnehme dem aktuellen "Spiegel", dass das alles eine raffinierte Geschichte ist. Weil der Film ausgerechnet vor der Bundestagswahl kommt, also in dem Augenblick, wo auch die Bevölkerung an den Wahlurnen zu dem Thema Stellung beziehen muss.
Was haben Sie sich für Fragen gestellt, bevor Sie losgelegt haben?
Da war zunächst einmal die Autorin Claudia Rinke, die sich mit einem wunderbaren Konzept für einen kleinen Film über junge Klima-Aktivisten eingebracht hat. Ich bin begeistert aufgesprungen, und wir haben das lange verändert und irgendwie in eine Form gebracht, die sich auch ständig verändern musste - logischerweise. Und jetzt ist es aus Versehen ein Kinofilm geworden. Geplant war es mehr als ein Youtube-Film.
Wir wollten eigentlich einen Film machen, in dem die besten Meinungen, die besten Ideen, die besten Vision und die besten Kritiken zusammenkommen. Dafür wollten wir irgendwie die besten Leute. Und als wir das fertig hatten, stellten wir fest, dass da noch ein paar Bilder fehlen, weil man überhaupt nicht zum Atmen kam in dem Film. Deshalb haben wir das erweitert - und dann war es plötzlich ein Kinofilm.
Was macht die jungen Aktivistinnen und Aktivisten aus, denen Sie begegnet sind?
Erstmal die unmittelbare Betroffenheit. Es gibt ja niemanden, der ein so direktes Narrativ hat zu dem Thema. Der sagen kann, das ist meine Zukunft, die hier zerstört wird. Das hat mich auch sehr betroffen.
Ich habe gemerkt, dass ich hier auch die Verantwortung übernehmen muss. Zum ersten Mal muss ich mich auch erklären für das, was ich gemacht habe in meinem Leben. Was ich an idiotischen Reisen gemacht habe oder wo ich mich umweltmäßig dumm verhalten habe.
Wen haben Sie getroffen? Luisa Neubauer ist eine der Aktivistinnen. Wen noch?
Zum Beispiel Zion Lights von "Extinction Rebellion" oder Felix Finkbeiner von "Plant for the planet". Aber damit haben wir es nicht belassen. Wir wollten auch wissen, was die Frustrationen von jungen Aktivisten sind. Es gibt auch ein paar Ausflüge in die Vergangenheit, also zu vorherigen Aktivisten-Generationen. Es kommen zum Beispiel Patti Smith oder Wim Wenders zu Wort, die über die unterschiedlichen Generationen der Protestbewegung erzählen. Und wir wollten natürlich auch Politiker und Wissenschaft - das ist ja ganz klar.
Die bekannteste Aktivistin, Greta Thunberg, haben Sie, glaube ich, ganz bewusst nicht persönlich getroffen. Natürlich spielt sie eine Rolle, aber das hätte wahrscheinlich ein eigener Film werden müssen?
Sie ist der rote Faden, sie ist ständig da und ist auf vielen Bildern zu sehen. Und wir sind an eine Stelle gekommen, wo wir gesagt haben, dass wir nicht auch noch ein Interview mit ihr brauchen. Das, was sie sagt, sagt sie zu dem Zeitpunkt, wo sie es für richtig hält.
Der Höhepunkt des Films ist ihre Wutrede beim UN-Climate-Summit [Anm. d. Red.: UN-Klimagipfel im September 2019]. Mehr auf den Punkt bringen, kann man das gar nicht, als in dieser Rede. Ich möchte jetzt auch nicht mehr von ihr wissen. Ich möchte nicht ihre Stofftiere zählen. Das interessiert mich in dem Kontext nicht. Ich finde einfach, sie hat das Problem am dichtesten erzählt.

Sie haben in einem Interview gesagt, der Film habe Sie in einer Weise umgehauen. Ist das auch so ein Moment, den sie damit erleben?
Das ist für mich in meinem Leben natürlich ein Turning-Point. Ich bin Fotograf geworden als die 1968er-Revolution losging. Und jetzt, am anderen Ende, muss ich sagen, dass es lustig ist, dass ich zur Filmkamera greife. Diese Erzählung hat schon einen interessanten Bogen.
Wenn Sie "Turning-Point" sagen: Haben Sie, seitdem Sie den Film gemacht haben, für sich selbst auch etwas verändert - in Ihren Verhaltensweisen oder in Ihrem Leben?
Ich habe schlechte Gewohnheiten dem Klima gegenüber noch konsequenter durch gute ersetzt. Nur mit Denken und guten Vorsätzen lässt sich gar nichts verändern. Man muss ganz konkret schlechte Gewohnheiten durch gute Gewohnheiten ersetzen. Seitdem bin ich vornehmlich auf dem Fahrrad zu finden und esse viel Gemüse.
Was wünschen Sie sich von ihrem Publikum?
Aufmerksamkeit fürs Thema und vor allen Dingen: Konsequenz. Wir haben jetzt Bundestagswahlen. Und ich glaube kaum, dass es irgendeine Partei schaffen könnte, die nicht eine sehr grüne Agenda hat. Deshalb glaube ich, die kommende Konstellation sollte eine sein, die mit den leeren Kassen gut umgehen kann, die die Corona-Krise verursacht hat, und die mit diesem Klimaproblem gut umgeht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Jim Rakete führte Anja Herzog, rbbKultur.
Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das komplette Gespräch können Sie oben im Audio-Player nachhören.
Sendung: rbbKultur, 18.08.2021, 08:10 Uhr