Genießen ohne Alkohol - Alkoholfreie Spirituosen entwickeln sich zum neuen Trend
Alkoholfreies Bier bietet so ziemlich jede Kneipe. Und alkoholfreien Sekt gibt es in vielen Supermärkten. Doch wie sieht es mit Wein, Whisky oder Wodka aus? In Berlin gibt es mittlerweile eine ganze Reihe Anbieter von sogenannten Nolo-Getränken. Von Milena Hadatty
Eine Industrieloft in Berlin-Neukölln. Im Weinlabor steht ein kleiner Rotationsverdampfer: das Test-Zentrum vom Startup "Kolonne Null". Heute wird hier ein Roséwein vakuum-erhitzt, bis der Alkohol verdampft. Der Ausgangswein kommt von einem Winzer aus Baden-Württemberg. Nachher wird es sich zeigen, ob der Wein auch ohne Alkohol gut schmeckt. Oder mit sehr wenig Restalkohol, unter 0,5 Prozent.
Etwa zehn verschiedene Weinsorten vermarktet "Kolonne Null" seit drei Jahren in Deutschland - aus dem Großraumbüro und Zwischenlager der Firma. Zuerst waren nur die beiden Geschäftsführer und ein Chemietechniker dabei, heute besteht das Team aus 20 Mitarbeitern. Entstanden ist die Sache, als einer der Geschäftsführer nach einem Sommergetränk gesucht hatte, das man auch bei der Arbeit trinken konnte. "Wir haben nach einem Getränk gesucht, das uns eine Alternative zum alkoholfreien Bier oder Kombucha oder einer Cola oder einem Apfelsaft bietet, irgendein elegantes Getränk", erzählt Moritz Zyrewitz. Der junge, drahtige Politikwissenschaftler ist einer der Gründer und Geschäftsführer von "Kolonne Null". Das entalkoholisierte Produkt schmeckt anders als der Ausgangswein, aber man kann den Ursprung noch erkennen.
Zuerst wurde der Wein auf Wochenmärkten und in Pop Up Stores verkauft. Bald kamen aber die ersten Bestellungen von Weinhändlern und Privatkunden in der Stadt und auf dem Land. Am Anfang hätten sie eine kleine Tabelle aufgemalt, um ihre Zielgruppe zu ermitteln, erzählt Moritz Zyrewitz: "Und wir haben gemerkt, dass eine breite Zielgruppe in der Bevölkerung einfach sagt, ich trinke mal ein Glas, aber nicht unbedingt ein zweites."
Das Zielpublikum wurde immer größer, obwohl die alkoholfreien Weine eher in die gehobene Preislage fallen: Zwischen zehn und 15 Euro zahlt der Kunde für eine Flasche "Kolonne Null". Die Bestellungen wachsen, viele Winzer bekunden ihr Interesse, mit der Berliner Firma zu arbeiten.
Ein Späti mit "Nolo"-Getränken
"Nolo" ist gerade hip. Der Begriff ist aus dem Englischen "no and low-alcoholics" abgeleitet und gekürzt. Werbeslogans wie "Ohne ist das neue Mit" und "Mindful Drinking" (Bewusst trinken) werden über Social Media und Gastronomiezeitschriften immer wieder verwendet.
Es geht dabei nicht nur um entalkoholisierte Produkte wie Bier und Wein, sondern auch um Imitate für harte Getränke wie Whisky, und Rum, und für Cocktail-Basisgetränke wie Gin, Wodka und Tequila. Laut dem Wirtschaftsmagazin "Forbes" und dem Marktforschungsunternehmen "International Wine and Spirits Record" (IWSR) betrug 2020 der Umsatz der "Nolo"-Getränke in Westeuropa um die 80 Millionen Euro, bis 2024 soll er um rund 500 Millionen steigen.
Das erkannten zwei junge Frauen, die vor drei Jahren ein Online-Fachgeschäft mit dem Titel "Nüchtern Berlin" gestartet haben. Die Bestellungen liefen so gut, dass sie sich trauten, mitten im Corona-Lockdown einen "physischen" Laden, das "Nullprozent", in Kreuzberg zu eröffnen. Um die 200 alkoholfreie Produkte bieten sie an, davon mehr als 80 Prozent in Deutschland hergestellt. "Wir hatten Glück, weil wir ja alkoholfreie Lebensmittel verkaufen. Also durften wir die ganze Zeit aufbleiben, wo alle anderen schließen mussten", erinnert sich Isabella Steiner, eine der Inhaberinnen. Von Beruf ist die resolute Frau mit den dunklen Haaren Soziologin, die sich viel mit dem Thema Alkohol und weshalb die Leute trinken beschäftigt - und auch welche Alternativen es dazu gibt. Ende September kommt ihr erstes Buch zum Thema "Mindful Drinking" heraus.
"Wir sind nicht gegen Alkohol, sondern wir wollen die Leute anregen, über ihren Konsum zu reflektieren und gesünder zu leben", so Isabella Steiner. Sie hätten dieses Buch auch für eine weibliche Zielgruppe geschrieben, weil Trinken lange eher ein Männerthema gewesen sei. "Frauen waren zuständig, das Bier zu brauen, den Alkohol herzustellen, und die Männer haben es getrunken. Im Laufe der Zeit - speziell nach den sechziger Jahren und mit der Frauenbewegung - hat sich das wiederum so entwickelt, dass es zum guten Ton gehört, dass Frauen mittrinken", erklärt sie.
Eine junge Kundin rennt rein, sie braucht einen alkoholfreien Sekt für einen Junggesellinnenabschied, der aber nach der Hochzeit erst gefeiert werden kann - wegen Corona. Die Braut ist schon schwanger, so darf kein Alkohol dabei sein, aber es soll schon prickeln. Eine ausländische Stammkundin, die früher in New York lebte, kannte dort schon viele "Mocktails", also Cocktails ohne Alkohol. Sie kauft ihren Lieblingsbitter, den man gut mischen kann. Ob der nach Vermouth oder Campari schmeckt? Die Kundin will nicht vergleichen, weil dann eine gewisse Erwartungshaltung entstehe, sagt sie: "Aber ich finde es gut, mal einfach Alternativen auszuprobieren, um nicht jeden Tag Alkohol zu trinken, aber dann trotzdem den Genuss von einem schönen Cocktail genießen zu können."
Im Reich der "Mocktails"
Die meisten rein alkoholfreien Bars, die es vor dem Corona-Lockdown gab, haben noch nicht wieder eröffnet. Das Bonvivant in Schöneberg konnte überleben, weil es auch ein veganes Bistro ist. Elias Heintz, der Barchef, bereitet gerade seine Eigenkreation mit Chiligewürz, Hibiskussaft und alkoholfreiem Wein vor.
Er kombiniert gern Naturprodukte mit den "Nolo"-Getränken, die es auf dem Markt gibt. Und er versucht, immer wieder neue Produkte zu probieren. "Die Schönheit muss stimmen, aber viel wichtiger, der Geschmack muss stimmen", sagte Elias Heintz. Sein Anspruch sei, mit alkoholfreien Drinks keinen Ersatz zu schaffen, sondern eine Alternative. Auch Menschen, die ansonsten Alkohol mögen, sollen sagen: "Ich würde gern probieren, weil er so interessant schmeckt."
Der "Mocktail" ist fertig: ein wunderschönes Getränk, tiefrot, sowohl kalt als auch in heißer Variante (ähnlich wie ein Glühwein) serviert. Zwei mexikanische Gäste, die noch nie von alkoholfreien Cocktails gehört hatten, waren überrascht, dass kein Alkohol dabei ist. "Die kalte Variante eignet sich zum Flirten, die heiße, auch für tiefere Gespräche", sagte einer von ihnen. Und der andere Gast sieht einen praktischen Vorteil: "Ich leide unter Epilepsie und nehme starke Medikamente, darf keinen Alkohol trinken. Aber ich mag auch nicht, das immer wieder erklären zu müssen, wenn ich abends weggehe. Das ist eine Klasse Option für mich: Ich kann trinken, und bleibe gesund."
Sendung: Unser Leben, 04.09.2021 17:20 Uhr