Transitstrecke F5 von West-Berlin nach Hamburg - Die überwachte Landstraße direkt durch Perleberg

So 05.09.21 | 07:55 Uhr | Von Franziska Tenner
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Altes Straßenschild - Transitstrecke B5 Prignitz Perleberg. (Quelle: rbb)
Video: Brandenburg Aktuell | 03.09.2021 | Franziska Tenner | Bild: rbb

Wer während der deutschen Teilung mit dem Auto von West-Berlin nach Westdeutschland wollte, war zumeist auf Transit-Autobahnen unterwegs. Nur nach Hamburg fuhr man bis 1982 über Land - und dabei direkt durch Perleberg. Von Franziska Tenner

Wenn Hans-Joachim Schröder in seinem Geburtshaus in Perleberg aus dem Fenster schaut, rauschen die Autos noch heute an ihm vorbei. Manchmal erinnert er sich dann an seine Kindheit in den 50er Jahren.

Damals lag Perleberg in der DDR und die B5 vor der Tür der Schröders war die einzige Landstraße, die gleichzeitig als Transitstrecke von West-Berlin nach Westdeutschland - nach Hamburg - diente. Grenzübergänge waren die Heerstraße in Berlin-Staaken sowie am westlichen Ende Lauenburg/Horst. Der Transitverkehr nach Niedersachsen und Bayern führte über Autobahnen. Auf der B5 durfte man sogar Fahrrad fahren.

Hans- Joachim an der ehemaligen Transitstrecke B5 Prignitz Perleberg. (Quelle: rbb)
Hans Joachim Schröder | Bild: rbb

Von Westautos und umgekippten Kaffeelastern

Jedenfalls gab es damals Spannendes zu sehen für Schröder, der damals noch ein Kind war. Zum Beispiel die vielen West-Autos, Busse und LKWs, von deren Anblick konnte er gar nicht genug bekommen. Mit den Insassen war es dagegen so eine Sache: "Die Fahrzeuge fuhren meistens Schrittgeschwindigkeit. Insofern hatte man Sichtkontakt. Aber, es war natürlich verkrampft. Die Leute schauten raus und wir waren ein bisschen exotisch - so wie man sich was im Zoo anschaut."

Manchmal gab es an der B5 auch unverhoffte Glücksfälle für die Perleberger – einmal stürzte ein Kaffeelaster um, direkt vor dem Haus eines Freundes von Schröder. Überall lag der Kaffee auf der Straße und dem Acker. "Der Fahrer sagte dann, ich bin versichert, können Sie aufladen. Und aus dem angrenzenden Dorf kamen die Leute mit Schubkarren und luden den Kaffee auf."

Die Volkspolizei schirmte Unfälle ab

An Schröders Haus in der Hamburger Straße fuhren die Autos übrigens erst ab 1957 vorbei – da war die Umgehungsstraße fertig. Bis dahin führte die B5, oder F5 – Fernverkehrsstraße 5, wie sie in der ehemaligen DDR genannt wurde - direkt durch die Perleberger Innenstadt. Sogar das Wahrzeichen der Stadt, die Roland-Statue auf dem Kirchplatz, wurde dafür einen Meter verschoben, damit die Transitfahrzeuge, davon viele LKW, sich durch die engen Gassen der historischen Perleberger Innenstadt schlängeln konnten.

Einmal, so erinnert sich Schröder, gab es auch einen schweren Unfall: Zwei Autos aus dem Westen waren zusammengestoßen. Sein Onkel habe helfen wollen und schnell Decken für die Verletzten geholt. Da habe ihn die Polizei gestoppt, erzählt Schröder: "Als er wieder an der Unfallstelle war, wurde er des Ortes verwiesen mit dem frechen Satz: Diesen Bürgern helfen wir nicht. Das sind Bürger aus einem NATO-Staat. Und er konnte nichts machen." Wie die Geschichte weiterging, weiß Schröder nicht: Sein Onkel erzählte, die Volkspolizei habe den Ort sofort abgeschirmt.

Transit-Raststätte Quitzow, mit Intershop auf dieser Strecke zwischen Berlin und Hamburg. (Quelle: rbb)DDR-Museum in Perleberg

Stehengelassene Sowjetsoldaten

Auch die sowjetische Armee bewegte sich damals über die B5, mit Armeefahrzeugen und Panzern, denn nahe Perleberg gab es eine Kaserne. "Und dann gab es bei der Truppenverschiebung immer diese Verkehrsregler von Soldaten", erinnert sich Gisela Freimark vom DDR-Geschichtsmuseum in Perleberg.

Manchmal wurden die jungen Soldaten offenbar vergessen - zumindest wurden sie erst sehr viel später eingesammelt, und bis dahin mussten sie auf ihrem Platz bleiben. Manche Perleberger versorgten sie dann mit Essen und Trinken - das durften die DDR-Behörden aber nicht merken.

Überwachung auch auf dem Parkplatz

Auch der Parkplatz für die Transitreisenden gegenüber wurde überwacht – mit beachtlichem technischen Aufwand, wie Schröder erzählt: "Eine Abhöranlage und eine Kamera waren in dem Güterwaggon gegenüber auf einem alten Gleis der Prignitzer Ringbahn installiert. Damit konnte man die Fahrzeuge registrieren, die hier standen, mit Nummernschildern, Wagentyp und den Insassen, die da aus- und einstiegen und sich in der Gaststätte mit der Verwandtschaft aus Perleberg getroffen haben."

Die abgehörte Raststätte

Die einzige Transit-Raststätte mit Intershop auf dieser Strecke zwischen Berlin und Hamburg gab es in Quitzow, nördlich von Perleberg. Hier durften Westler rasten und sollten mit dem Einkauf im Intershop Devisen ins Land bringen.

Die Gaststätte konnte auch von Einheimischen besucht werden. Hier trafen sich Familien, die auf unterschiedlichen Seiten im geteilten Deutschland lebten. Unbeobachtet waren diese Treffen nicht, sagt Schröder: "Es war natürlich bekannt, dass alles abgehört wurde. Nach der Wende wurde die Unterdecke des Restaurants, die eingebaut war, herausgerissen. Und über jeden Tisch war eine Wanze, oder ein Abhörgerät sagt man, eingebaut. Man hat also die Gespräche minuziös verfolgt."

Mit dem Transitabkommen änderten sich die Dinge

Letztlich war es für die DDR-Behörden schwer, die Kontakte an der Transit-Landstraße F5 vollständig zu kontrollieren. Und der Verkehr nach Berlin nahm zu: 1972 wurden bereits elf Millionen Reisende gezählt.

Archivbild: Links die erneuerte Fahrbahn der Transitautobahn nach Berlin bei Magdeburg, rechts die Gegenfahrbahn mit zahlreichen Schlaglöchern. (Quelle: dpa/null)Ausbau der Transitautobahn bei Magdeburg 1976.

Auch die Bundesrepublik hatte Interesse daran, die Fahrt für ihre Bürger so schnell und reibungslos zu gestalten wie möglich. Nach dem Transitabkommen von 1971 wurden die Autobahnen zwischen West-Berlin und Westdeutschland mit Devisen aus dem Westen ausgebaut – und ab 1982 die Transitstrecke von Berlin nach Hamburg Stück für Stück auf die neu gebaute Autobahn verlegt. Auf einmal fuhren keine Westautos mehr an Schröders Haus vorbei und die F5 war wieder eine ganz normale Landstraße.

Heute heißt die F5 Bundesstraße 5. Der Parkplatz an der ehemaligen Transitgaststätte wird von LKW genutzt, die Gleise sind von Bäumen und Sträuchern überwuchert. Die Gaststätte ist längst geschlossen. Aber das Gebäude steht noch, und Hans-Joachim Schröder freut sich, das es noch da ist.

Sendung: Brandenburg Aktuell, 03.09.2021

Beitrag von Franziska Tenner

32 Kommentare

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  1. 32.

    >"Aber was wollten sie dort beobachten..."
    ;-)) Das war bei Horch & Guck doch eine grundsätzliche Frage...
    Auf den Autobahnen sicher, dass kein Wessi-Transitler von der Transitstrecke abweicht, heimlich abfährt in die DDR und evtl. spioniert, dass es in der Kaufhalle keine Trüffelwurst gibt ;-))

  2. 31.

    Danke für die Richtigstellung. Die Verkehrsregler (Regulierer) der Sowjetarmee durften natürlich von der DDR-Bevölkerung versorgt werden. Es mag aus welche Gründen auch einmal Ausnahmen oder übereifrige Behörden gegeben haben, aber die generelle Linie war ein andere. Eine Versorgung durch Westler wäre da schon heikel. Ja die Behandelung der Soldaten der Sowjetarmee durch die Offiziere und auch untereinander war unschön. Leider ist dies ein Problem von der Zarenzeit bis heute.

  3. 30.

    Sie haben vollkommen recht. Allerdings wenn es eines Tages keine Zeitzeugen aus der DDR mehr gibt, dann wird uns die Konrad-Adenauer-Stiffung und die Bundeszentrale für politische Bildung erklären wir die Menschen in der DDR lebten und da sind andere Ansichten als die der Westler eben unerwünscht.

  4. 29.

    Na gut, kann ich jetzt nicht widerlegen, ist zu lange her.
    Aber was wollten sie dort beobachten, die Parkplätze kamen erst später in den Waldgebieten ,höchstens wenn einer die Transitstrecke dort verlässt. CB -Funk abhören ging auch nicht weil Transit Lkw-Fahrer ihre Funkgeräte auf Westseite deponiert und und nach Rückkehr dort wieder abgeholt haben. Vielleicht war es auch nur eine Unterkunft zur Pause für mobile Einsätze.
    Viel mehr Sinn hat es doch bestimmt an den Übergangsstellen gemacht, wenn festgestellt worden wäre das daß Zeitfenster
    Für den Transit wesentlich überschritten war.

  5. 28.

    Firma Horch & Guck war in den Raststätten und auch an strategisch wichtigen Punken, wo sie die Strecke einsehen konnten. Auf der Ausfahrt Fehrbellin (aus Richtung Neuruppin / HH kommend) stand z.B. noch bis Ende der 1990er Jahre ein DDR Typenbungalow, von dem aus Horch & Gucks Transitkommando die A24, die dort um Fehrbellin und Neuruppin in einem leichten Bogen verläuft, im Blick hatte.

  6. 27.

    Könnten Sie auch sagen wo sich diese 'Observationspunkte' befanden?
    Soweit ich mich erinnern kann saß das GHG (Für Unkundiege Gucken Hören Greifen) an den Tank und Rastanlagen.

  7. 26.

    Nicht ganz richtig. Die Truppen, die den Transit auf der F5 und später A24 überwachten, waren das so genannte "Transitkommando" des MfS. Die hatten den gesamten Verkehr immer im Blick. Dafür gab es extra Observationsposten entlang der Strecke. Auch die Transitkontrollen Ein- und Ausreise an den Grenzübergangsstellen waren MfS in den Uniformen der Grenztruppe. Auf der Straße / Autobahn selber war natürlich die Verkehrspolizei für die Geschwindigkeitskontrollen zuständig.

  8. 25.

    Also irgendwie hat ihr Globus 'ne Unwucht. Ich weiss zwar nicht ob es am Hindukusch auch eine Fernstraße 5 gibt, kann ihnen aber versichern, das die F5/B5 durch Brandenburg führt und ich dort noch nie jemanden mit Turban, Kaftan und Rucksack gesehen habe. Der einzige der dieser Beschreibung nahe kommen könnte, war ein Pastafari - und die tun nix.

  9. 24.

    Ich habe nur meine Erinnerungen an dass, was ich als Kind aus West Berlin mitbekommen habe.

  10. 23.

    Nur mal ein Beispiel ich zitiere:
    -Manche Perleberger versorgten sie dann mit Essen und Trinken - das durften die DDR-Behörden aber nicht merken.-
    Ich selber bin in einer sowjetischen Garnisonsstadt in Meckpom(Parchim) groß geworden. Wir hatten als Kinder immer mal wieder Kontakt mit den Soldaten die den Verkehr regelten. Ich habe auch ab und an mal etwas zu essen mitgebracht doch hatte ich nie erlebt das irgend eine Behörde, Polizei oder etwas anderes aus der DDR da eingegriffen hätte.
    Nur die Offiziere der sowjetischen Truppen selber, vor denen musst man auf der Hut sein, doch nicht die Bevölkerung sondern deren eigenen Soldaten. Ich hatte da Sachen erlebt die unter keiner Kuhhaut gehen und auf die man getrost verzichten kann.

  11. 22.

    Sehr schöner Beitrag....ich glaube nicht das dort etwas zu gedichtet wurde. Das leben für die Menschen in der DDR war nicht nur"Drama"

  12. 21.

    Heike hat von einem Transitstrecken-Parkplatz auf der F5 (B5 ) nach DK durch die DDR erzählt, und ob MP oder weiß der Fuchs ist doch egal, es gab auch MPs der Marke Kalaschnikow (SKS, AKM) im Portfolio.

  13. 20.

    Im Transit waren es die Grenztruppen, wer redet hier von Berlin.

  14. 17.

    Das mit der Überwachung war sicherlich ziemlich krass damals. Sich aber nun auf Aussagen von Taliban und irgendwelchen Tweet zu verlassen um irgendein Bild* davon zu haben wie der Stand der Dinge in Pandschschir, sowas scheint mir auch nicht ideal, insbesondere wenn dazu noch indirekt Aussagen der Obrigkeit wie: "Tja, das sind nicht Bürger aus einem NATO-Staat, und deswegen müssen die jetzt alle sterben, während wir ganz beschäftigt über Kopftücher und Gendern zu reden.".

    In anderen Worten, ich würde es nicht als Verletzung von Souveränität und/oder Zivilrechten sehen wenn Taliban bespitzelt werden würde. Und des weiteren wäre ich sogar dafür, dass Ünterstützung des Widerstandes gegen Taliban (wobei Taliban selber Ausländer mit dabei hat), ob nun offiziell oder zumindest ermöglicht, dass inoffiziell, also nicht gleich vor Kriegsgericht oder so gestellt weil man es sich wagt gegen Taliban zu kämpfen.

    *
    https://edition.cnn.com/2021/09/05/asia/afghanistan-sunday-intl/index.html

  15. 16.

    Ein sehr schöner Bericht. Vielen Dank. Wir sind diese Strecke jedes Jahr seit Anfang der siebziger Jahre als Kinder mit meinen Eltern gefahren wenn es nach Dänemark ging. Wenn wir mal einen Trabbi überholen konnten, haben wir Kinder immer gewunken und es wurde immer zurück gewunken. Das war später auf der Autobahn auch so.....es sind schöne Erinnerungen.
    Mein Vater hatte bei Nebel das Ortseingangsschild von Nauen übersehen und fuhr zu schnell. Er wurde dann auch ziemlich schnell zur "Kasse " gebeten.:-)Einmal wurde ich erwischt, wie ich auf dem Transitparkplatz das Staatsgebiet der DDR verunreinigte, da alle Toiletten defekt waren. Wir sind mit vorgehaltener MP mit einer Verwarnung davon gekommen. Das waren Zeiten an die man sich heute aber gerne erinnert.

  16. 15.

    >“ Klar es war nicht alles gut damals aber es gab auch reichlich Momente in denen man sich wohl fühlte. “
    Ach naja… in welchem Gesellschaftssystem ist schon alles immer gut…
    Für die überwiegende Mehrheit gab es das normale Leben mit Liebe, Leid, Arbeit und Freude. Weil es für die allermeisten Menschen den Unterschied zwischen Heimat und politischem Staat gab. Letzteren hat jeder versucht, so weit wie möglich aus dem Privatleben herauszuhalten.
    Man muss nur aufpassen, dass diese privaten Erinnerungen nicht rosarot verklärt werden und der politische Staat als Gulag füs ganze Volk dargestellt wird. Es war schon vielschichtiger. Insofern ordne ich die Aussagen in diesem Artikel zur Unfallhilfe mal dem Sagenreich zu. Der Polizist hat ihn sicher in DDR typischem barschen Polizeiton weggeschickt, weil Rettungsdienst und Staatsorgane die Situation schon in der Hand hatten.

  17. 14.

    Es handelt sich um eine interessante Geschichte aus der Sicht eines Kindes geschildert.
    Einiges wurde mit Sicherheit dazu gedichtet im Großen und Ganzen beruht aber mit Sicherheit alles auf Wahrheit.
    Ich finde es gibt viel mehr aus jener Zeit als nur die Mauer und die Grenze. Vielleicht sollte es aber auch mehr Berichte über den Alltag von damals geben ohne gleich immer mit der Moralkeule zu kommen.
    Klar es war nicht alles gut damals aber es gab auch reichlich Momente in denen man sich wohl fühlte. Diese Momente waren und n den meisten Fällen nicht der DDR- Regierung und ihren Helfershelfern geschuldet sondern dem Leben und den Kontakten unter der " normalen " Bevölkerung.

  18. 13.

    Danke!!! Auch wir und ich selbst schreiben immer korrekt nach dem gültigen Duden. Und lassen uns nicht vorschreiben wie wir zu schreiben haben, gilt auch für unsere Jungs. Unsere Sprache ist einfach zu SCHÖN. Auch dieser unselige ' vergendern" Zeitgeist geht einmal vorüber. Nochmals ein Dankeschön!

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