Transitstrecke F5 von West-Berlin nach Hamburg - Die überwachte Landstraße direkt durch Perleberg
Wer während der deutschen Teilung mit dem Auto von West-Berlin nach Westdeutschland wollte, war zumeist auf Transit-Autobahnen unterwegs. Nur nach Hamburg fuhr man bis 1982 über Land - und dabei direkt durch Perleberg. Von Franziska Tenner
Wenn Hans-Joachim Schröder in seinem Geburtshaus in Perleberg aus dem Fenster schaut, rauschen die Autos noch heute an ihm vorbei. Manchmal erinnert er sich dann an seine Kindheit in den 50er Jahren.
Damals lag Perleberg in der DDR und die B5 vor der Tür der Schröders war die einzige Landstraße, die gleichzeitig als Transitstrecke von West-Berlin nach Westdeutschland - nach Hamburg - diente. Grenzübergänge waren die Heerstraße in Berlin-Staaken sowie am westlichen Ende Lauenburg/Horst. Der Transitverkehr nach Niedersachsen und Bayern führte über Autobahnen. Auf der B5 durfte man sogar Fahrrad fahren.
Von Westautos und umgekippten Kaffeelastern
Jedenfalls gab es damals Spannendes zu sehen für Schröder, der damals noch ein Kind war. Zum Beispiel die vielen West-Autos, Busse und LKWs, von deren Anblick konnte er gar nicht genug bekommen. Mit den Insassen war es dagegen so eine Sache: "Die Fahrzeuge fuhren meistens Schrittgeschwindigkeit. Insofern hatte man Sichtkontakt. Aber, es war natürlich verkrampft. Die Leute schauten raus und wir waren ein bisschen exotisch - so wie man sich was im Zoo anschaut."
Manchmal gab es an der B5 auch unverhoffte Glücksfälle für die Perleberger – einmal stürzte ein Kaffeelaster um, direkt vor dem Haus eines Freundes von Schröder. Überall lag der Kaffee auf der Straße und dem Acker. "Der Fahrer sagte dann, ich bin versichert, können Sie aufladen. Und aus dem angrenzenden Dorf kamen die Leute mit Schubkarren und luden den Kaffee auf."
Die Volkspolizei schirmte Unfälle ab
An Schröders Haus in der Hamburger Straße fuhren die Autos übrigens erst ab 1957 vorbei – da war die Umgehungsstraße fertig. Bis dahin führte die B5, oder F5 – Fernverkehrsstraße 5, wie sie in der ehemaligen DDR genannt wurde - direkt durch die Perleberger Innenstadt. Sogar das Wahrzeichen der Stadt, die Roland-Statue auf dem Kirchplatz, wurde dafür einen Meter verschoben, damit die Transitfahrzeuge, davon viele LKW, sich durch die engen Gassen der historischen Perleberger Innenstadt schlängeln konnten.
Einmal, so erinnert sich Schröder, gab es auch einen schweren Unfall: Zwei Autos aus dem Westen waren zusammengestoßen. Sein Onkel habe helfen wollen und schnell Decken für die Verletzten geholt. Da habe ihn die Polizei gestoppt, erzählt Schröder: "Als er wieder an der Unfallstelle war, wurde er des Ortes verwiesen mit dem frechen Satz: Diesen Bürgern helfen wir nicht. Das sind Bürger aus einem NATO-Staat. Und er konnte nichts machen." Wie die Geschichte weiterging, weiß Schröder nicht: Sein Onkel erzählte, die Volkspolizei habe den Ort sofort abgeschirmt.
Stehengelassene Sowjetsoldaten
Auch die sowjetische Armee bewegte sich damals über die B5, mit Armeefahrzeugen und Panzern, denn nahe Perleberg gab es eine Kaserne. "Und dann gab es bei der Truppenverschiebung immer diese Verkehrsregler von Soldaten", erinnert sich Gisela Freimark vom DDR-Geschichtsmuseum in Perleberg.
Manchmal wurden die jungen Soldaten offenbar vergessen - zumindest wurden sie erst sehr viel später eingesammelt, und bis dahin mussten sie auf ihrem Platz bleiben. Manche Perleberger versorgten sie dann mit Essen und Trinken - das durften die DDR-Behörden aber nicht merken.
Überwachung auch auf dem Parkplatz
Auch der Parkplatz für die Transitreisenden gegenüber wurde überwacht – mit beachtlichem technischen Aufwand, wie Schröder erzählt: "Eine Abhöranlage und eine Kamera waren in dem Güterwaggon gegenüber auf einem alten Gleis der Prignitzer Ringbahn installiert. Damit konnte man die Fahrzeuge registrieren, die hier standen, mit Nummernschildern, Wagentyp und den Insassen, die da aus- und einstiegen und sich in der Gaststätte mit der Verwandtschaft aus Perleberg getroffen haben."
Die abgehörte Raststätte
Die einzige Transit-Raststätte mit Intershop auf dieser Strecke zwischen Berlin und Hamburg gab es in Quitzow, nördlich von Perleberg. Hier durften Westler rasten und sollten mit dem Einkauf im Intershop Devisen ins Land bringen.
Die Gaststätte konnte auch von Einheimischen besucht werden. Hier trafen sich Familien, die auf unterschiedlichen Seiten im geteilten Deutschland lebten. Unbeobachtet waren diese Treffen nicht, sagt Schröder: "Es war natürlich bekannt, dass alles abgehört wurde. Nach der Wende wurde die Unterdecke des Restaurants, die eingebaut war, herausgerissen. Und über jeden Tisch war eine Wanze, oder ein Abhörgerät sagt man, eingebaut. Man hat also die Gespräche minuziös verfolgt."
Mit dem Transitabkommen änderten sich die Dinge
Letztlich war es für die DDR-Behörden schwer, die Kontakte an der Transit-Landstraße F5 vollständig zu kontrollieren. Und der Verkehr nach Berlin nahm zu: 1972 wurden bereits elf Millionen Reisende gezählt.
Auch die Bundesrepublik hatte Interesse daran, die Fahrt für ihre Bürger so schnell und reibungslos zu gestalten wie möglich. Nach dem Transitabkommen von 1971 wurden die Autobahnen zwischen West-Berlin und Westdeutschland mit Devisen aus dem Westen ausgebaut – und ab 1982 die Transitstrecke von Berlin nach Hamburg Stück für Stück auf die neu gebaute Autobahn verlegt. Auf einmal fuhren keine Westautos mehr an Schröders Haus vorbei und die F5 war wieder eine ganz normale Landstraße.
Heute heißt die F5 Bundesstraße 5. Der Parkplatz an der ehemaligen Transitgaststätte wird von LKW genutzt, die Gleise sind von Bäumen und Sträuchern überwuchert. Die Gaststätte ist längst geschlossen. Aber das Gebäude steht noch, und Hans-Joachim Schröder freut sich, das es noch da ist.
Sendung: Brandenburg Aktuell, 03.09.2021