Polizeikräfte mit Migrationsgeschichte - "Einige glauben einem nicht, dass man Polizeibeamter ist"
Im neuen Ausbildungsjahrgang an der Berliner Polizeiakademie geben mehr als ein Drittel aller Auszubildenden an, eine Migrationsgeschichte zu haben. Vor 20 Jahren war Ahmet Oyan der Einzige in seiner Klasse. Von Helena Daehler
Aus dem Radio im Streifenwagen kommt türkische Musik. Hinter dem Steuer: Oberkommissar Ahmet Oyan. Er ist 1,92 Meter groß, muskulös und hat einen dunklen Bart. Er hat türkische und arabische Vorfahren. Auf der Fahrt durch Neukölln kann er zu jeder Straßenecke eine Geschichte erzählen - von Einsätzen als Zivilbeamter, tagelangen Beschattungen, Großeinsätzen und auch wo es den besten Döner gibt.
Oyan kennt Neukölln - und Neukölln kennt ihn: Oft wird er erkannt. Dann bleibt er in seiner blauen Polizeiuniform kurz stehen und wechselt ein paar Worte, auf Deutsch oder Türkisch. Es gibt aber auch die andere Seite: Menschen, die ihm nicht trauen, trotz Uniform. "Es gibt auch einige, die glauben einem gar nicht, dass man Polizeibeamter ist." Seinen weißen Kollegen passiert das eher selten. Es hätte sich aber mittlerweile gebessert, sagt Oyan. Die Polizei sei die letzten Jahre viel diverser geworden und eher ein Abbild der Gesellschaft, besonders im Abschnitt 54 in Neukölln, meint er. Generell sorge das für mehr Nähe und Verständnis zwischen der Behörde und der Bevölkerung, sowohl sprachlich als auch kulturell.
Mehr Nachwuchskräfte mit Migrationshintergrund
Die Polizei Berlin versucht nach eigenen Angaben schon seit Jahren das Ziel zu erreichen, mit dem Personal die gesellschaftliche Vielfalt widerzuspiegeln. Den zukünftigen Beamtinnen und Beamten steht es allerdings frei, Angaben über ihre Herkunft zu machen. Deshalb sind die Zahlen auch nur bedingt aussagekräftig. So hatten in den vergangenen drei Jahren (von 2018 bis 2020) von 3.474 eingestellten Nachwuchskräften 1.105 (31,81 Prozent) eine Migrationsgeschichte, die auf insgesamt 94 verschiedene Nationen zurückzuführen ist.
Pressesprecher Thilo Cablitz sieht dadurch viele positive Effekte: "Die Polizei ist deutlich vielfältiger geworden. In dem Jahrgang jetzt sind wir bei fast 39 Prozent von Kolleginnen und Kollegen, die eine Migrationsgeschichte haben und diese in den Mittleren Dienst der Polizei mit einbringen."
Rassistische Äußerungen in der Ausbildung
Vor zwei Jahrzehnten aber, als Ahmet Oyan selbst noch Student an der Polizeiakademie war, sei er der einzige mit internationaler Biografie in seiner Klasse gewesen, sagt er. "Es gab tatsächlich in der Ausbildung, das ist schon 20 Jahre her, rassistische Äußerungen: Man müsste all deine Brüder vergasen", berichtet Oyan. "Das war so das Schlimmste, was ich erlebt habe."
Die Kollegen, die ihn damals rassistisch beleidigt hatten, seien heute noch immer im Dienst. Man kenne sich, aber grüße sich nicht. Die Ausbilder damals hätten rassistische Bemerkungen im Klassenraum aber unterbunden, betont Oyan. Der Mut, sich aktiv gegen Mitschüler zu wehren, habe ihm aber damals gefehlt: "Ich hätte da tatsächlich auch Anzeige erstatten sollen. Aber ich wollte einfach nicht riskieren, dass ich diesen Beruf dann nicht erlernen kann. Dass mir mein Ruf vorauseilt, dass ich ein Kollegen-Anscheißer bin." Heute würde er mit einer Anzeige nicht zögern, fügt er an.
65 Disziplinarverfahren werden aktuell geführt
Über solche Vorfälle offen zu sprechen, auch wenn sie schon zwei Jahrzehnte zurückliegen, sei ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung, sagt Cablitz und fügt zum Fall von Oyan an: "Ich hoffe, dass das heuzutage undenkbar ist. Ausschließen kann man aber nichts. Gerade die Vorfälle, die wir in den letzten Monaten kommuniziert haben mit den Chatgruppen, die wir ermittelt haben, (…) zeigen, dass es immer noch welche in unseren Reihen gibt, die diesen Beruf nicht mit diesem Werte- und Selbstverständnis ausfüllen, wie es sich für Polizistinnen und Polizisten gehört." Aktuell werden bei der Polizei Berlin 65 Disziplinarverfahren mit politisch motiviertem Hintergrund geführt.
Freund und Helfer und Vaterlandsverräter
Im polizeilichen Alltag erhält Oyan inzwischen die unterschiedlichsten Reaktionen, die mit seinem Erscheinungsbild verknüpft sind. Viele der ältere Generationen von Migrantinnen und Migranten seien mittlerweile richtig stolz darauf, dass es türkische oder arabisch-stämmige Polizistinnen und Polizisten gibt. Er erlebe es aber auch, dass ihm trotz seiner Herkunft und Sensibilität für das Thema Rassismus und Diskriminierung Racial Profiling vorgeworfen werde: "Auch ich muss mir das anhören, defintiv. Sehr oft ist es dann ja auch noch so, dass mir vorgeworfen wir, dass ich ein Vaterlandsverräter bin. Weil ich halt als Türke die deutsche Uniform trage. Aber das ist nicht oft der Fall - zum Glück", so Oyan.
Um Rassismus und Diskriminierung in den eigenen Reihen zu bekämpfen, setzt die Polizei Berlin auch auf Fort- und Weiterbildungen. In diesem Jahr sei ein verpflichtender Workshop für Führungskräfte angelaufen, bei dem es darum geht Fehlentwicklungen und tendenziöses Verhalten schnell zu erkennen und in geeigneter Weise darauf reagieren, heißt es.
Sendung: 88,8, 01.09.2021, 11:00 Uhr