Nüchterne Flughafen-Bilanz - Ein Jahr offen und kein Grund zum Feiern am BER

Ende Oktober 2020 wurde der Flughafen Berlin-Brandenburg Willy Brandt eröffnet. Es war nicht der beste Zeitpunkt für einen Neustart. Wie die erste Bilanz nach zwölf Monaten aussieht, zeigt Thomas Bittner
Die Zeit der Jokes über den BER sei vorbei, hatte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) am Tag der Eröffnung prophezeit. Er sollte nicht Recht behalten. Spätestens seit dem Chaos-Wochenende zu Beginn der Herbstferien ist er wieder da: Der BER als Witzvorlage, als Beleg für all das, was Berlin und Brandenburg nicht im Griff haben. Lange Schlangen vorm Check-in, bei den Sicherheitskontrollen, vor den Gepäckbändern, an den Taxiständen. Warten auf Flugzeugtreppen und Transit-Busse.
Genaugenommen ist das Wenigste davon Sache des Airports. Fürs Einchecken sind die Airlines verantwortlich, für das Gepäckhandling die Bodendienstleister, für die Security-Gates die Bundespolizei, und die Regeln für das Taxigewerbe stellt auch nicht der Flughafen auf. Aber Differenzierung kann man von genervten Passagieren nicht erwarten. Der Flughafen wird sein Imageproblem schwer los.
Man könnte mit Zahlen belegen, dass es auch eine andere Geschichte gibt. Dass schon eine Woche nach dem Chaos alle Beteiligten ihre Lektion gelernt hatten. Dass sich die monatlichen Fluggastzahlen in einem Jahr fast verzehnfacht haben. Dass in diesem Jahr schon 53 Länder angeflogen wurden. Dass von der Besucherterrasse 100.000 Besucher aufs riesige Vorfeld schauten. Und dass im Duty Free über 7.600 Flaschen Champagner verkauft wurden. Wozu eigentlich? Was gibt es denn zu feiern? Rund acht Millionen Passagiere sind im ersten Jahr gezählt wurden. Aber vor Corona waren es viermal so viele.
Eröffnung mitten in der Corona-Pandemie
"Wir hatten am BER bisher noch keinen normalen Tag", sagt Flughafensprecher Jan-Peter Haack. Der Flughafen sei unter Corona-Bedingungen eröffnet worden und bis heute operiere man Tag für Tag unter besonderen Bedingungen.
74 Airlines fliegen inzwischen am BER, aber selbst die größten Kunden haben ihr Engagement reduziert. Der BER war quasi in einen Stillstand hinein eröffnet worden. Das Terminal 2 ging gar nicht erst in Betrieb. Beim Terminal 5, dem alten Schönefeld-Abfertigungsgebäude, wurde im Februar für vorerst ein Jahr die Pausentaste gedrückt. Nur auf einer von zwei Pisten starten und landen die Jets, immer im monatlichen Wechsel, damit sich die Lärmbelastung besser verteilt.
Die Airlines können nur sechs bis acht Wochen im Voraus planen
Die Marktführerschaft am Hauptstadt-Flughafen teilen sich zwei ungleiche Player: die Lufthansa-Group, die unter anderem mit Eurowings, Swiss und Austrian präsent ist und jeden vierten Flug am BER durchführt, und EasyJet. Die britische Low-Cost-Gesellschaft war am Eröffnungstag als Erste am BER gelandet und startete auch den ersten kommerziellen Flug.
Eine Erfolgsgeschichte konnte es wegen Corona nicht werden. 2019 hatten die Briten 34 Airbus-Flugzeuge in Berlin stationiert, jetzt sind es nur noch 18. Damit wolle man die Präsenz in Berlin dauerhaft sicherstellen, heißt es. Im Juni wurde eine eigene Wartungsstation am Südpier eröffnet, die erste außerhalb Großbritanniens. Seit Herbst 2021 wird ein Hangar gebaut, der Wartungsbetrieb ist ab Anfang 2023 geplant.
Prognosen sind für die Airlines schwierig
Ab wann der Flughafen mehr Terminals und Gates öffnen sollte, da will auch Easyjet keinen Ratschlag geben. "Wir können natürlich nur in unsere eigenen Buchungszahlen schauen. Die sind stabil in den letzten Monaten gewachsen, aber es ist sehr schwer, da eine konkrete Vorhersage zu treffen", sagt Easyjet-Deutschland-Chef Stephan Erler dem rbb. "Wir schauen im Moment sechs bis acht Wochen im Voraus, wie die Planungskapazitäten aussehen und wie die Nachfrage ist. Coronabedingt buchen die Fluggäste relativ kurzfristig."
Das spürt man auch bei der Flughafengesellschaft. "Die ganze Branche war es früher gewohnt, sehr weit in die Zukunft zu planen. Sechs Monate waren sehr, sehr gut planbar", bestätigt Jan-Peter Haack von der FBB. "Das ist uns durch Corona schlagartig abhanden gekommen. Die Airlines müssen sehr kurzfristig planen: Wohin können sie fliegen? Welche Einreiseregeln gibt es? Wie verhalten sich die Buchungszahlen?"
Eine Sprecherin der Lufthansa-Gruppe nennt den Start des Flugbetriebs am BER auf rbb-Nachfrage "reibungslos". Aber sie fügt auch hinzu: "Jetzt kommt es darauf an, den BER weiter zu modernisieren und zu digitalisieren und damit für die Zeit, wenn wieder deutlich mehr Menschen fliegen, fit zu machen." Ist der Flughafen schon ein Jahr nach der Eröffnung nicht mehr auf dem technischen Stand der Dinge? Ins Detail wollte Lufthansa nicht gehen.
Keine ICE-Verbindungen für den Bahnhof unterm Terminal
Wichtig sei es auch, den Flughafen besser an den öffentlichen Nahverkehr und den Bahnfernverkehr anzubinden, heißt es im schriftlichen Statement. In der Tat: ICE-Verbindungen etwa Richtung Hannover oder Hamburg fehlen, sie würden den Flughafen attraktiver machen. Ein großes Pfund des Flughafens bleibt noch ungenutzt.
"Mit uns wird es keinen Blankoscheck geben"
Die größte Last des Flughafens bleiben aber die Schulden. Mit Corona rutschte die Flughafengesellschaft FBB noch tiefer in die roten Zahlen. 2,4 Milliarden EUR bis 2026 benötigt die FBB von den Gesellschaftern, um zahlungsfähig zu bleiben. Die ersten Gelder müssten im Frühjahr fließen. Es wird eng. Zwar haben der Bund, Berlin und Brandenburg Vorkehrungen getroffen, aber es gibt noch viele Fragen: Werden die Ampelkoalition im Bund und die Rot-Grüne-Rote Parlamentsmehrheit in Berlin rechtzeitig in der Lage sein, den Zuschuss in einem entsprechenden Haushalt zu beschließen? Wird die EU-Kommission eine solche Unterstützung mittragen?
Die Grünen stehen auf der Bremse. Sie verlangen einen Kassensturz. "Mit uns wird es keinen Blankoscheck geben", sagt Brandenburgs Grünen-Landeschefin Julia Schmidt im rbb. Die Bündnis-Grünen forderten ein unabhängiges Finanzgutachten. Das ist jetzt in Arbeit. Die Brandenburger Regierungskoalitionen werden die Flughafenzahlungen im Haushalt 2022 mit einem Sperrvermerk versehen. "Das heißt: die Gelder für die Flughafengesellschaft werden erst dann freigegeben, wenn die Transparenz hergestellt ist, wenn wir einen besseren Überblick haben", so Schmidt.
Bis zum Ende des Jahres soll das Gutachten fertig sein. Dann wird sich zeigen, ob man sich Champagnerkäufe am Flughafen auch weiterhin leisten kann.
Sendung: Brandenburg aktuell, 31.10.21, 19:30 Uhr
Die Kommentarfunktion wurde am 31.10.2021 um 16:23 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.