Berliner Polizei sucht Grab - Von den Kameraden in der NS-Zeit erschossen, weil sie schwul waren

Vor fast 80 Jahren wurden vier Polizisten in Spandau von ihren Kameraden erschossen, weil sie schwul waren. Nun will die Berliner Polizei die Würde der Männer wieder herstellen. Mit schwerem Gerät sucht sie nach dem Grab. Von Kerstin Breinig
"Die zugeschaufelte Erde war zwar etwas erhöht, es wurde aber kein Hügel gemacht. Ein Meter von dem Grab entfernt befand sich ein kleiner Baum." Das ist der einzige Hinweis auf ein Massengrab, in dem die Leichen von vier Polizisten vermutet werden, die vor fast 80 Jahren in Berlin von Kollegen erschossen wurden. Otto Jordan, Reinhold Hofer, Willi Jenoch und Erich Bautz wurden verdächtigt, homosexuell zu sein. Nach einem internen Erlass stand in der NS-Zeit darauf die Todesstrafe.
Die Berliner Polizei ist auf der Suche nach den sterblichen Überresten der Männer. Der Hinweis auf ihr Grab stammt aus der Aussage von einem der Täter. Ohne Polizeihauptkommissar Ralf Kempe und Jens Dobler von der Polizeihistorischen Sammlung wäre das Schicksal der vier Männer wahrscheinlich in Vergessenheit geraten.
Angehörige der vier Männer gibt es nicht mehr. Kempe und Dobler haben mehrere Jahre zu dem Fall recherchiert, Militärarchive angeschrieben, Luftbilder ausgewertet, mit dem Umbettungsdienst der Deutschen Kriegsgräberfürsorge auf dem Polizei-Übungsgelände in der Pionierstraße unterwegs. Kempe und Dobler wollen den Ermordeten ihre Würde zurückgeben; ihnen den Respekt zollen, den sie verdienen.
Ihr Grab war bereits ausgehoben
24. April 1945, die letzten Tage des Krieges, Berlin ist komplett eingeschlossen, die russische Armee steht schon an der Spandauer Zitadelle. Während alle anderen Inhaftierten der Polizeiarrestanstalt in der Moritzkaserne an diesem Tag freikommen, werden Jordan, Hofer, Jenoch und Bautz auf einen Lastwagen verladen. Ein Exekutionskommando bringt sie zur Pionierstraße, wo bereits ein Grab für sie ausgehoben wurde.
Einzeln müssen sie herantreten. Mit einem Genickschuss werden sie nacheinander getötet. Eine polizeiliche Vernehmung gab es ebenso wenig, wie eine Gerichtsverhandlung. "Von der Durchführung der Erschießung mit Karabinern nahmen wir deshalb Abstand, weil es schon zu dunkel geworden war und wir auch damit rechnen mussten, durch die Schüsse die Umgebung zu gefährden", beschreibt der befehlsführende Oberleutnant die Tat.
Mehrere Tage wird das Gelände abgesucht
Anfang Oktober findet eine beispiellose Suche auf dem Gelände statt. Anhand des Pflanzenbewuchses und von eingesunkenen Stellen im Boden wurden drei mögliche Tatorte identifiziert, an denen die Toten verscharrt liegen könnten. Die suchenden Polizisten müssen wie Mörder denken. Das haben sie gelernt. Doch dieser Fall liegt anders. Die Mörder haben ihre Tat nicht verheimlicht oder versteckt, denn sie glaubten damals, das Richtige zu tun.
Mit Bodenradar, Magnetsonde, Bagger und Schaufeln beginnt die Suche. Das Gelände ist schwierig. Der Boden wurde mehrfach umgegraben, der Wald ist von alten Gräben durchzogen und mit Bombentrichtern übersät. Britische Soldaten haben hier nach dem Krieg Übungen durchgeführt, später auch die Berliner Polizei. "Wir haben ja den Bericht der Hinrichtung selber", sagt Dobler, "der beschreibt also relativ gut, dass sie an einem Weg gehalten haben. Dort mussten sie warten, sind dann in ein Waldstück gegangen und dort hat die Erschießung stattgefunden. Das heißt es muss irgendwo in Wegesnähe gewesen sein."
Viele Stellen auf dem Gelände sehen so aus, als könnten sich dort die sterblichen Überreste der vier Männer befinden. Joachim Kozlowski steht in einem kleinen Waldstück. "Allein hier sind 50, 60 Möglichkeiten." Seit Jahren sucht der Umbetter für den Volksbund nach Kriegstoten. Einen Auftrag wie diesen hatte er bisher nicht. "Das Problem ist, dass die Zeugenaussagen von den Tätern stammen", sagt er. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese gelogen haben, sei groß. Trotzdem sei es den Versuch wert.
Am zweiten Tag der Suche finden die Polizisten der technischen Einheit an einer alten Festungsmauer Beschläge von Schuhen und ein paar verbrannte Uniformreste. Es kommt Hoffnung auf. Nur Knochen finden sie nicht. Stattdessen: Wehrmachtshelme mit Einschusslöchern, alte Kanister, Munition, eine Schützenstellung. Ernüchterung im Team. "Die können ja überall liegen", sagen alle und machen trotzdem weiter. Es ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Trauerfeier am Waldrand
Innerhalb einer Woche wurden mehr als 60 Löcher auf dem Gelände gegraben. Doch der Erfolg ist ausgeblieben. "Klar ist man ein bisschen frustriert, aber mann kann's nicht erzwingen", sagt Ralf Kempe. "Vielleicht sind mehr Dinge in den mehr als 70 Jahren hier passiert auf dem Gelände, von denen wir nichts wissen."
Was auf jeden Fall bleibt, ist das Wissen, was Polizisten im Nationalsozialismus Menschen angetan haben, an welchen Verbrechen sie beteiligt waren. Das ist ein Erbe, dem sich die Berliner Polizei stellen muss und stellen will. Am Eingang zum Polizeiabschnitt 21 in Spandau hängt bereits eine Gedenktafel. Von Erich Bautz fehlt bislang der Vorname – er soll nun ergänzt werden. Doch es soll nicht das Ende der Suche sein. Die Ermittlungen werden fortgesetzt. Und vielleicht finden sie doch noch den entscheidenden Hinweis. Ein Grabfeld für die vier ist bereits reserviert.
Am letzten Tag nehmen die Suchenden trotzdem Abschied. Am Waldrand halten der Suchtrupp und eine Seelsorgerin eine Trauerfeier ab und erinnern an Otto Jordan, Reinhold Hofer, Willi Jenoch und Erich Bautz.
Sendung: Abendschau, 17.10.2021, 19.30 Uhr