Epileptischer Anfall am Steuer - Gericht muss über strafrechtliche Schuld am Unfall-Tod von vier Menschen entscheiden

Ein SUV-Fahrer war 2019 in Berlin-Mitte wegen eines epileptischen Anfalls mit seinem Auto auf den Bürgersteig gerast. Die Anklage im laufenden Prozess lautet auf fahrlässige Tötung. Entscheidend ist die Frage, ob ihm ein Arzt das Fahren untersagt hat. Von Ulf Morling
Am 6. September 2019 war ein Autofahrer mit seinem SUV aus dem Stau des freitäglichen Berufsverkehrs in der Invalidenstraße mit seinem SUV ausgeschert. Von einem epileptischen Muskelkrampf erfasst, trat er auf das Gaspedal seines Porsche Macan und konnte den Krampf nicht mehr lösen. Neben ihm saß seine 67-jährige Mutter, auf der Rückbank seine sechsjährige Tochter. Gemeinsam wollten die drei zum Pizzaessen in ihr Stammrestaurant.
Das fast zwei Tonnen schwere 400-PS-Auto raste auf dem Bürgersteig gegen Metallpoller, deformierte den Mast einer Ampel und überschlug sich daraufhin mehrfach. Mit über 100 Kilometern in der Stunde erfasste das Auto dann vier Fußgänger tödlich, die an der roten Ampel warteten. Das jüngste Opfer war drei Jahre alt, seine 64-jährige Großmutter starb ebenfalls. Auch ein Spanier (28) und ein Brite (29) wurden getötet.
Rund zwei Jahre nach der tödlichen SUV-Unfall mit vier Toten muss sich der angeklagte Fahrer nun in einem Prozess vor dem Berliner Landgericht verantworten.
Möglicher epileptischer Anfall war laut Staatsanwaltschaft vorhersehbar
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Unternehmer fahrlässige Tötung in vier Fällen und Gefährdung des Straßenverkehrs vor. Staatsanwaltschaft und neun im Prozess auftretende Eltern, Kinder, Geschwister der Getöteten und deren Anwälte sind als Nebenkläger überzeugt davon, dass sich M. nicht hinters Steuer hätte setzen dürfen: Denn vier Monate vor dem tragischen Unfall hatte er bereits einen ersten epileptischen Anfall laut Anklage erlitten. Einen reichlichen Monat vor dem Unfall wurde er obendrein am Hirn operiert.
Vor einem möglichen epileptischen Anfall sei er außerdem mehrfach von Ärzten gewarnt worden, wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor. Ein möglicher epileptische Anfall am Unfalltag sei deshalb für den Angeklagten vorhersehbar gewesen. Für die Staatsanwaltschaft ist der 44-jährige Unternehmer deshalb für den tragischen Tod der vier bei dem Unfall gestorbenen Menschen verantwortlich.
Fahrlässig tragischen Unfall verursacht?
Knapp ein halbes Jahr nach dem Unfall in Mitte hatte die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Der erste mit dem Unglück befasste Oberstaatsanwalt ging inzwischen in den Ruhestand. Der Anklageverfasser befindet sich derzeit im Urlaub, sodass sich im Prozess nun mindestens der dritte Staatsanwalt mit dem Fall befassen wird.
Im Grundsatz geht es um die Frage, ob der angeklagte Autofahrer im strafrechtlichen Sinne schuldhaft den Unfall mit vier Toten verursacht hat. Entscheidend dafür ist unter anderem, ob ihm ärztlicherseits das Fahren mit dem Auto wegen seines epileptischen Anfall untersagt worden war.
Auf jeden Fall aber hätte er bei der gebotenen Sorgfalt erkennen können und müssen, dass er nicht hätte fahren dürfen, so die Staatsanwaltschaft. M. habe gewusst, dass er wenige Monate vor dem Unfall einen epileptischen Krampfanfall erlitten und eine schwere Gehirnoperation hatte - und damit die Möglichkeit eines weiteren epileptischen Anfalls bestehe, so der Vorwurf.
Angeklagter gab nach dem Unfall freiwillig Führerschein ab
Es habe sich um ein furchtbares, ganz grauenhaftes Unglück gehandelt, hatte M. kurz nach dem Unfall über seinen Verteidiger den Ermittlern mitgeteilt. Durch das Geschehen seien vier Menschen zu Tode gekommen und das Leben von vielen mehr sei zerstört worden. Er sei zutiefst erschüttert und verzweifelt über das Leid, das sein Unfall verursacht habe.
Der Angeklagte hatte seine vertraulichen Krankenunterlagen nach dem Unfall den Ermittlern zur Verfügung gestellt, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sonst nicht von der Staatsanwaltschaft hätte eingesehen werden können. Die Beschlagnahme seines Führerscheins hatte das Amtsgericht Tiergarten im September zwar abgelehnt. Trotzdem hatte M. auf dessen Herausgabe verzichtet und fuhr laut Verteidigung seit dem Unfall kein Auto mehr.
Verurteilung zu Bewährung, Freiheitsstrafe bis Freispruch möglich
Unter den Verfahrensbeteiligten befinden sich neben neun Angehörigen der vier Todesopfer des Unfalls als Nebenkläger, deren Anwälte, fünf Richter, die Staatsanwaltschaft, drei Dolmetscher für die Verwandten der beiden britischen und spanischen Todesopfer. Sie alle erhoffen Aufklärung über das Unfallgeschehen und die Schuld des Angeklagten: Hatte er sich vorsätzlich hinters Steuer gesetzt im Wissen darum, dass er einen Anfall erleiden konnte? Laut Staatsanwaltschaft jedenfalls hätte ein "besonnener und gewissenhafter Mensch" darauf verzichtet, am Unfalltag Auto zu fahren.
Das Urteil wird entscheidend mit davon abhängen, was die behandelnden Ärzte M.s zu ihren möglichen Verboten aussagen, ein Auto zu führen. Von einem Freispruch bis zu einer Freiheitsstrafe ist alles möglich. 21 Verhandlungstage bis zum Februar sind geplant.
Sendung: Inforadio, 27.10.2021, 11:55 Uhr
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