Insekten-Digitalisierung im Naturkundemuseum - "Wir wollen so etwas wie das Google der Natur bauen"

Sa 30.10.21 | 06:41 Uhr | Von Tomas Fitzel
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Eine Mitarbeiterin des Naturkundemuseums steht an der neu eingerichteten "Digitalisierungsstraße" für Insekten (Bild: Museum für Naturkunde/Thomas Rosenthal)
Audio: rbbKultur | 26.10.2021 | Tomas Fitzel | Bild: Museum für Naturkunde/Thomas Rosenthal

Das Museum für Naturkunde in Berlin digitalisiert seine gesamte Sammlung und fängt damit bei den Insekten an. Die Besucher können dabei zuschauen - für die Insekten ist das Unterfangen allerdings nicht ganz risikolos. Von Tomas Fitzel

Die neue Digitalisierungsstraße seitlich von der großen Dinosaurierhalle sieht aus wie eine Art große Carrera-Bahn – nur drehen hier keine Rennautos ihre Runden, sondern Insekten auf Stäben. Ein ungewohnter Anblick für Besucherinnen und Besucher des Berliner Naturkundemuseums: Seit Anfang der Woche können sie den Mitarbeitern bei ihrer Arbeit direkt auf die Finger schauen.

Die gesamte Sammlung des Naturkundemuseums - 30 Millionen Objekte - soll digital erschlossen werden. Los geht es mit den Insekten, die schon lange vor den Dinosauriern die Welt bevölkerten. Sie machen die Hälfte der Sammlung aus. Aufgespießt auf feinsten Nadeln lagern sie bislang in Holzkästen. Jetzt sollen sie nach und nach alle fotografiert und digitalisiert werden, um sie der gesamten Welt online zugänglich zu machen. Möglich macht dies eine automatisierte Technik: die Digitalisierungsstraße.

Ein Mitarbeiter des Naturkundemuseums nimmt ein aufgestecktes Insekt aus einer Box (Bild: Museum für Naturkunde/Taco van der Eb)
Die Digitalisierung beginnt mit der Umsetzung der Insekten. | Bild: Museum für Naturkunde/Taco van der Eb

Doch am Anfang steht für die Wissenschaftler noch die Handarbeit. Erst müssen die Insekten aus den Holzkästen entnommen und in kleinere weiße Pappkartons umgesetzt werden. 15 Millionen, alle einzeln. Dafür braucht es eine ruhige Hand. "In den ersten Tagen", berichtet Alexander Seliger, einer der technischen Arbeiter, "war man doch ein bisschen zittrig – eine falsche Bewegung und man riskiert, dass ein Kopf, ein Fühler oder ein Bein abbricht." Oft handelt es sich um Arten, die selten, längst ausgestorben und hundert Jahre oder noch viel länger in Holzkästen schlummerten.

Es werden etwa 90 Bilder von allen Seiten gemacht

Beim Herausnehmen merkt sich eine Kamera den genauen Platz, an dem das Insekt aus der Schachtel entnommen wurde. Denn am Ende muss es genau dort wieder landen. Mitsamt der Nadel wird das kleine Objekt auf eine Haltstange aufgesetzt, die dann auf dem Carrera-Bahn-artigen Digitalkarussell losfährt. In der Zwischenzeit wird das Etikett mit den QR-Codes, die alle wichtigen Informationen enthalten, ebenfalls fotografiert.

Dann fährt das Insekt durch eine Trommel, in der rundum Kameras angebracht sind. Bei dieser Digitalisierung werden circa 90 Bilder von allen Seiten gemacht, und daraus entsteht dann ein 360-Grad-Bild.

Besonders wichtige Objekte werden zudem einzeln gescannt, um eine vollständige 3-D-Ansicht zu ermöglichen. Dazu braucht es allerdings 25.000 Aufnahmen und entsprechend mehr Zeit, nämlich einen ganzen Tag. Die einfache Digitalisierung ist dagegen schon nach wenige Minuten beendet. 5.000 Insekten will man so am Tag schaffen. Bei einer Fünftagewoche wäre man dann in elf Jahren fertig.

Ein Insekt wird im Naturkundemuseum digitalisiert (Bild: Museum für Naturkunde/Taco van der Eb)
Ein Insekt wird im Naturkundemuseum fotografiert. | Bild: Museum für Naturkunde/Taco van der Eb

Wissen soll auf Knopfdruck zur Verfügung stehen

Berlin ist mit diesem Projekt international Vorreiter. Darauf ist Johannes Vogel, Generaldirektor des Naturkundemuseums, sehr stolz. Denn damit rückt das Ziel einer digitalen Weltsammlung ein Stück näher. "Wir wollen so etwas wie das Google der Natur bauen, um zu helfen, dass das Wissen dort, wo die Menschen arbeiten und forschen – ob in Kamerun Laos, oder Australien – per Knopfdruck auf den Computern und Smartphones jederzeit zur Verfügung steht."

Berlin definiert damit auch einen wissenschaftlichen Standard, eine Norm, wie Objekte künftig digitalisiert und erfasst werden. Dies kann nur in enger Kooperation mit den Museen weltweit erfolgreich gelingen. Das ist auch Jana Hoffmann Leiterin des Forschungsbereiches Zukunft der Sammlung ein wichtiges Anliegen – auch, weil erst die Vereinheitlichung es möglich macht, andere Wissenszugänge und -systeme zuzulassen. Wir hätten uns daran gewöhnt, die Pflanzen- und Tierwelt nach Familien und Gattungen hierarchisch zu ordnen. Doch es gebe daneben viele andere Formen der Welterschließung, betont Jana Hoffmann. "Einige indigene Kulturen beschreiben Käfer zum Beispiel ganz anders, denn für sie ist das ein ganz anderes Objekt, eine ganz andere Kategorie. Und darauf möchten wir gern eingehen, so dass wir diese möglichst vielfältigen Ansätze ebenso zeigen können, und dieses Wissen so auch wieder zurück zu den einzelnen Herkunftsländern geht."

An der Wand des Naturkundemuseums hängt neben Insekten ein Bildschirm (Bild: Museum für Naturkunde/Thomas Rosenthal)
Neben den aufgesteckten Insekten hängen Bildschirme mit den digitalisierten Insekten. | Bild: Museum für Naturkunde/Thomas Rosenthal

"Wir erleben derzeit einen dramatischen Verlust"

Das Berliner Naturkundemuseum bietet dafür auch eine wichtige Voraussetzung. "Hier in diesem Haus sind zehn Prozent aller bisher in der Welt beschriebenen Arten zu finden. Deshalb haben wir den besonderen Auftrag, unsere Sammlung der Welt der Naturforschung zur Verfügung zu stellen, um damit eine Referenz zu sein für das, was wir bereits kennen und was wir nicht kennen", sagt Generaldirektor Johannes Vogel.

Bei vielen Insekten heißt es aber längst: Die wir kannten. Denn das Naturkundemuseum beschreibt auch die Welt, wie sie einmal war. Und dies beunruhigt ihn mehr als alles andere: "Wir erleben derzeit in Europa einen dramatischen Verlust in der Quantität und der Qualität von Diversität bei Insekten. Dass hier in Europa die Landwirtschaft die Natur platt macht, ist das eine. Aber was wir für unseren Fleischhunger in der Südhemisphäre kaputtmachen in Afrika, in Asien, in Südamerika ist von einer ganz, ganz anderen Tragweite, die mich wirklich nachts schwer schlafen lässt", so Johannes Vogel.

High Tech in einem 130 Jahre alten Museum

Auch für die Insekten, die aus den Kästen herausgenommen werden und zumindest für eine gewisse Zeit lang ungeschützt der natürlichen Raumluft ausgesetzt sind, ist der Prozess nicht ganz ohne Risiko. In anderen Institutionen, wie etwa im Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut im brandenburgischen Müncheberg darf dies nur in einem klimatisierten und mit Luftfiltern ausgestatteten Raum unternommen werden. Ausstellungsleiter Uwe Moldrzyk kann dazu nur sagen: "Wir haben gar keine Klimatisierung im Altbau. Wir können es entweder hier versuchen, oder wir müssen es lassen."

Ein halbes Jahr lang läuft nun dieses Pilotprojekt, in dem die Insekten öffentlichkeitswirksam live digitalisiert werden. Die Besucher erhalten viele interessante Informationen, aber der eigentliche Vorgang des Digitalisierens – aus der Ferne kann man mit bloßem Auge die Insekten nicht erkennen – ist nicht wirklich spannend. Doch für den Umbau sowie die längst überfällige Modernisierung des Berliner Naturkundekundemuseums hat der Bundestag 2018 immerhin 660 Millionen Euro bewilligt. Genau dafür braucht es solche Präsentationen und Formen der Öffentlichkeitsarbeit. Wer Geld bekommt, muss halt auch zeigen, wofür.

Sendung: rbbKultur, 26.10.2021, 07:10 Uhr

Beitrag von Tomas Fitzel

2 Kommentare

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  1. 2.

    Und gut waere auch noch , wenn man einen virtuellen Rundgang im Museum machen könnte , also über Internet ! In allen Museen in Deutschland mpsste das gemacht werden .

  2. 1.

    So what. German Thanksgiving for all Krauts.

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