Interview | Abgesagte Geburtstermine - "Es ist nicht so, dass die Frauen ihre Kinder zu Hause kriegen müssen"

Kürzlich hat das Vivantes Klinikum in Berlin-Neukölln Geburtstermine bis ins Jahr 2022 abgesagt. Ein Schock für die betroffenen Schwangeren. Kein Grund zu verzweifeln, sagt Patientenberater Marcel Weigand. Anders wäre das in Brandenburg.
rbb|24: Hallo Herr Weigand. Gab es das schonmal, dass ein Krankenhaus – wie kürzlich das Vivantes in Neukölln - die Monate zuvor getroffenen Geburtstermine in größerem Stil "storniert"?
Marcel Weigand: In dem Ausmaß – also dass so etwas für einen längeren Zeitraum von einer Klinik verkündet wurde, ist mir das nicht bekannt. Was es immer einmal wieder gibt, ist, dass es aufgrund personeller Veränderungen nicht möglich ist, alle Geburten anzunehmen oder durchzuführen.
Auch Hebammen werden schwanger oder es kommt zu Kündigungen. Hinzu kommt, dass es gerade bei den Hebammen in Kliniken eine Knappheit gibt. Da ist es schnell auch mal nicht möglich, alle angedachten Geburten durchzuführen.
Wie schwer wird es jetzt für die betroffenen Frauen, die sich ja sicher teilweise in recht fortgeschrittenen Schwangerschaften befinden, in einer Stadt wie Berlin einen neuen Termin für eine sichere Geburt zu finden?
Das ist in Berlin nicht schwer. Das ist der Vorteil vom Leben im Ballungsraum. Es gibt in Berlin weit über 20 Kliniken, die auch Geburten durchführen. Problematisch ist das eher im ländlichen Raum. Auf der Insel Sylt gibt es inzwischen keine Geburtshilfe mehr – da müssen die Frauen vor dem Entbindungstermin aufs Festland. Da ist man in Berlin in einer sehr komfortablen Situation.
Es ist derzeit tatsächlich möglich, sich in Berliner Kliniken online oder telefonisch anzumelden. Es ist nicht so, dass die von der Absage betroffenen Frauen ihre Kinder zu Hause kriegen müssen.
Was würden Sie den Frauen raten, zu tun? Alle Krankenhäuser durchtelefonieren?
Entweder anrufen oder online informieren und anmelden. Es gibt ja auch Portale im Internet dazu. Da kann man beim Behandlungswunsch "Geburt" nach Kliniken suchen. Da sieht man dann, dass es eine große Auswahl an Kliniken gibt und in der Regel ist davon auch keine wirklich weit weg. Dort hat man die Möglichkeit, die Kliniken nach diversen Qualitätskriterien zu differenzieren. Man sieht, welche Kliniken besonders erfahren oder besonders umfangreich ausgestattet sind. Mit Personal oder auch mit technischer Ausstattung.
Was spricht dagegen, sich nirgends anzumelden und mit Wehen einfach ins nächstgelegene Krankenhaus zu gehen und dort als Akutfall zu entbinden?
Da geht es um die Planung. Wenn Geburten ungeplant eintreffen, kann es sein, dass sich zu bestimmten Punkten sehr viele Menschen bei der einen Klinik vorstellen. Dann kommt es zu einer Knappheit. Grundsätzlich ist es so, dass Kliniken bei der Anmeldung schauen, ob sie noch Kapazitäten zum Geburtstermin haben. Auch wenn man den sowieso nie auf den Tag oder die Woche genau weiß.
Müssen Krankenhäuser Frauen, die in den Wehen liegen, zur Entbindung aufnehmen?
Ja. Das ist eine Frage, die sehr oft gestellt wird. Es geht ja darum, wann es eine Notsituation ist und wann nicht. Grundsätzlich ist es so, dass im Notfall Patienten nicht abgewiesen werden dürfen. Da gibt es eine Behandlungspflicht. Es kommt aber immer mal wieder vor, das ist dann auch in den Medien zu lesen, dass Schwangere abgewiesen werden. Das ist aber nicht die Regel.
Aber bei Vorwehen beispielsweise könnte es sein, dass die Klinik nach einer Untersuchung sagt, dass eine Frau kein Notfall sei. Grundsätzlich gilt eine Geburt erst einmal als planbarer Eingriff und nicht als Notfall. Sie ist ja kein unvorhergesehenes Ereignis.
Was müsste sich ändern in der Geburtshilfe? Müsste es einfach mehr Hebammen geben?
Das ist eine langfristige Frage. Man müsste diesen Beruf – das gilt gleichermaßen für die Pflege – so attraktiv machen, dass die Menschen Spaß und Freude daran haben, ihn zu wählen und ihn in der Klinik am Patienten ausüben möchten. Das ist auch eine Frage der Arbeitsbedingungen und auch der Bezahlung. Ein Problem, was man in dem Zusammenhang diskutieren muss ist, dass die deutsche Krankenhauslandschaft einmalig ist – im Sinne von besonders. So viele Krankenhäuser – bezogen auf die Bevölkerung – gibt es sonst nirgendwo. Das wird seit Jahren kritisiert und von Experten wie auch beispielsweise von der Leopoldina wird gefordert, dass man weniger Kliniken braucht. Aber dafür mehr Kapazitäten brauche, die spezialisierter sind.
Ein Teil der Personalknappheit ist auch der Tatsache geschuldet, dass es zu viele Kliniken gibt und die Personalkapazitäten so nur schwer optimiert geplant und eingesetzt werden können. Gerade in Ballungszentren wie Berlin. Das ist in ländlichen Gebieten anders. Dort werden – wie ja auch in Brandenburg – immer mehr Geburtskliniken geschlossen. Da kann die nächstgelegene Klinik ganz schön weit weg sein. Dort sind natürlich auch die Geburtenraten aufgrund der Landflucht recht gering. Da rentieren sich die Geburtsstationen nicht. Das ist dann aber trotzdem dramatisch für die wenigen, die dort eine Klinik bräuchten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Prieß, rbb|24