100-Jähriger muss operiert werden - Prozess gegen ehemaligen KZ-Wachmann wird bis November unterbrochen

Fr 22.10.21 | 17:15 Uhr
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Der angeklagte ehemalige KZ-Wachmann sitzt im Gerichtssaal (Quelle: DPA/Fabian Sommer)
Bild: DPA/Fabian Sommer

Beihilfe zum Mord in mehr als 3.500 Fällen: In Brandenburg steht ein 100-Jähriger vor Gericht, der während des Zweiten Weltkriegs im KZ Sachsenhausen als Wachmann tätig war. Kommende Woche muss der Mann operiert werden.

Der Prozess um die Massentötungen im Konzentrationslager Sachsenhausen wird in der kommenden Woche unterbrochen. Der 100 Jahre alte Angeklagte muss sich am Montag im Krankenhaus einer Operation unterziehen, wie der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann am Freitag zu Beginn des vierten Verhandlungstages in Brandenburg an der Havel sagte. Der Prozess solle Anfang November weitergeführt werden.

Der heute 100-Jährige soll der Anklage zufolge zwischen 1942 und 1945 im KZ Sachsenhausen als Wachmann der SS Beihilfe zur Ermordung von 3.518 Lagerinsassen geleistet haben. Am zweiten Prozesstag hatte der Angeklagte bestritten, in dem KZ gewesen zu sein.

Bei Durchsuchung kein belastbares Material gefunden

Als Zeuge war zur Verhandlung am Freitag ein Polizeioberkommissar geladen. Er war Einsatzleiter bei einer Hausdurchsuchung beim Beschuldigten im Oktober 2019. An diesem Tag wurde der Beschuldigte erstmals mit den Tatvorwürfen konfrontiert. Er hätte den Beamten bereitwillig Zugang zu seinem Haus gewährt. Der damals 99-jährige sei körperlich wie geistig erstaunlich agil gewesen, berichtete der Beamte.

Insgesamt waren an der Durchsuchung sechs Polizisten beteiligt. Sie suchten in Haus und Schuppen nach Material aus der Zeit zwischen 1942 und '45, in der der Angeklagte im KZ Sachsenhausen tätig gewesen sein soll: Briefe, Fotos, Unterlagen oder Tagebuchaufzeichnungen. Gefunden hätten sie nichts dergleichen. Lediglich ein Foto des Beschuldigten aus dem Jahr 1947 stellten sie sicher. Es wurde im Gerichtssaal präsentiert und zeigt einen jungen, schlanken Mann mit blondem Haar in Reithosen und Reitstiefeln. "Ja, das bin ich", bestätigt der Angeklagte. Das Foto sei nach der seiner Zeit in sowjetischer Kriegsgefangenschaft entstanden, als er schon in der Nähe von Brandenburg an der Havel lebte.

Aussage des Angeklagten nicht verwertbar

In der Verhandlung am Freitag stellte sich heraus, dass die damaligen Aussagen des Angeklagten vor Gericht nicht verwertbar sind, weil er von den Beamten zu spät über sein Aussageverweigerungsrecht belehrt worden war.

"Niemand muss in einem Rechtsstaat sich selbst belasten. Jeder, der einer Straftat beschuldigt wird, hat das Recht zu schweigen, und das muss ihm durch die vernehmenden Beamten vorab gesagt werden. Hier hätte die Belehrung sofort erfolgen müssen, noch bevor der Durchsuchungsbeschluss verlesen wurde. Und deswegen war es auch richtig, dass das Gericht heute so entschieden hat", sagte einer der Nebenkläger-Anwälte, Mehmet Daimagüler.

Überlebende gehören zur Nebenklage

In die Zeit, in der der Angeklagte in Sachsenhausen im Dienst war, fallen unter anderem der Mord an 71 niederländischen Widerstandskämpfern, die Erschießung von 250 jüdischen Geiseln als Vergeltung für einen Anschlag auf eine NS-Ausstellung in Berlin und der Beginn der Deportation jüdischer Häftlinge nach Auschwitz.

Anfang 1945 habe die Phase der Kriegsendverbrechen begonnen, sagte der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Axel Drecoll, vor Kurzem zu Prozessbeginn. "Anfang Februar ermordete die SS mehr als 3.000 als marschunfähig selektierte Häftlinge, weitere 13.000 Häftlinge, vorwiegend Kranke und Juden, wurden in die Sterbelager Bergen-Belsen und Mauthausen transportiert."

Nach Angaben des Nebenklägeranwalts Thomas Walther nehmen an dem Prozess 16 Nebenkläger teil, darunter sieben Überlebende des Konzentrationslagers und neun Angehörige von Opfern. Das Verfahren vor dem Landgericht Neuruppin wird aus organisatorischen Gründen in einer Sporthalle in Brandenburg/Havel geführt. Für den Prozess sind insgesamt 22 Verhandlungstage bis in den Januar 2022 vorgesehen.

Sendung: Antenne Brandenburg, 22.10.2021, 10 Uhr

4 Kommentare

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  1. 3.

    Nun wird er noch für viel Geld operiert...
    Warum blieb er so lange unentdeckt....???

  2. 2.

    Dieser Prozess ist im Endeffekt sinnlose Vergeudung von Steuergeldern...... das Geld hätte sinnvoller eingesetzt werden können....

  3. 1.

    Kriegs-end-verbrechen ? Hört auf die Opfer zu verhöhnen Punkt

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