SUV-Unfall auf Berliner Invalidenstraße - "Man muss noch immer sehr vorsichtig sein, wenn man hier über die Straße geht"

Vor rund zwei Jahren erschütterte ein schrecklicher SUV-Unfall mit vier Toten Berlin. Seither wurde die Invalidenstraße zur Tempo-30-Zone erklärt, Poller begrenzen den Radweg. Wirklich sicher fühlen sich jedoch nicht alle. Ein Vor-Ort-Besuch.Von Oda Tischewski
Zwei halb überwucherte weiße Pappfiguren stehen noch zwischen Gestrüpp und Bauzaun an der Ecke Invalidenstraße und Ackerstraße in Mitte. Auf einer langgestreckten, flachen Holzwanne finden sich vereinzelte Topfpflänzchen.
"Hope" hat jemand an den Zaun gesprüht, ein wenig von der gelben Farbe hat auch die beiden Figuren erwischt. Ursprünglich waren es einmal vier, eine für jeden der vier Menschen, die bei dem schrecklichen Unfall im September 2019 hier starben.
Sogar in Frankreich hätten die Zeitungen über den Unfall berichtet, erzählt eine Deutsch-Französin aus der Nachbarschaft, die gerade an der Ampel wartet. Jedes Mal, wenn sie hier stünde, denke sie an den Unfall. "Wir Anwohner schauen auch immer nach dem kleinen Gedenkort, dass Blumen da sind, und dass die Baustelle hier das Gedenken nicht verschwinden lässt. Darüber gibt es auch immer wieder spontane Gespräche an der Ampel, das beschäftigt uns."
Für ein offizielles Mahnmal hat das Land Berlin erst im kommenden Jahr Geld eingeplant.
Anwohner sind nach wie vor verunsichert
Seit dem Unfall vor etwas mehr als zwei Jahren, ist hier an der Kreuzung viel passiert: Die Invalidenstraße ist zur Tempo-30-Zone erklärt worden, ein breiter, mit Pollern abgegrenzter Radweg ersetzt nun den Parkstreifen.
Wirklich sicher fühlen sich aber nicht alle. "Man muss noch immer sehr vorsichtig sein, wenn man hier über die Straße geht", berichtet eine ältere Dame, die mindestens zweimal pro Tag hier vorbeikommt. "Man darf nicht einfach bei Grün über die Fußgängerampel gehen, sondern man muss ganz bewusst schauen, kommt nicht wieder ein Auto aus der Ackerstraße und überfährt die rote Ampel. Das ist für mich wirklich jeden Tag sehr unangenehm."
"Es ist ein langsamer Lernprozess"
Wer mit dem Rad unterwegs ist, sieht aber durchaus Fortschritte zur Situation vor dem Unfall: "Ich fahre normalerweise Rennrad und dadurch, dass hier jetzt keine Autos mehr stehen, sieht man sowohl als Radfahrer als auch als Fußgänger besser, und man wird auch gesehen", sagt eine Anwohnerin.
Zwischen den Pollern, die Radstreifen und Fahrbahn trennen, gibt es allerdings weite Lücken. Immer wieder nutzen Autofahrer daher auch den Radweg, wenn sie mal eben noch vor der Tram durchschlüpfen wollen. Und auch an das Tempo-30-Gebot halten sich nicht alle. "Es ist ein langsamer Lernprozess", glaubt ein Anwohner. "Früher habe ich spaßeshalber immer gesagt, der gefährlichste Teil meines Lebens ist, hier über die Straße zu gehen. Das ist jetzt nicht mehr so, aber es dauert eben, bis sich alles eingespielt hat."
Prozess gegen Unfallverursacher
Aber auch Tempo 30 und ein Radweg mit mehr Pollern hätten den Unfall im September 2019 wahrscheinlich nicht verhindern können: Mittlerweile ist bekannt, dass der SUV-Fahrer von seiner Epilepsie wusste. Erst einen Monat vor dem Unfall hatte er eine Gehirn-OP – mehrere Ärzte hatten ihm gesagt, dass er nicht sicher fahren könne. Am 6. September 2019 setzte er sich dennoch hinters Steuer.
An der Kreuzung scherte er aus einer Kolonne wartender Autos aus und wollte vorbeiziehen, als der Anfall einsetzte und er auf auf den Bürgersteig raste. Vier Menschen starben, unter ihnen ein dreijähriger Junge und seine Großmutter.
Nun steht der Mann vor Gericht, wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs.
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Sendung: Inforadio, 27.10.2021, 11:55 Uhr