Wohnungssuche zum Semesterstart - Warum ein junger Student gerade im Flur wohnt

Im Wintersemester können Studierende endlich wieder in die Unis und sitzen nicht nur zuhause am Computer. Jetzt quält viele die Sorge: Wo soll ich eigentlich wohnen? Wolf Siebert hat einen Studenten bei der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung begleitet.
Das weiße Schlafsofa quietscht ein bisschen, als Johannes Streb es zusammenklappt. Es steht im Flur einer WG in Berlin-Friedrichshain. Nicht übermäßig komfortabel, aber Johannes war froh, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben - wenn auch nur für ein paar Tage.
Denn wenige Tage vor Semesterbeginn hat der 19-Jährige noch keine Wohnung. Sein Bruder hatte ihm den Tipp gegeben. Er ist mit einer WG-Bewohnerin befreundet. "Wir haben gestern noch das Schlafsofa vier Stockwerke hochgeschleppt. Es steht im Flur, und alle anderen Bewohner müssen über mich wegklettern, wenn sie ihre Zimmer verlassen", sagt Johannes.
Das Problem mit der Wohnungssuche drückt auf die Stimmung
Er will an der FU studieren, Film und Politik. Aber das Problem mit der Wohnungssuche drückt auf die Stimmung. In den letzten Wochen hatte Johannes bereits intensiv in die online-Angebote geschaut. Er hatte auch sein eigenes Netzwerk mobilisiert, zum Beispiel auf Facebook. Und er hat unzählige Bewerbungen geschrieben, um eine Wohnung, ein Zimmer oder einen WG-Platz zu bekommen. "Der Rücklauf war sehr gering, und das demotiviert natürlich, hier in Berlin neu zu starten."
Nun ist er nach Berlin gekommen, weil er vor Ort suchen will, auch in WGs. Seine Ansprüche an Lage, Größe und Ausstattung hat er inzwischen heruntergeschraubt. Aber innerlich ist er unruhig, ob er überhaupt etwas finden wird. "Dabei habe ich Mega-Bock auf Berlin und freu mich auf mein Studium", sagt der große blonde Student.
Schönes Angebot, leider zu teuer
Die Pannierstraße in Neukölln, auf dem Asphalt rauscht der Verkehr, vom Himmel rauscht der Regen. Hier schaut sich Johannes eine Wohnung an, ein Zimmer in einem sanierten Altbau. Nach einer halben Stunde kommt er wieder raus. Die Wohnung war schön, die Miete lag bei rund 400 Euro, das hätte Johannes bezahlen können, aber: "Die Vermieterin will 1.400 Euro Kaution oder sogar mehr, das konnte sie mir noch nicht sagen. Und dann soll ich 1.000 Euro Abstand zahlen. Ich weiß nicht, ob ich mir das leisten kann."
Johannes lebt von einem Stipendium einer politischen Stiftung. Fürs Wohnen würde er, wenn es sein muss, bis an die Schmerzgrenze gehen: maximal 430 Euro. Das sind mehr als 40 Prozent seines monatlichen Budgets.
So wie ihm geht es vielen Studierenden: Bezahlbarer Wohnraum ist knapp. Laut "Studentenwohnreport 2020" kostet ein WG-Platz in Berlin im Durchschnitt 420 Euro, eine 30 Quadratmeter-Wohnung 650 Euro. Für Studierende, die Bafög bekommen, ist das ein Problem. Denn sie bekommen, wenn sie in einer anderen Stadt studieren, eine Wohnpauschale von 325 Euro.

Ein Platz im Studentenwohnheim? Fehlanzeige
Nächste Anlaufstation für Johannes ist das Studierendenwerk Berlin. Es liegt direkt neben der Technischen Universität in einem bunten Neubau. Das Studierendenwerk betreut zwanzig Hochschulen und kümmert sich um alle studentischen Belange. An einem Counter sitzt eine Mitarbeiterin. Das Gespräch ist gut, Johannes erfährt von einer weiteren digitalen "Wohnraumbörse", die er noch nicht kannte. Aber auch hier hat er keinen Erfolg: Alle 9.200 Wohnheimplätze des Studierendenwerks sind voll. Mehr als 3.000 Studierende stehen auf der Warteliste. Das ist schon seit Jahren so. Die Wartezeit beträgt mindestens ein halbes Jahr. Der rot-rot-grüne Senat wollte eigentlich 5.000 neue Wohnheimplätze bauen, hat sein Ziel aber verfehlt.
Als Berliner Student dürfte Johannes auch nicht nach Brandenburg ausweichen und dort in einem Wohnheim wohnen. So ist die Rechtslage. Doch selbst wenn das rein rechtlich möglich wäre: Die Studentenwohnheime in Potsdam, Wildau und Brandenburg sind gut nachgefragt. Für die 3.253 Wohnheimplätze haben sich 3.300 Studierende beworben. Besser sieht es in Frankfurt/Oder, Eberswalde, Cottbus und Senftenberg aus. Dort gibt es 3.759 Wohnheimplätze – das reicht aus, um allen Interessenten ein Angebot zu machen, schreibt das Studentenwerk Frankfurt/Oder auf Anfrage.

Johannes macht sich Mut
Vor dem Studierendenwerk Berlin steht ein bunter Buddy-Bär. Johannes steht daneben, ein wenig frustriert. Denn welche Möglichkeiten bleiben ihm noch? Private Anbieter? Die haben in Berlin für Studierende rund 5.000 Zimmer, Wohnungen und Mikro-Apartments im Angebot. Die Mieten von häufig 800 oder 900 Euro sind aber für Johannes nicht zu stemmen. "Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf, was zu finden. Auch wenn es jeden Tag unwahrscheinlicher scheint, das es noch klappt", sagt er.
Johannes holt die Kopfhörer aus, macht Musik an und läuft zum U-Bahnhof. Eine Idee hat er noch: Mit einem Freund will er eine WG aufmachen, eine Wohnung haben sie auch schon im Auge. Falls das nicht klappt, will ihn sein Cousin bei sich aufnehmen, vorübergehend.
Die Gesamtstudentenvertretung Berlin schätzt, dass zum Semesterbeginn rund 10.000 Studis keine eigene Wohnung haben werden.
Sendung: Inforadio, 01.20.2021, 10:05 Uhr