Mordprozess gegen Pflegehelferin - Pflegerinnen erheben schwere Vorwürfe gegen Oberlinhaus-Leitung

Beim Prozess um die Tötung von vier Schwerstbehinderten im Potsdamer Oberlinhaus erheben Kolleginnen der Angeklagten schwere Vorwürfe gegen die Leitung. Ihrer ehemaligen Psychoanalytikerin berichtete die Angeklagte von Gewaltphantasien.
Im Prozess um die Gewalttat im Potsdamer Oberlinhaus bestätigten am Donnerstag mehrere Kolleginnen der Angeklagten deren Aussagen über eine Überlastung der Belegschaft. Ines R. habe ihr von ihren psychischen Problemen erzählt, sagte Kathrin R. vor dem Landgericht Potsdam aus. Sie habe berichtet, dass sie bis zu 14 Tage in Folge mit nur einem freien Tag habe arbeiten müssen.
Pflegerin tötet vier schwerstbehinderte Menschen
Überdies habe die Leitung bei Krankheitsfällen Druck auf die Mitarbeiter ausgeübt. Am ersten Arbeitstag hätten sie zu einem Gespräch über die Gründe ihres Fehlens erscheinen müssen.
Kathrin R. brach nach eigenen Angaben vor der Tat vom April aufgrund persönlicher Probleme den Kontakt mit der Angeklagten ab. Eine andere mit der Angeklagten befreundete Kollegin soll das ebenso getan haben.
Ines R. soll Ende April mit einem Messer in der diakonischen Einrichtung in Potsdam vier schwerstbehinderte Menschen getötet und eine weitere Frau schwer verletzt haben. Die Staatsanwaltschaft geht von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit aus.
Gewaltphantasien und Selbstmordgedanken
Die Psychoanalytikerin, die die Angeklagte von 2009 bis 2018 behandelte, sagte aus, diese habe ihr gegenüber Gewaltphantasien geäußert, die sich gegen die Menschen richteten, die sie im Oberlinhaus betreute. Ihre damalige Klientin habe sich daraufhin selbst bezichtigt, nicht normal zu sein. Die Analytikerin gab zu bedenken, dass Angehörige oder Kinder Menschen an den Rand der Verzweiflung treiben könnten. Die Drohung "Ich könnte dich an die Wand klatschen" mache aber dennoch niemand wahr. Die Analytikerin berichtete überdies von Selbstmordgedanken ihrer damaligen Patientin.
Pflegerin: Personalmangel und "Vetternwirtschaft"
Eine ehemalige Kollegin der Angeklagten sprach als Zeugin von Personalmangel in Verbindung mit "Vetternwirtschaft" in der diakonischen Einrichtung. "Ich habe gekündigt, weil ich das mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren konnte", sagte die ehemalige Pflegerin Franziska S. vor dem Landgericht Potsdam aus. Kolleginnen sei verboten worden, mit ihr befreundet zu sein, da sie ebenso wie die Angeklagte Ines R. Missstände benannt habe.
Anstatt der notwendigen drei habe es in der Zeit vor der Tat häufig nur zwei Pfleger pro Schicht gegeben. Einige Bewohner der Einrichtung hätten daraufhin Tage, mitunter auch Wochen lang im Bett liegen bleiben müssen, da keine Zeit gewesen sei, sie in den Rollstuhl zu setzen. Medizinische Probleme bei Patienten seien von den Verantwortlichen ebenso ignoriert worden wie Überlastungsanzeigen der Mitarbeiter, berichtete die 37-Jährige.
Hausleitung berichtet von guten Leistungen der Angeklagten
Die zuständige Hausleitung berichtete vor Gericht von guten Leistungen der Angeklagten. Diese habe ihre Arbeit stets gut gemacht, sagte die Leiterin der Einrichtung. Ines R. habe "einen tollen Draht zu den Bewohnern gehabt". Pflege habe ihr gelegen. Deshalb habe sie ihr eine Ausbildung zur professionellen Pflegerin nahe gelegt.
Über psychische Erkrankungen der Angeklagten sei nichts bekanntgewesen, sagte die Leiterin des Hauses, in dem es zu der Gewalttat kam. Angesichts der guten Leistungen und der kreativen Rolle der mutmaßlichen Täterin im Pflege-Team sei sie "schockiert" gewesen.
Der Verteidiger der Angeklagten, Henry Timm, geht davon aus, dass seine Mandantin zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war. Ihr Arbeitgeber habe seine Fürsorgepflicht verletzt, indem er nicht auf Krisenanzeichen reagiert habe. Der Prozess soll am Donnerstag kommender Woche fortgesetzt werden. Insgesamt sind elf Verhandlungstage angesetzt.
Sendung: Brandenburg Aktuell, 11.11.2021, 19:30 Uhr