Betrugsfälle in Berlin und Brandenburg - Gefälschte Impfnachweise werden zur Herausforderung für Apotheken

Immer mehr Einrichtungen gewähren nur noch Corona-Geimpften oder Genesenen Einlass. Das erhöht den Druck auf Ungeimpfte. Zeitgleich etabliert sich ein neuer Markt mit gefälschten Impfpässen. Besonders Apotheken bekommen das zu spüren. Von Jenny Barke
Was genau ihn stutzig gemacht habe, möchte der Apotheker aus Neuruppin nicht erzählen. Er wolle nicht, dass die Betrugsmasche Nachahmer finde, sagt er. Auch seinen Namen möchte er nicht öffentlich machen. Denn er befürchtet Bedrohungen.
Doch "die Apotheke aus Neuruppin" machte jüngst regionale Schlagzeilen, weil der Besitzer mehrere Betrugsfälle bei der Polizei meldete: Kunden hatten versucht, bei ihm mit einem gefälschten Impfpass ein digitales Impfzertifikat zu erhalten.
Mittlerweile ermittelt die Polizei auch in Verdachtsfällen, die Apotheken in Fürstenwalde, Beeskow und Putlitz betreffen. Bis Ende Oktober seien mehr als 50 Fälle kriminalpolizeilich untersucht worden, teilt der Brandenburger Polizeisprecher Torsten Herbst auf rbb|24-Anfrage mit.
Den mutmaßlichen Betrügern droht eine Strafe, die je nach Schwere der Tat mit Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe geahndet wird. Derzeit wird auf Bundesebene darüber diskutiert, das Strafmaß für die Fälschung von Impfpässen anzuheben.
Gelbem Impfausweis fehlen fälschungssichere Siegel
Diese Konsequenzen interessierten die Kunden offenbar nicht besonders, die es in seiner Apotheke mit einer Fälschung versucht hätten, sagt der Apotheker aus Neuruppin: "Die bleiben total cool. Die sind sich sicher, dass sie wenn dann nur eine Geldstrafe erhalten, solange keine weiteren Delikte vorliegen."
Für Betrugswillige sei es zu leicht, die Impfpässe zu fälschen, bestätigt auch Mathias Braband-Trabandt vom Apothekerverband Brandenburg: "Das Hauptproblem ist, dass ein Impfausweis kein amtliches Dokument ist. Dementsprechend trägt der Ausweis auch kein Wasserzeichen oder sonstige Sicherheitssiegel, an denen die Apotheker prüfen könnten, ob der Ausweis echt ist." Für eine Fälschung müssen die impfunwilligen Interessenten nicht einmal mehr ins Darknet gehen: Die gelben Impfausweise werden zuhauf über Messengerdienste angeboten - Kostenpunkt bei 100 bis 450 Euro.
Impfpässe werden wichtiger
Durch den leichten Zugang hat sich ein regelrechter Impf-Schwarzmarkt etabliert, das bestätigt auch die Polizei in Berlin: Hier ermittelt das LKA bereits in 130 Fällen. Das Phänomen sei allerdings noch zu neu, um bereits Tendenzen zu erkennen, sagt der zuständige LKA-Dezernatsleiter Thomas Thieme. "Werbekampagnen wie 'Deutschland sucht den Impfpass' zeigen aber deutlich, dass der Impfpass eine noch nie dagewesene Bedeutung bekommt. Vor dem Dilemma stehen jetzt alle Akteure."
Für Apothekerinnen und Apotheker bedeute die Ausstellung des digitalen Impfnachweises einen enormen Arbeitsaufwand, sagt Kerstin Kemmritz von der Berliner Apothekerkammer. "Wir müssen die Identität der Personen überprüfen, die Identität des Impfpasses plausibilisieren und dann auch noch in eine digitale Form übertragen."
Hinzu komme, dass es für alle Gruppen andere Zertifikate und unterschiedliche Herangehensweisen gebe, fügt der Brandenburger Apothekerverbandssprecher Braband-Trabandt hinzu. "Da gibt es Genesene, dann gibt es einmal geimpft Genesene, zweimal Geimpfte, ..." Teils dauere die Bearbeitung und Recherche sehr lange. "In Zeiten, in denen es im ländlichen Raum Apothekermangel gibt, ist das eine zusätzliche Belastung."
Einige Apotheker selbst unter Betrugsverdacht
Statt den Mehraufwand zu honorieren, sei zudem noch das Honorar zur Ausstellung der digitalen Impfzertifikate gekürzt worden, kritisiert Kemmritz. Anfangs erhielten die Apotheken noch ein Honorar von 18 Euro pro Zertifikat - inzwischen liegt es bei sechs Euro. Während es nur noch ein Drittel Honorar gebe, habe sich der Aufwand im Oktober verdreifacht.
Vereinzelt stehen Apothekerinnen und Apotheker auch selbst in Verdacht, an Fälschungen beteiligt zu sein: Auf Twitter veröffentlichten User Chatverläufe mit mutmaßlich korrupten Mitarbeitern, die Impfnachweise angeboten haben.
Dabei handele es sich um einzelne schwarze Schafe innerhalb des Berufsstandes, sagt Kerstin Kemmritz. Das Risiko sei hier enorm groß, denn wer beim Fälschen von Dokumenten erwischt werde, müsse mit Entzug der Erlaubnis, der Approbation rechnen: "Ich hoffe sehr, dass die Kolleginnen und Kollegen nicht so dumm sind, ihren Beruf für so etwas aufs Spiel zu setzen."
Fälschungssichere gelbe Impfpässe?
Sowohl die Apothekerkammer in Berlin als auch der Apothekerverband in Brandenburg wünschen sich ein dringendes Nachbessern von Seiten der Politik, um die Betrugsfälle zu unterbinden. Sie kritisieren, dass bisher die Kontrollen in der alleinigen Verantwortung der Apotheken lägen. "Wir haben zum Beispiel das Problem, dass die gelben Impfausweise sehr schlecht gepflegt sind"§, sagt Braband-Trabandt. Beispielsweise würden nach einer Heirat Namens- oder Adressänderungen nicht nachdokumentiert - das erschwere die Identitätsprüfung zusätzlich.
Zudem fordert er, den Impfausweis mit fälschungssicheren Merkmalen zu versehen. So würde es bereits jetzt bei Rezepten für Medikamente gehandhabt, was Apotheker sehr entlaste.
Kemmritz hält es für notwendig, das System komplett neu zu überdenken. Eine Möglichkeit sieht sie darin, künftig direkt bei der Impfung ein digitales Zertifikat herauszugeben. Damit würde der Umweg über die Apotheken vermieden. Die Apothekerinnen und Apotheker könnten sich dann wieder mit der Arbeit beschäftigen, die durch ihre Recherchen und Prüfungen aktuell vernachlässigt werden.
Sendung: Inforadio, 04.10.2021, 8 Uhr