10 Jahre Ende Nationalsozialistischer Untergrund - Kritiker der NSU-Ermittler fordern lückenlose Aufklärung

Zehn Jahre nach dem Auffliegen der rechtsextremen NSU-Terrorzelle bleiben viele Fragen zu der Mordserie offen. So wird etwa Handlungsbedarf bei Polizei und Behörden gesehen. Zum Gedenken an die Opfer gibt es in Berlin und Brandenburg Kundgebungen.
Zehn Jahre nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle NSU sehen Kritiker der Aufarbeitung noch Handlungsbedarf bei Polizei und Behörden.
Wesentliche Fragen zu den Hintergründen der Taten seien nach wie vor offen, kritisierte der Anwalt der NSU-Opfer, Mehmet Daimagüler. "Ohne Antworten kann es keinen Rechtsfrieden geben", sagte der Jurist am Donnerstag im Inforadio.
So sei etwa weiterhin unklar, wie stark Verfassungsschutzbehörden in dem Komplex beteiligt waren. "Die Geheimdienste wollten von nichts gewusst haben, gleichzeitig wurden Akten zerschreddert", sagte Daimagüler.
Er fügte hinzu: "Frau Zschäpe ist meiner Meinung nach nicht die einzige Überlebende." Außerdem sei da die Frage nach dem Rassismus bei Ermittlungsbehörden, der dafür gesorgt, dass die Morde nicht verhindert und nicht aufgeklärt wurden."
"Ins kollektive Gedächtnis türkeistämmiger Menschen eingebrannt"
Anlässlich des Jahrestags äußerte sich auch die in Berlin sitzende Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD). "Der NSU-Komplex hat sich in das kollektive Gedächtnis von türkeistämmigen Menschen in Deutschland eingebrannt", erklärte der Bundesvorsitzende Gökay Sofuoglu. "So emotional und wichtig dieses Thema für uns und die Gesamtgesellschaft ist, so sehr wollen wir bei der NSU-Mordserie, und auch bei anderen rechtsextremen Anschlägen, endlich auch Fortschritt, Transparenz und einen sensiblen Umgang in der Aufarbeitung von Fehlern sehen."
Auch das Vorstandsmitglied im Berliner Migrationsrat, Koray Yılmaz-Günay, forderte dazu auf, dass Fehler, die er den Behörden bei den Ermittlungen vorwirft, aufgerarbeitet werden. "Dieses Versprechen von Angela Merkel, dass da lückenlos aufgeklärt wird, ist nicht erfüllt worden", sagte Yılmaz-Günay am Donnerstag auf Radioeins vom rbb.
Bundesinnenministerium verweist auf Aufarbeitung
Das Bundesinnenministerium verwies kurz vor dem Jahrestag darauf, dass die NSU-Taten in Bund und Ländern aufgearbeitet worden seien. Es habe 13 Untersuchungsausschüsse gegeben, "deren Handlungsempfehlungen für Polizei, Justiz, Nachrichtendienste und Demokratieförderung weitestgehend umgesetzt wurden". "Diese Bundesregierung hat alles in ihrer Macht Stehende getan, damit sich so etwas nicht wiederholt", erklärte Innenminister Horst Seehofer (CSU) auf Twitter. "Das sind wir den Opfern und ihren Angehörigen schuldig."
Kundgebungen in Berlin und Brandenburg geplant
In Berlin und Brandenburg soll am Donnerstag mit Aktionen an die Opfer der NSU-Morde gedacht werden. Um 17 Uhr findet eine Gedenkkundgebung der Initiative NSU-Watch Brandenburg in Potsdam statt. Dabei sollen rund 250 Plakaten aufgestellt werden, auf denen die Namen der Opfer rechten Terrors der letzten 30 Jahre stehen.
Um 18 Uhr gibt es zudem eine Demonstration unter dem Motto "Kein Wegschauen! Kein Vergessen!" Die Demonstranten starten vor dem Landtag (Steubenplatz) und ziehen dann in die Innenstadt - und zurück.
In Berlin sind für eine Demonstration in Kreuzberg 2.000 Teilnehmer angemeldet. Sie wollen vom Oranienplatz zum Hermannplatz in Neukölln ziehen.
Neun Menschen ermordet
Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) war am 4. November 2011 aufgeflogen, mit dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Erst dann stellte die Polizei fest, dass es Neonazis waren, die zwischen 2000 und 2007 neun Menschen getötet hatten. Darunter acht gewerbetreibende Menschen mit türkischen Wurzeln, einen Griechen und eine junge Polizistin. Nach den Attentaten war jahrelang in die falsche Richtung ermittelt worden.
Böhnhardt und Mundlos erschossen sich am 4. November 2011. Als Mittäterin an der rassistisch motivierten Mordserie wurde die NSU-Terroristin Beate Zschäpe 2018 zu lebenslanger Gefängnisstrafe verurteilt.
Sendung: Inforadio, 04.11.2021, 6:00 Uhr