Brandenburg/Havel - KZ-Überlebender appelliert an früheren Wachmann, seine Schuld einzugestehen

In dem Prozess um die Tötungen von Häftlingen im Konzentrationslager Sachsenhausen hat ein Überlebender aus Israel gegen den Angeklagten ausgesagt. Er appellierte an den 100-jährigen früheren SS-Wachmann, über sein "dunkles Geheimnis" zu reden.
Im Prozess um die Massentötungen von Häftlingen im Konzentrationslager Sachsenhausen ist am Donnerstag ein Überlebender aus Israel als Zeuge gehört worden. Der 92-jährige Emil Farkas appellierte vor Gericht an den Angeklagten, seine Schuld einzugestehen.
Farkas ist ein aus der Slowakei stammender Jude, er war Leistungssportler der israelischen Nationalmannschaft im Kunstturnen. Vor Gericht in Brandenburg an der Havel rief er den 100-jährigen Angeklagten auf, sein "dunkles Geheimnis" nicht länger für sich zu behalten und den Mut aufzubringen, über die Zeit zu reden.
Farkas Aussagen wurden zunächst in einer Erklärung auf Hebräisch verlesen und dann übersetzt. Mit seiner Aussage wolle er auch ein Zeichen setzen und deutlich machen, "wir Überlebenden sind hier und wollen Zeugnis ablegen", sagte sein Anwalt.
Nach Angaben der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten war Farkas von Dezember 1944 an als Jugendlicher zusammen mit seinem Bruder in dem KZ inhaftiert.
Gemeinsam waren sie in dem berüchtigten Schuhläufer-Kommando eingeteilt, das unter unmenschlichen Bedingungen Sohlen für die deutsche Schuhindustrie testen musste. Die Brüder gehörten nach Angaben der Stiftung zu den mindestens 3.000 Kindern und Jugendlichen, die zwischen 1936 und 1945 in dem KZ inhaftiert waren.
Prozess-Pause wegen medizinschen Eingriffs
Angeklagt ist in dem Prozess ein heute 100-Jähriger, der laut Staatsanwaltschaft zwischen 1942 und 1945 im KZ Sachsenhausen als Wachmann der SS Beihilfe zur Ermordung von Tausenden Lagerinsassen geleistet haben soll. Der Angeklagte hatte sich bei seiner Vernehmung am zweiten Prozesstag für unschuldig erklärt. In der Befragung zu seinem Lebenslauf hatte er sich zwar zu Kindheit und Armeezeit in Litauen, Kriegsgefangenschaft und der Zeit in der DDR geäußert, jedoch nicht zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft.
Der Angeklagte musste sich kürzlich einem kleineren medizinischen Eingriff unterziehen. Die beiden vergangene Woche vorgesehenen Verhandlungstermine wurden deshalb aufgehoben.
Damalige Aussage des Angeklagten nicht verwertbar
In dem Prozess sagte bereits ein Polizeioberkommissar als Zeuge aus. Er war Einsatzleiter bei einer Hausdurchsuchung beim Beschuldigten im Oktober 2019. An diesem Tag wurde der Beschuldigte erstmals mit den Tatvorwürfen konfrontiert. Es wurde kein belastbares Material gefunden. Es stellte sich aber heraus, dass die damaligen Aussagen des Angeklagten vor Gericht nicht verwertbar sind, weil er von den Beamten zu spät über sein Aussageverweigerungsrecht belehrt worden war.
Fortsetzung am Freitag
Das Verfahren vor dem Landgericht Neuruppin wird aus organisatorischen Gründen in einer Sporthalle in Brandenburg/Havel geführt. Am Freitag sollen der psychiatrische Sachverständige, der die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten untersucht hat, und ein Nebenkläger aus Frankreich, Nachkomme eines Häftlings, als Zeugen angehört werden.
Sendung: Brandenburg aktuell, 04.11.2021, 19:30 Uhr